Robotik in Pflege und Therapie: Der neue Stationskollege kennt keinen Stress

24.09.2019
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Pflegeroboter, die Menschen hochheben, waschen, beruhigen. Roboter, die Gelähmte trainieren und nie müde werden. Das gibt es schon oder wird entwickelt. Doch Robotik ersetze weder Pflegepersonal noch Therapeuten, sind zwei ZHAW-Forscherinnen überzeugt.

Pflegehilfe Jenny holt einen Becher Wasser vom Spender und spricht eine Heimbewohnerin freundlich an. «Sie möchten bestimmt etwas trinken, Frau Schmitt.» Diese antwortet belustigt: «Da hast du recht.» Später werden gemeinsam Schlager gesungen. «Junge, komm bald wieder», tönt es vielstimmig durch den Aufenthaltsraum. Die Pflegehilfe ist auch eine Jukebox, die auf Wunsch Musik abspielt. Denn bei «Jenny» handelt es sich um einen in Deutschland erfundenen Assistenzroboter mit Greifarm, Tablet, Laser-Scanner und Kamera. Er absolvierte bisher erst zu Forschungszwecken ein Praktikum im Pflegeheim.

Die Roboter sind los in einem deutschen Altenheim

Auch in Japan und in den USA entwickelte Blechgesellen, die Patienten hochheben, ihnen Essen eingeben und sie waschen können, sind erst Prototypen, weit weg von serieller Produktion und noch nicht im Pflegealltag angekommen. Anders sieht es bei Sozialrobotern wie Paro aus, einer kleinen Kuscheltier-Robbe aus Japan, die auch in Schweizer Pflegeheimen schon in die Betreuung von Menschen mit Demenz integriert wird. Das mit Sensoren ausgestattete Wesen fiept wohlig, wenn es Streicheleinheiten erhält.

Nicht ersetzen, sondern entlasten

Sozialroboter wie die Robbe Paro seien «recht gut einsetzbar», sagt Maria Schubert, Professorin und Co-Leiterin der Forschungsstelle Pflegewissenschaft an der ZHAW: «Sie erzielen bei manchen Menschen eine beruhigende Wirkung.» Getestet würden auch Roboter wie der japanische Pepper. Er kann kommunizieren und, so das Versprechen der Hersteller, Emotionen anhand von Mimik, Gestik und Stimmlage interpretieren. Denkbar wäre er etwa bei Spitalpatienten mit Delir, also Verwirrtheitszuständen. Doch ist es aus pflegerischer Sicht nicht problematisch, Menschen mit kognitiven Einschränkungen Roboter vorzusetzen? Kommt drauf an, antwortet die Wissenschaftlerin: «Wenn für den verwirrten Patienten sonst die Fixierung am Bett die Alternative ist, ist der Roboter angenehmer.»

Schubert ist derzeit an einem Forschungsprojekt mehrerer Schweizer Hochschulen beteiligt, das Chancen und Risiken von Sozialrobotik untersucht. Sie wirft einen nüchternen Blick auf das kontrovers diskutierte Thema. Pflegerobotik weckt Befürchtungen, die Pflege werde entmenschlicht und künftig würden aus Spargründen Maschinen das Personal ersetzen. Doch gezielt eingesetzt, könnten Roboter das Personal unterstützen und entlasten, stellt die Forscherin fest, besonders bei einfachen und wiederkehrenden Tätigkeiten: «Der Roboter gerät nicht in Stress, wenn er etwas zwanzig Mal erklären muss.» Das Personal gewinne Zeit, was angesichts knapper Ressourcen ein Vorteil sei. In Alterseinrichtungen könne Robotik für Abwechslung und Unterhaltung sorgen und so die Betreuungsmöglichkeiten erweitern.

Einsatz genau definieren

Maria Schubert nimmt in jüngster Zeit eine wachsende Offenheit beim Pflegepersonal wahr. Sie betont: «Aktuell müssen wir uns keine Sorgen machen, dass Roboter Pflegefachpersonen ersetzen.» Aus dem einfachen Grund, weil Roboter gar nicht alleine pflegen und lediglich Teilaufgaben übernehmen können. Keine Maschine reiche an das Fachwissen und die Empathie des Pflegepersonals heran. Roboter scheiterten heute ja noch an den einfachsten Dingen: Teppichen, Schiebetüren. Auch zahlenmässig habe ihr Einsatz Grenzen. In einem Spital könnten nicht Hunderte Roboter herumschwirren.

