Schlauer unterwegs

19.06.2019
2/2019

Wie kommen neue Mobilitätskonzepte bei Pendlerinnen und Pendlern an, und wie können sie zu mehr Nachhaltigkeit beitragen? Das Institut für Nachhaltige Entwicklung der ZHAW hat sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

Nur nicht stehenbleiben – das scheinen wir in den letzten Jahrzehnten nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinn verinnerlicht zu haben. Ständig gehen wir irgendwohin, zur Arbeit, ins Fitness, ans Klassentreffen. Wir sind nicht nur öfter unterwegs, sondern bewegen uns auch über weitere Strecken und längere Zeiträume fort. Mehr Mobilität bedeutet aber immer auch: im Stau stecken, im Zug stehen, auf verspätete Busse warten.

Vier Millionen Arbeitswege

Ein Viertel der gesamten Strecke, die wir in der Schweiz täglich zurücklegen, macht der Arbeitsweg aus. Die Statistiker zählen zu den Pendlern alle Erwerbstätigen, die für ihre Arbeit aus dem Haus gehen. Ein grosser Teil dieser knapp 3,9 Millionen Menschen verlässt nicht nur die Wohnung, sondern auch die Wohngemeinde. Pendler brauchen im Durchschnitt eine halbe Stunde beziehungsweise legen knapp 15 Kilometer zurück, bis sie an ihrem Arbeitsplatz sind. Die Hälfte fährt mit dem Auto ins Geschäft, etwa ein Sechstel nimmt den Zug, eine von zehn geht zu Fuss, einige wenige steigen aufs Fahrrad oder das E-Bike .

In Zürich pendeln 24% mit dem Auto in Lugano zwei Drittel

«Den Druck spüren insbesondere die urbanen Zentren wie Zürich, Basel oder Genf», sagt Raphael Hörler, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Nachhaltige Entwicklung an der ZHAW. Der Stellenwert des Autos fällt jedoch je nach Stadt sehr unterschiedlich aus: Sind in Lugano fast zwei Drittel aller Pendler mit dem Auto unterwegs, ist es in Basel nur gerade ein Fünftel; auch Zürich (24 %) und Genf (27 %) liegen deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt, was den Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Pendlerverkehr betrifft. Den hohen Wert in Lugano erklärt Hörler unter anderem mit der Topografie der Stadt, die von steilen Hängen und Hügeln umgeben ist; das macht sie ungünstiger für den öffentlichen Verkehr. Zudem sind in Lugano am Arbeitsort oft mehr und günstigere Parkplätze vorhanden als in anderen Kernstädten, was dem Vorzug des Autos ebenfalls Vorschub leistet.  

Projekt «Smart Commuting»

Die ZHAW hat im Projekt «Smart Commuting» am Beispiel von Basel untersucht, wie offen Pendlerinnen und Pendler für neue Mobilitätslösungen sind – dabei standen Angebote wie Car-Sharing und Ride-Sharing im Fokus sowie Systeme wie Mobility-as-a-Service (MaaS), die das Planen, Buchen und Bezahlen verschiedener Mittel und Methoden des Transports ermöglichen und eine Dienstleistung bieten, die auf die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen zugeschnitten ist.

  «Mit dem Projekt wollten wir den Fragen auf den Grund gehen, wie das Pendeln nachhaltiger werden beziehungsweise eine CO 2 -Reduktion erreicht werden kann und was einer solchen Entwicklung bislang im Weg steht», erklärt Hörler. Er hat diese Fragen gemeinsam mit anderen Forschenden der ZHAW untersucht. «Smart Commuting» wurde vom Bundesamt für Energie unterstützt und ist Teil des Förderprogramms ERA-NET Cofund Smart Cities and Communities (ENSCC), eines Netzwerks zur Weiterentwicklung des europäischen Forschungsraums. Zum Programm gehören neben der Fallstudie aus der Schweiz auch Untersuchungen aus Österreich und Finnland.

Bremen, London, Kopenhagen

Ein Blick auf diverse Städte Europas zeigt, wie unterschiedliche Mobilitätslösungen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen können: So hat Bremen vor einigen Jahren den Hub «mobil.punkt» ins Leben gerufen – Car-Sharing-Stationen in der Nähe des öffentlichen Verkehrs, die mit dem Bus, zu Fuss und mit dem Velo gut erreichbar sind und für Letztere auch Abstellplätze bieten. Rund ein Drittel der Personen, die das Car-Sharing nutzen, lassen ihr eigenes Auto gemäss einer Untersuchung von 2016 dank dieser Möglichkeit zu Hause, das sind fast 4000 Fahrzeuge.

