Digitale Assistenz für Arztbesuche

21.09.2021
3/2021

Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist entscheidend, wenn es um die Einhaltung von Therapiezielen geht. Wie können digitale Assistenten die Gesundheitskompetenz von Patientinnen stärken. Die ZHAW untersucht dies in einem Forschungsprojekt.

Wie kann Digitalisierung die Kommunikation bei Arztbesuchen verbessern? Wie können Apps helfen, dass Patienten ihre Therapiepläne einhalten? Wie kann ein digitaler Assistent zwischen einer Konsultation und der folgenden eine Brücke schlagen? Digital ist beim Arztbesuch heute vor allem das  Erfassen der Krankengeschichte auf Seiten der Ärzte, sowie Internetrecherchen und Gesundheitsapps auf Patientinnenseite. «Digitale Lösungen könnten jedoch viel mehr leisten», ist Andri Färber überzeugt. Der Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der ZHAW untersucht in einem von Innosuisse geförderten Projekt deshalb eingangs gestellte Fragen.

App für mehr Gesundheitskompetenz

Ein digitaler Ansatz ist laut Färber besonders dort vielversprechend, wo es um die Zwischenziele auf dem Weg zu Linderung und Heilung geht. Dazu braucht es unter anderem die Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten – aber auch Erinnerungsvermögen und Adhärenz, das Ausmass also, in dem die mit Ärztin oder Physiotherapeut festgelegten Therapiepläne tatsächlich eingehalten werden. Eine Digital-Companion-App soll deshalb bei der Stärkung dieser Bereiche ansetzen. Für die Entwicklung der Software zeichnet der Industriepartner Helmedica verantwortlich. «Es fehlt auf dem Markt bisher an guten Lösungen, die die vielen Daten aus einer Konsultation strukturieren und wiederverwertbar machen», sagt Christoph Baumann, Geschäftsführer der Helmedica und selbst Mediziner.

«Chronische Krankheiten belasten das Gesundheitssystem stark und dürften in Zukunft noch zunehmen»

Andri Färber, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik

Im Fokus der Forschungsarbeit stehen chronische Krankheiten. «Sie belasten das Gesundheitssystem stark und dürften in Zukunft noch zunehmen», erläutert Färber. Gerade bei solchen Krankheiten spielt die Gesundheitskompetenz zudem eine wesentliche Rolle und beeinflusst auch die Adhärenz. Wie viel wir über eine Krankheit und Therapieoptionen wissen, aber auch, wie gut wir uns selbst kennen, wenn es um unser Gesundheitsverhalten geht – das alles bestimmt mit, ob wir nicht nur die verschriebenen Medikamente gewissenhaft einnehmen, sondern auch etwas an unserem Lebensstil ändern. Je nach Therapieform fällt die Adhärenz nämlich sehr unterschiedlich aus: So nehmen zum Beispiel bei der Behandlung von Diabetes neun von zehn Patienten regelmässig ihre Medizin, aber nur die Hälfte hält wie empfohlen Diät und gerade einmal ein Fünftel nimmt an einem Fitnessprogramm teil. 

Für Behandlung von Fettleibigkeit

Konkret soll der digitale Assistent bei der Behandlung von Adipositas eingesetzt werden – sowohl in den Konsultationen selbst als auch während der Zeit bis zum nächsten Arzttermin. Die Suche nach interessierten übergewichtigen Patientinnen und Patienten übernimmt Hausärztin und Titularprofessorin Barbara Biedermann, in deren Praxis die App auch zur Anwendung kommen wird. Sie wird zum Beispiel während des Gesprächs wichtige Punkte in die App eintragen können, welche die Notizen und allfällige Fachbegriffe für die Patienten simultan in eine verständlichere Sprache übersetzen soll. Zudem können den Patienten am Schluss die wichtigsten Befunde und Therapieziele mit auf den Weg gegeben werden, ebenso Tipps für weiterführende Literatur. «Damit sie nicht mehr so viel googlen», ergänzt Färber. Denn das Richtigstellen von selbst gestellten Diagnosen und Beschwichtigen nimmt heute viel Zeit und Raum ein.

«Eine App kann den ärztlichen Dialog ergänzen und unterstützen, ersetzen kann sie ihn nicht.»

Andri Färber, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik

Den Zeitraum zwischen zwei Konsultationen soll die App überbrücken, indem sie die Umsetzung von Therapiezielen begleitet und misst. Das können sowohl objektive Messgrössen wie die Zahl der zurückgelegten Schritte oder Glukosewerte sein – aber auch subjektive Einschätzungen, über die sich die Patienten mit dem digitalen Assistenten austauschen können. Alle Daten fliessen zurück an die Ärztin beziehungsweise in den medizinischen Workflow. Ebenso können Fragen, die sonst gerne vergessen gehen, jederzeit im Chat notiert und übermittelt werden. Die Ärztin kann auf diese Weise frühzeitig eine Erläuterung für die nächste Konsultation einplanen, allenfalls auch mit Hilfe von Grafiken oder Videos. Wichtig sei zudem, dass die App individuelle Unterschiede der Patienten berücksichtige, sagt Färber. «Es bringt nichts, eine Person jeden Tag frühmorgens zu einem Spaziergang aufzufordern, wenn sie sich viel lieber am Nachmittag bewegt.»

Besser und personalisiert

Christoph Baumann erhofft sich, dass dank der Auswertung grosser Mengen von Gesundheitsdaten Krankheiten wie Adipositas, Diabetes oder Bluthochdruck auf lange Sicht besser behandelt werden können, aber auch die medizinische Versorgung stärker personalisiert werden kann.

«Was uns an den vielen Vorgesprächen zum Projekt am meisten überrascht hat, ist die grosse Offenheit von Ärzten wie Patienten gegenüber digitalen Lösungen», erzählt Färber. «Das gilt auch für ältere Interviewte.» Trotzdem ist klar: Eine App kann den ärztlichen Dialog ergänzen und unterstützen, ersetzen kann sie ihn nicht. «Nicht einfach, weil wir eine gute Beziehung zwischen Ärztin und Patient eine nette Sache finden», sagt Färber. «Das Vertrauensverhältnis bleibt matchentscheidend für den Therapieerfolg.»

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