Sollen Roboter Steuern zahlen?

24.09.2019
3/2019

Wo die Digitalisierungswelle Arbeitsplätze eliminiert, fallen Lohnbeiträge an die Sozialversicherungen weg. Eine Robotersteuer soll das ausgleichen. ZHAW-Experten können dieser Idee wenig abgewinnen.

Der Verband Angestellte Schweiz hat zu seinem 100-Jahr-Jubiläum einen Roboter als Mitglied aufgenommen, um «ein Zeichen» zu setzen. Auch die Gewerkschaft Medien und Kommunikation (Syndicom) sieht die digitale Transformation kritisch. «Roboter und digitalisierte Dienstleistungen bezahlen keine AHV», hielt sie im Manifest «Digitale Arbeitswelt» fest, «eine Steuer auf intelligente Maschinen, digitalisierte Dienstleistungen und Roboter muss das kompensieren.» Microsoft-Gründer Bill Gates hält «eine Art von Robotersteuer» ebenfalls für eine gute Sache.

Steuerbonus für Pflegeroboter?

Uwe Koch vom Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe am Departement Soziale Arbeit der ZHAW sieht das anders. «Eine Robotersteuer ist nicht der richtige Ansatz», sagt der Dozent und Experte im Bereich Sozialpolitik und Sozial­versicherungen. Es sei unklar, was als Roboter überhaupt besteuert werden könnte. Bei Self-Scanning-Kassen scheint es noch nachvollziehbar. Aber wie sieht es beim Robo-Advisor der Bank aus? Wird die Rechenleistung besteuert? Das verwaltete Vermögen? Und erhalten «Pflegeroboter» einen Steuerbonus, weil sie den Arbeits­kräftemangel lindern?

Innovationsfeindlich

Eine Robotersteuer wäre innovationsfeindlich, fügt Philipp Egli an, Leiter des Zentrums für 
Sozialrecht der ZHAW School of 
Management and Law. Sie bestrafe jene, die effiziente Technologien nutzen, und benachteilige sie gegenüber in- und ausländischer Konkurrenz. Eine solche Abgabe müsste global oder zumindest europaweit gelten. Doch das EU-Parlament lehnte 2017 eine Einführung ab.

Gegen strukturelle Arbeitslosigkeit

Dennoch besteht Handlungsbedarf. Der Bundesrat schliesst mittel- und langfristige Risiken wie «zum Beispiel strukturelle Arbeitslosigkeit» nicht aus, wie er im Dezember 2018 festhielt. Erste Anzeichen gibt es schon heute: Einfache, repetitive Arbeiten fallen weg. «Besonders für ältere, niedrig qualifizierte Angestellte ist es schwer, sich nach einem Jobverlust wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren», bestätigt Koch. So ist die Zahl der 55- bis 64-jährigen Sozialhilfebezüger von 2010 bis 2016 um 50 Prozent gestiegen.

Existenzsichernde Überbrückungshilfe

Ein Vorschlag des Bundesrats will dieser Entwicklung entgegentreten. Ältere Angestellte sollen einen besseren Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten, ausgesteuerte Arbeitslose über 60 Jahre in engen finanziellen Verhältnissen eine existenzsichernde Überbrückungsleistung. Sie ist vergleichbar mit den Ergänzungsleistungen zur Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und der Invalidenversicherung (IV), die dort helfen, wo Renten die minimalen Lebenskosten nicht decken.

Zu viel Zeit verstreicht, bis Zuständigkeit geklärt ist

Die beiden ZHAW-Experten finden den Vorschlag an sich gut. Das Grundproblem löse er aber nicht, so Koch. Wenn etwa bei einem Jobverlust durch Automatisierung zudem gesundheitliche und soziale Gründe mitspielen, scheitere eine Reintegration oft daran, dass zu viel Zeit verstreiche, bis klar sei, welche Behörde zuständig sei. Die IV habe vielfältige Möglichkeiten für massgeschneiderte 
Lösungen, diese kommen aber insbesondere bei niedrig qualifizierten und älteren Versicherten nur nach strengen Kriterien zum Zug. Bei der Arbeitslosenversicherung seien die Möglichkeiten von Integrationsmassnahmen deutlich geringer und deren Wirkung umstritten.

«Die Sozialversicherungen und die Sozialhilfe müssen von ihrem 'Kässelidenken' wegkommen.»

Uwe Koch, ZHAW Soziale Arbeit

Philipp Egli stellt fest, dass sich die Digitalisierung auch anderweitig auswirken kann: Die IV blendet es bei der Prüfung von Rentenleis­tungen aus, wenn gesundheitlich beeinträchtigte Personen aus strukturell-wirtschaftlichen Gründen geringe oder gar keine Aussichten haben, sich in die Arbeitswelt, die sich durch Digitalisierung schnell und stark verändert, zu (re-)integrieren. Stattdessen wird auf einen fiktiven Arbeitsmarkt abgestellt, in dem ausreichend «Nischenarbeitsplätze» vorhanden sind. «Es ist Zeit, diese Praxis zu überdenken», so Egli.

«Wiedereingliederung ist auch angesichts des wachsenden Fachkräftemangels durch die Pensionierung der Babyboomer-Generation sinnvoll.»

Philipp Egli, ZHAW School of Management and Law

«Die Sozialversicherungen und die Sozialhilfe müssen von ihrem ‹Kässelidenken› wegkommen», fordert Koch. Er schlägt eine sanfte Weiterentwicklung des heutigen Systems vor, um Betroffene für die Digitalisierung fit zu machen: Wer ab 55 Jahren arbeitslos wird, erhält Zugang zu Wiedereingliederungsmöglichkeiten, wie sie die IV heute kennt. Ein Jobcoach unterstützt jede Person individuell dabei, eine ihr entsprechende Tätigkeit bis zur Pensionierung zu finden. Falls nötig, wird eine Umschulung bezahlt. Für die Kosten kommt eine Art Erwerbsausfallversicherung auf, gespeist aus den Töpfen der IV, der Arbeitslosenversicherung und der öffentlichen Hand. Längerfris­tig zahle sich dies aus: «Diese Menschen leisten bald wieder Beiträge an die Sozialversicherungen, sparen Alterskapital an und benötigen später wohl keine Ergänzungsleis­tungen.» Egli ergänzt: Eine solche Wiedereingliederung sei auch angesichts des wachsenden Fachkräfte­mangels durch die Pensionierung der Babyboomer sehr sinnvoll.

Mehrwertsteuer oder Erbschaftssteuer?

Falls durch die Digitalisierung aber doch die Lohnbeiträge an die Sozialversicherungen wegbrechen sollten, erwägt der Bundesrat eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Uwe Koch würde eine nationale Erbschaftssteuer bevorzugen. Das wäre sozialpolitisch besser vertretbar, da viel Kapital bei der älteren Generation liege und die Mehrwertsteuer insbesondere Personen mit wenig Einkommen belaste.

 

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