Antibiotikaresistenzen

Endolysine: Neues Mittel gegen Superkeime?

25.11.2025
2/2025

Antibiotikaresistenzen gefährden unsere Gesundheit. Forschende suchen daher nach Alternativen – und setzen dabei auch auf ungewöhnliche Helfer: Enzyme aus Viren, die gezielt Bakterien zerstören.

Immer mehr Bakterien sind in den letzten Jahren resistent gegen Antibiotika geworden. Medikamente verlieren an Wirkung – mit fatalen Folgen: Jährlich sterben weltweit über eine Million Menschen an Infektionen, die vor wenigen Jahrzehnten noch behandelbar waren. In der Schweiz führt das laut Bundesangaben zu 300 Todesfällen pro Jahr. In den kommenden 25 Jahren könnten resistente Keime weltweit insgesamt über 39 Millionen Todesfälle verursachen, warnt eine 2024 im Fachjournal «The Lancet» veröffentlichte Studie. «Bakterielle Infektionen könnten dann mehr Menschenleben fordern als heute Krebs», sagt Mathias Schmelcher, Molekularbiologe an der ZHAW.

Die Gefahr wächst leise und wird oft unterschätzt, stellt Schmelcher fest: «Wenn wir nicht handeln, fallen wir bei der Behandlung bakterieller Infektionen – überspitzt gesagt – ins Mittelalter zurück.» Selbst kleine Wunden wären wieder lebensbedrohlich, wenn Erreger eindringen würden. Aber auch die moderne Medizin wäre tangiert, etwa wenn Antibiotika bei Operationen an Kraft verlören. Ein Hauptgrund für die Resistenzbildung ist der grosszügige und oft unsachgemässe Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier.

Der Jäger und seine Waffe

Schon Penicillin-Entdecker Alexander Fleming warnte 1945 vor dieser Entwicklung, als er den Nobelpreis erhielt. Sein Appell, die evolutionären Prozesse zu bedenken, verhallte. Zu epochal war der medizinische Fortschritt, den das erste Antibiotikum brachte. Es stammte aus einem Schimmelpilz. 80 Jahre später suchen Forschende intensiv nach Alternativen. Hoffnungsträger sind Bakteriophagen, kurz: Phagen. Diese natürlich vorkommenden Viren befallen gezielt Bakterien. Zwei Ansätze stehen besonders im Fokus: Entweder wird der ganze Phage als Bakterienjäger eingesetzt oder nur eine seiner Waffen: ein Protein namens Endolysin.

Schmelcher selbst forscht seit Jahren an Endolysinen, zunächst an der ETH. Jetzt bringt er sein Wissen am Departement Life Sciences und Facility Management ein, wo bereits Phagen-Forschung betrieben wird. Um die Wirkung der Endolysine zu verstehen, hilft ein Blick auf den gesamten Phagen. Trifft dieser auf ein Bakterium, heftet er sich an und injiziert sein Erbgut. «Der Phage übernimmt die Kontrolle», so Schmelcher. Das umprogrammierte Bakterium produziert daraufhin lauter neue Phagen. Die Waffe Endolysin setzt der Jäger am Ende seines Vermehrungszyklus ein – um das Bakterium von innen heraus aufzulösen.

«2050 könnten bakterielle Infektionen mehr Menschenleben fordern als heute Krebs.»

Mathias Schmelcher, Fachgruppe Molekularbiologie und Biochemie

Für Menschen harmlos

«Als Enzym durchtrennt das Endolysin chemische Bindungen in der bakteriellen Zellwand», erklärt Schmelcher. Die Wand wird instabil und bricht unter dem internen Zelldruck zusammen. Das Bakterium platzt und setzt die jungen Phagen frei. Diese befallen weitere Bakterien – bis die Infektion besiegt ist. «Phagen sind für Menschen, Tiere und Pflanzen harmlos, da sie spezifisch Bakterien infizieren», betont Schmelcher.

Endolysine werden heute biotechnologisch hergestellt, indem man den genetischen Bauplan des Phagen nutzt. «Gegen viele Bakterien wirken sie auch, wenn man sie von aussen einsetzt», so Schmelcher. Technologisch lassen sich zudem verbesserte Eigenschaften massschneidern. Die Forschung steckt aber noch in den Anfängen, und bis zur breiten Anwendung als Wirkstoff wird es dauern. In Laborstudien, auch an Mäusen, haben sich Endolysine bereits bewährt. Erste klinische Studien liefern noch uneinheitliche Ergebnisse.