Damit es gut kommt mit der Robotik, müssen aus Sicht der Pflegewissenschaftlerin Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens gelte es genau zu definieren, wo Roboter von Nutzen seien. Dabei müsse das Pflegepersonal mitreden können. Zweitens seien offene Fragen zu klären, punkto Haftung, Datenschutz und Ethik. Schubert nennt eine ganze Reihe solcher Fragen, darunter: Wer haftet, wenn der Roboter einen Fehler macht? Welche Daten erfasst er? Darf ein Roboter mit einer deliranten Patientin allein gelassen werden? Ist es zulässig, ihm die Stimme der Tochter zu geben, wenn er einem Heimbewohner mit Demenz vorliest?

Gute Noten für Reha-Roboter

Anders als bei der Pflege sind in der Gesundheitstherapie Roboter seit einigen Jahren Standard. «Robotikgestützte Technologie wird in vielen Schweizer Reha-Kliniken eingesetzt», weiss Verena Klamroth. Die Neurologin und Dozentin am ZHAW-Institut für Ergotherapie forscht schon länger zum Thema. Was ein Reha-Roboter draufhat, erläutert sie am Beispiel des Schlaganfalls. Das häufige Krankheitsbild kann halbseitige Lähmungen zur Folge haben. Vereinfacht gesagt muss das Hirn wieder lernen, einen Arm zu bewegen, etwa um eine Tasse zu greifen. Der Lerneffekt stellt sich auch dann ein, wenn der Arm passiv bewegt wird.

Wichtig sei, dies intensiv zu wiederholen, sagt die Medizinerin: «Da schafft der Roboter eine Häufung, die der Therapeut in einer Stunde nie erreichen wird.» Zu schwer sei der Arm des Patienten. Der nimmermüde Trainingsroboter erkennt dank Künstlicher Intelligenz auch, wann der Patient die Bewegung selbstständig auszuführen beginnt, und nimmt sich zurück. Damit die Armbewegung nicht monoton ausfällt, ist der Roboter mit virtueller Realität verbunden: Der Patient macht auf dem Monitor ein Ballspiel oder führt einfache Aufgaben in der Küche aus. Studien zum Therapieerfolg zeigen: Die Roboter machen ihre Sache prima, sogar leicht besser als der Therapeut.

«Nur ein Werkzeug»

Dennoch werde der Roboter nie den Therapeuten ersetzen, ist auch diese ZHAW-Expertin überzeugt. Der Roboter kriege zwar das rein motorische Training gut hin, doch höhere Therapieziele wie Aktivität oder Teilhabe im Leben seien ihm zu komplex. Da brauche es immer noch die fachliche Expertise. «Robotik ist nur ein Werkzeug», unterstreicht Klamroth. Das Berufsbild der Ergo- und Physiotherapie werde sich aber insofern verändern, als es in bestimmten Bereichen künftig eine Zusatzausbildung brauche, um mit der Technologie umzugehen.

Denn diese entwickelt sich rasch weiter. Robotik wird nicht mehr nur bei neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall oder Parkinson eingesetzt, sondern immer mehr auch in der Orthopädie. Für vielversprechend hält die Forscherin Assistenzsysteme wie die intelligente, im 3-D-Drucker hergestellte Handprothese: «Es gibt inzwischen Prothesen mit Gefühlen.» Diese Roboterhände wüssten sogar mit einem rohen Ei umzugehen.


Roboter als Kostensenker?

Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen Jahr für Jahr, so auch die Krankenkassenprämien. Ist Robotik-Technologie ein Mittel dagegen? Wenn ja, mit welchen Folgen? «Ich bin vorsichtig optimistisch, dass der Einsatz von Robotik und anderen Digital-Health-Lösungen ein guter Beitrag sein kann, um sowohl die Qualität der Gesundheitsleistungen zu erhöhen als auch die Kosten zu dämpfen», sagt der Gesundheitsökonom Alfred Angerer, Professor an der ZHAW. Ein Roboter sei pro Stunde Einsatz in der Regel günstiger als ein Mensch, die Preise für Anschaffung und Wartung der Robotik dürften in einem Hochlohnland wie der Schweiz relativ rasch amortisiert sein. Studien dazu fehlten aber noch, so Angerer. Und Technologie allein reiche nicht aus, um aus der Kostenspirale rauszukommen, relativiert er. Auch müsse das Personal nicht bangen, bald überflüssig zu werden. Die Entwicklung von Robotik werde derzeit nicht aus Kostensicht vorangetrieben, im Vordergrund stünden Fortschritte bei der Qualität und die Entlastung des Gesundheitspersonals: «Der Fachkräftemangel ist so gross, dass jede technische Hilfe willkommen ist.»

 

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