Lieblingsstories zeigen den Weg

01.12.2020
4/2020

Das Jahresende ist die Zeit der guten Vorsätze und der Neuorientierung. Wegweiser für die berufliche Laufbahn sind in der Arbeitswelt 4.0 rar geworden. Beim Life Design helfen Geschichten dabei, die eigene Identität zu entdecken.

«Oh Captain, my Captain», so wollte Englischlehrer John Keating im Film «Der Club der toten Dichter» genannt werden, und bezog sich dabei auf ein Gedicht von Walt Whitman. Das zentrale Thema des Films: Der Lehrer, gespielt von Robin Williams, forderte Schüler eines konservativen Internates Ende der sechziger Jahre zu selbstständigem Handeln und freiem Denken auf. «Der Club der toten Dichter» war der Lieblingsfilm eines Klienten von Marc Schreiber. Der Laufbahnberater und Dozent am IAP Institut für Angewandte Psychologie des Departementes Angewandte Psychologie erklärt, weshalb das bei der Suche nach Orientierung relevant sein kann.

Jeder Mensch spricht anders auf die Geschichte in einem Film oder in einem Buch an. Was den einen in besonderem Masse berührt, lässt den anderen unbeteiligt zurück. Das wird heute in der Laufbahnberatung für die Entwicklung der beruflichen Identität genützt. «Die Hauptcharaktere in einem Film oder einem Buch können einen Hinweis darauf geben, wie man das Thema des Films in den eigenen Lebensentwurf einbetten kann», so Schreiber.

Kontinuität von innen

Life Design, Career Construction oder narrative Diagnostik sind die Begriffe eines relativ neuen Ansatzes in der Laufbahnberatung, der auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts ausgerichtet ist. Eine Arbeitswelt, die schnelllebig, instabil und einem rasanten Wandel unterworfen ist und immer seltener geradlinige traditionelle Laufbahnen zulässt. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen keinem vorgezeichneten Laufbahnplan folgen wollen. «Kontinuität entsteht vielmehr von innen als von aussen», so Schreiber.

Geschichten, die besonders faszinieren und berühren: Sie erzählen auch etwas über den Menschen.

«Anhand von Geschichten oder Bildern aus dem Lebenskontext der Klientinnen und Klienten werden in der Beratung Werte, Interessen und Lebensthemen identifiziert.» Die Methode setzt weniger auf die Entwicklung von Laufbahnschritten, sondern hilft, sich über die eigene Identität klar zu werden. «Man stellt quasi den inneren Kompass ein», sagt Schreiber. Dieser liefert die Grundlage für zukünftige Laufbahnentscheidungen.

Vorbilder und Kindheitserinnerungen

Was ist Ihr Lieblingsmotto, Ihr Lieblingsbuch oder was für Medien lesen Sie gerne? Solche scheinbar simplen Fragen, die systematisch in Beratungsgesprächen gestellt werden, geben Aufschluss über Bedürfnisse, berufsbezogene Interessen, zentrale Lebensherausforderungen und deren Überwindung oder ergeben auch einen Ratschlag an die eigene Person (vgl. Box). «Für mich persönlich sind die Fragen nach Vorbildern und Kindheitserinnerungen wichtige Fragen», sagt Schreiber. Sie zeigen persönliche Eigenschaften und sind Metaphern für zentrale Lebensherausforderungen oder -themen, die auch Laufbahnentscheidungen tangieren.

Das hilft, wenn man über die Sinnhaftigkeit im Beruf nachdenkt. Wenn man sich fragt, ob man diese Tätigkeit so noch bis zur Pensionierung machen möchte. «Häufig kommen Menschen in die Beratung, wenn sie nicht so genau wissen, was sie eigentlich wollen», so Schreiber. Der Vorteil im Vergleich etwa zu Methoden der analytischen Auswertung von Fragebogen liege im intuitiven Erkennen: Die verschiedenen Facetten dieser Lebensgeschichten geben eine Art Skript vor, das den zukünftigen Weg klarer werden lässt.

Ein Held im Berufsalltag

Der Klient von Marc Schreiber fand in seinem Lieblingsfilm ein Skript dafür, wie er eines seiner zentralen Lebensthemen angehen kann: das Bedürfnis, andere Menschen zu etwas zu bewegen. Lehrer Keating erreichte dies mit Literatur, sozialer Nähe und Hartnäckigkeit. Für den Klienten bedeutete dies: in seinem Berufsleben soziale Nähe und Hartnäckigkeit zu kombinieren, und dies über die Sprache – mit dem Ziel, andere zu etwas bewegen zu können. Häufig sei es sehr klar für Klienten, was sie aus einer Geschichte mitnähmen, so Schreiber. Sie sagten sich: «Ich mache es so wie der Held im Film.»

Erzähl mir eine Geschichte

Impulse für den Berufsalltag kann man sich auch zu Hause im Kleinen geben, indem man einfache Fragen für sich beantwortet. Auch wenn, wie Laufbahnberater Marc Schreiber sagt, dies etwas «kopflastig und analytisch» sei, da die Anleitung und Auflösung im Gespräch mit der Beratungsperson fehle.

Wen haben Sie als Kind bewundert (konkrete oder abstrakte Figuren)?

Vorbilder geben Hinweise auf persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Werte, die für die Bewältigung von Lebensherausforderungen hilfreich sind.

Was für Zeitschriften lesen Sie regelmässig? Was für Fernsehsendungen oder Homepages schauen Sie gerne?

Die Wahl der Medien steht für berufsbezogene Interessen und Arbeitsumgebungen, in denen sich jemand wohlfühlt.

Welches ist Ihr Lieblingsbuch/-film?

Geschichten in Büchern oder Filmen liefern ein Skript dafür, wie zentrale Lebensherausforderungen (z.B. eine Laufbahnentscheidung) oder -themen angegangen und überwunden werden können.

Welches ist Ihr Lieblingssprichwort oder Lieblingsmotto?

Sie stehen für eine Art Ratschlag an die eigene Person.

Welches sind Ihre frühesten Kindheitserinnerungen?

Sie sind Metaphern für zentrale Lebensherausforderungen und Bedürfnisse.

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