Vielversprechend gegen Problemkeim

Schmelcher sieht in Endolysinen grosses Potenzial. «Im Gegensatz zu gängigen Antibiotika wirken sie hochspezifisch», erklärt er. Sie töten nur den Zielerreger und schonen nützliche Bakterien im Darm oder auf der Haut. Zudem sei die Resistenzbildung sehr unwahrscheinlich. Der Grund: Endolysine zerstören ausschliesslich die für Bakterien lebenswichtige Zellwand – was es den Erregern schwer macht, sich anzupassen. «Einmal auf dem Markt, könnten Endolysine lange Zeit wirksam bleiben», sagt Schmelcher.

Besonders vielversprechend sind sie gegen Keime wie den Staphylokokkus aureus. Dieser lebt zwar oft harmlos etwa auf unserer Haut und unseren Schleimhäuten, kann aber durch Wunden oder Immunschwäche Krankheiten auslösen – von Hautabszessen über Hirnhaut- und Knochenentzündungen bis zu lebensgefährlichen Blutvergiftungen und Entzündungen der Herzinnenhaut. Bei Nutztieren verursacht er häufig Euterentzündungen. Staphylokokken-Infektionen sind aus zwei Gründen schwer zu behandeln.

«Angesichts der Antibiotika-Krise müssen wir beide Ansätze – Phagen und Endolysine – weiterentwickeln und klinische Daten sammeln.»

Mathias Schmelcher, Fachgruppe Molekularbiologie und Biochemie

Erstens sind bestimmte Stämme multiresistent, also gegen mehrere Antibiotika unempfindlich. Darunter MRSA – ein Superkeim, der vor allem in Spitälern Probleme bereitet und gegen den Endolysine nachweislich wirken. Zweitens «verstecken sich Staphylokokken gern in Nischen», erklärt Schmelcher. Sie leben in Biofilmen auf Schleimhäuten oder künstlichen Oberflächen wie Kathetern und Implantaten; oder sie ruhen in Körperzellen, bevor sie aktiv werden. Herkömmliche Antibiotika erreichen sie dort kaum, während Endolysine offenbar auch schlummernde Erreger ausschalten.

Mehr noch: Biotechnologisch designte Endolysine, die ins Blut injiziert werden, scheinen gezielt dorthin zu gelangen, wo Staphylokokken sitzen. «Im Tiermodell konnten wir die Bakterienzahl in infiziertem Knochengewebe signifikant senken», berichtet Schmelcher. Trotz dieser Vorteile bleiben Fragen offen, an denen auch er arbeitet. So baut der Körper Endolysine schnell ab oder scheidet sie aus, was ihre Wirkung zeitlich begrenzt. Zudem könnte das Immunsystem Antikörper bilden, die weitere Therapien unwirksam machen.

Die realistische Perspektive

Falls diese technischen Hürden überwunden werden, folgt die regulatorische: Die Behörden prüfen, ob ein Präparat wirksam und sicher genug ist, um als Arzneimittel zugelassen zu werden. Bei Endolysinen dürfte dies momentan einfacher sein als bei Phagen, glaubt Schmelcher. Proteinbasierte Medikamente sind etabliert, der Zulassungsprozess ist definiert. Phagen hingegen, die sich im Körper vermehren, gelten offensichtlich als schwerer kontrollierbar. Jedenfalls fehlt in den meisten Ländern ein rechtlicher Rahmen für diese seit über 100 Jahren bekannte Therapie. Praktiziert wird sie vor allem in Georgien, seit einigen Jahren auch in Belgien. In der Schweiz dürfen Phagen nur ausnahmsweise eingesetzt werden, wenn zugelassene Antibiotika versagen.

Schmelcher sieht keinen Grund, Endolysine und Phagen gegeneinander auszuspielen. Für bestimmte Bakterien mit anders gearteter Zellwand seien Phagen derzeit besser geeignet, sagt er und betont: «Angesichts der Antibiotika-Krise müssen wir beide Felder weiterentwickeln und klinische Daten sammeln.» Die Entwicklung treiben vor allem Startups und KMU voran, während grosse Pharmakonzerne bislang wenig Interesse zeigen. Eine realistische Perspektive sieht Schmelcher darin, Endolysine zunächst bei schweren Infektionen ergänzend zu Antibiotika einzusetzen. «Das würde uns im Kampf gegen Resistenzen wertvolle Zeit verschaffen», sagt er.

Antibiotiakeinsatz und -resistenzen in der Schweiz

Der «Swiss Antibiotic Resistance Report» (SARR) ist der nationale Bericht zur Lage der Antibiotikaresistenzen in der Schweiz. Der Bericht fokussiert nicht nur auf Antibiotikaverbrauch und Resistenzen in der Human- und in der Veterinärmedizin, sondern auch auf die Auswirkungen in der Umwelt. Der Bericht erscheint alle zwei Jahre:

Zum Bericht

Aufmacherbild: Adobestock/Vladimir Borovic

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