London hat bereits 2003 eine Staugebühr eingeführt. Sie muss von allen Fahrzeugen entrichtet werden, die werktags zwischen 7 und 18 Uhr in die Innenstadt fahren, Ausnahmen sind Taxis oder Elektroautos. Die Registrierung der Nummernschilder ein- und ausfahrender Fahrzeuge erfolgt über Kameras. Die Zahl der Autos im Zentrum hat bereits in den ersten Jahren um ein Drittel abgenommen: Pendler stiegen auf öffentliche Verkehrsmittel um, nutzten Car-Sharing-Angebote oder bewegten sich in der Innenstadt mit Taxi oder Motorrad fort. Der Londoner Ansatz wurde von vielen weiteren Städten übernommen.

«Nachhaltige Mobilität lässt sich nicht allein mit guter Infrastruktur erreichen.»

Kopenhagen ist schon lange bekannt für seine Pro-Velo-Strategie, die es bereits seit den siebziger Jahren verfolgt. Fast die Hälfte aller Erwerbstätigen fährt in der dänischen Hauptstadt mit dem Velo zur Arbeit oder in die Schule. Spitzenreiter in Sachen Bike-Sharing war aber lange Paris: Die Kapitale Frankreichs hat 2007 mit einer Werbeagentur ein entsprechendes Angebot eingeführt, eine Public-Private Partnership. Die Zahl der Pendler, die fortan mit einem Vélib-Velo ins Büro fuhren, verdoppelte sich innerhalb kurzer Zeit. 

All diesen Initiativen sei etwas gemeinsam, sagt Hörler: «Nachhaltige Mobilität lässt sich nicht allein mit guter Infrastruktur erreichen.» Es brauche die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen wie auch die Medien, die neue Technologien und Angebote bekannt machen und wichtige Zielgruppen erreichen.

Problemzone Gratisparkplatz

Obwohl Basel 2016 mit Catch a Car als erste Schweizer Stadt einen Free-Floating-Dienst für Autos eingeführt hat – ein solcher erlaubt einem, das Fahrzeug auf irgendeinem öffentlichen Parkplatz statt an einem fixen Standplatz abzustellen –, ist die Offenheit gegenüber solchen Angeboten eher gering. Car-Sharing und Ride-Sharing werde selten genutzt, heisst es im Projektbericht «Smart Commuting». Gerade Letzteres ist auch wenig bekannt. Flexibilität und Privatsphäre gehören zu den Hauptargumenten für das eigene Auto, Einschränkungen diesbezüglich werden ungern hingenommen.

Sharing-Angebote wie Mobility, Catch a Car oder Sharoo werden – in der Schweiz wie auch im übrigen Europa – meistens als Mittel zur Kosteneinsparung gesehen und nicht vorrangig zur Entlastung von Verkehr und Umwelt. Es sind denn vor allem junge Menschen und solche mit eher niedrigem Einkommen, die am ehesten Interesse daran zeigen. Entsprechend sollten sich Strategien und Informationskampagnen mit dem Ziel breiterer Bekanntheit und Akzeptanz am Anfang auf diese Gruppen konzentrieren, so die Autoren von «Smart Commuting».

«Ein professionelles Mobilitätsmanagement sollte auch in Unternehmen selbstverständlich sein.»

«Ein professionelles Mobilitätsmanagement sollte auch in Unternehmen selbstverständlich sein», findet Hörler. Als Beispiel nennt er etwa das Paul-Scherrer-Institut: Der Betrieb verfügt über einen Verleih von Fahrrädern für seine Angestellten, bietet eine firmeneigene Plattform für Fahrgemeinschaften, führt mit den örtlichen Verkehrsbetrieben Gespräche über eine zusätzliche Buslinie – und hat kürzlich die jährlichen Parkplatzgebühren verdoppelt.

Es müssten nicht nur neue Angebote geschaffen, so Hörler, sondern auch falsche Anreize abgeschafft werden. Gratisparkplätze etwa trügen wesentlich zum Entscheid bei, mit dem Auto zur Arbeit zu kommen. Nachhaltigere Lösungen entstünden aber oftmals nicht unbedingt aus Umweltüberlegungen, sondern schlicht aus Notwendigkeit heraus – etwa wenn ein Unternehmen umzieht oder ein zusätzliches Gebäude errichtet und der Platz für Parkplätze nun auf einmal knapp ist.

Flanieren statt flitzen

Zeitgemässes und zukunftsträchtiges Pendeln bedeutet auch, die langsamste aller Fortbewegungsmöglichkeiten attraktiver und sicherer zu machen: «Es soll Spass machen, zu Fuss unterwegs zu sein», sagt Hörler. Grünere Strassen und breitere Wege sollen einladen zum Spazieren, Flanieren, Bummeln. Nachhaltige Mobilität bedeutet schliesslich immer auch die Frage: «Wie kann man leben und arbeiten, indem man grundsätzlich etwas weniger unterwegs ist?»

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