Finanzjournalismus: Wie sag ich’s meiner Leserin?

03.12.2019
4/2019

Unternehmensresultate, Börsenkapriolen, Finanzskandale: ­Finanzjournalisten arbeiten im Spannungsfeld von komplexen Sachverhalten, Experten­wissen und dem Wissen der Leserschaft. Doch zwischen erwartetem und effektivem Finanzwissen der Leserinnen und Leser klafft eine Lücke, wie die ZHAW Expertin Marlies Whitehouse in der Studie «Finanzjournalismus im Spannungsfeld von Fachwissen, Stories und Finanzliteralität» zeigt.

Frau Whitehouse, was leisten Finanz­journalistinnen und -journalisten?

Marlies Whitehouse*: Finanzjournalisten sehen sich als Vermittler zwischen Finanzexperten und Laien. Sie verpacken abstraktes Finanzwissen in Storys, setzen dabei aber häufig beträchtliches Basiswissen und Interesse im Bereich Finanzen ­voraus.

Was sind dabei die Herausforderungen?

Zunehmend verhindern Sparmassnahmen bei der Qualitätssicherung, dass komplexe Sachverhalte in einer Sprache beschrieben werden, die dem Vorwissen der Leserinnen und Leser angepasst ist. Überdies sind die Finanzkenntnisse der breiten Leserschaft gering, wie diverse Studien zeigen, was es nahezu verunmöglicht, Zusammenhänge und Entwicklungen in der Finanzwelt angemessen zu beschreiben.

Wie kommen Finanzjournalisten zu ihren Storys?

Sie beschaffen sich Informationen vorwiegend online und im persönlichen Gespräch mit Finanzexperten. Meldungen und Expertenberichte, die bei Redak­tionen und Finanzjournalisten eingehen, sind Ausgangspunkt und Hintergrundwissen für entstehende Artikel. Zitierte Expertenmeinungen und Quotes werten einen Artikel in den Augen von Finanzjournalisten auf, wobei die zitierten Fachpersonen nicht prominent sein, sondern eine dezidierte Meinung vertreten müssen. Finanzexperten sind auch gute Ideenquellen für Geschichten aus der Finanzwelt.

 

Wie viel weiss die Leserschaft?

Das Finanzfachwissen der Leserschaft, also ihre Fähigkeit, Finanztexte zu verstehen, wird von den Finanzjournalisten generell als tief eingeschätzt. Finanzjournalisten erwarten vom Zielpublikum Interesse am Thema und Basiswissen im Bereich Finanzen, so zum Beispiel, dass der Unterschied zwischen Aktien und Obligationen bekannt ist. Gleichzeitig verstehen sie sich als Vermittler von Wissen zwischen Finanzexperten und Laien. Darum wird ein Artikel vor der Publikation idealerweise von mehreren Stellen gegengelesen und wenn nötig vom Autor überarbeitet, damit der Text funktionieren kann für die Leserschaft, die sich die Journalisten vorstellen.

Was ist das Ziel der Studie?

Die Ergebnisse dieser Studie sollen Anhaltspunkte bieten für Reflexion, Weiterentwicklung von Strategien und Praktiken der Finanzkommunikation. So ist etwa zu fragen, wie Finanzjournalisten als Vermittler zwischen Experten und Laien wirken können, wenn bei den Medienhäusern in der Qualitätssicherung, welche die Interessen des Lesers mit einbeziehen sollte, drastisch gespart wird. Zudem sollen die Resultate der Studie Bildungsinstitutionen darauf hinweisen, dass noch Handlungsbedarf besteht, wenn die Lücke von erwarteter und effektiver Finanzliteralität geschlossen werden soll. Demokratisches Ziel ist, dass alle mitreden können, wenn es um Zahlen geht, die sie angehen. Finanzwissen wird immer noch vernachlässigt im Bildungssystem der Schweiz. Die nächste Finanzkrise wird kommen. Je mehr wir alle die Zusammenhänge verstehen und je besser wir uns darauf vorbereiten können, desto kleiner wird der Schaden sein – und das kommt letztlich allen zugute.

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