Sie machen Labore fit für die Zukunft

18.03.2020
1/2020

Die Qualität verderblicher Produkte wird in Labors überprüft. Das Startup 1LIMS, das von einem ZHAW-Studenten und drei Alumni geführt wird, ermöglicht effizientere, transparentere und sicherere Kontrollen.

Auf einem Transportwagen liegen Fleischstücke bereit. Die Lehrlinge der Micarna in Bazenheid haben gerade geschlachtet. Durch grosse Glasscheiben kann man sie nun beim Putzen beobachten. Im Labor am Ende des Gangs steht Alban Muret. Der Umweltingenieur und ZHAW-Absolvent trägt einen roten Labormantel, seine Schuhe stecken in blauen Plastiküberzügen. Vor ihm auf dem Tisch liegen kleine Glasbehälter mit Fleischproben, wie hier jährlich über 15’000 Stück untersucht werden. Muret zeigt auf den aufgeklebten QR-Code.

«Vom Messgerät direkt in eine Cloud – das ist in der Lebensmittelbranche noch selten.»

Philipp Osterwalder

«Alle Daten werden nun digital erfasst», sagt er. Vom Messgerät gingen sie direkt in eine Cloud. «In der Lebensmittelbranche ist dies noch selten», ergänzt sein einstiger Kommilitone Philipp Osterwalder, der an der ZHAW im letzten Jahr Umweltingenieurwesen studiert.

Die vier von der ZHAW

Der gelernte Chemielaborant Osterwalder ist mit der Qualitätssicherung von Produkten bestens vertraut. Er hat bei verschiedenen Arbeitgebern erlebt, wie Messdaten im Labor erhoben, manuell auf Papier festgehalten und dann im Büro in eine Excelliste übertragen werden. «Das ist aufwendig und fehleranfällig», sagt er. Mit der Idee, die Dokumentation zu digitalisieren, gründeten die Studienfreunde Muret und Osterwalder vor zwei Jahren 1LIMS. Sie holten dafür die ZHAW-Absolventen Jonas Greminger und Samuel Schmid ins Boot, die sich mit Modeso, einer Technologie-Agentur, bereits 2013 selbstständig gemacht hatten. Die vier, alle Anfang dreissig, kannten sich aus dem Freundeskreis, zwei hatten als Jugendliche zusammen Fussball gespielt.

«Wir haben das Rad nicht neu erfunden», sagt Muret. Im Hochpreissegment werden bereits entsprechende IT-Systeme verkauft. Sie bieten allerdings viel mehr Funktionen an, als sie der einzelne Anwender nutzt, und sie lassen sich kaum anpassen. «Unsere Software ist spezifischer», erklärt Samuel Schmid, der an der ZHAW School of Engineering in Systeminformatik abgeschlossen hat und für die technische Entwicklung zuständig ist. «Wir stellen eine Basis zur Verfügung, die individuell und ohne Programmierkenntnisse konfiguriert werden kann. Unsere Kunden sind nicht von uns abhängig.» 

«Der ganze Prozess ist einfacher, schneller und fast papierlos geworden.»

Stefania Cesarano, Micarna

Micarna war einer der ersten Kunden

Die vier Jungunternehmer sind mit einem Prototyp relativ früh auf potenzielle Interessenten zugegangen. Sie hatten ursprünglich vor allem kleine und mittlere Unternehmen im Visier. Als eines der ersten zeigte sich jedoch Micarna, einer der grössten Fleischverarbeiter der Schweiz, an einer Zusammenarbeit interessiert. «Das bestätigte uns, dass ein Marktbedarf da ist», erzählt Muret. Das 1LIMS-Team entwickelte sein Produkt darauf im engen Austausch mit Mitarbeitenden der Migros-Tochter weiter.

Jederzeit Zugang zu den Ergebnissen

Stefania Cesarano, Leiterin des Zentrallabors in Bazenheid, ist vom Resultat begeistert. «Wir haben bezüglich Sicherheit gewonnen», sagt sie. Es gebe weniger Fehlerquellen. Da die Messresultate nicht mehr von Hand notiert würden, komme es beispielsweise nicht mehr vor, dass einzelne Zahlen verdreht würden. «Der ganze Prozess ist einfacher, schneller und fast papierlos geworden», sagt sie. Für 80 Proben brauche ihr Team heute etwa drei Stunden weniger lang als früher. Pro Tag könne es nun bis zu 130 Proben verarbeiten. Das Prüfverfahren sei darüber hinaus transparenter geworden. Die über 20 Produktionsstandorte sind mit QR-Drucken ausgestattet worden. Sie kennzeichnen ihre Proben vor dem Versand mit einem eindeutigen QR-Code und haben danach stets Zugang zu deren Status und Ergebnissen. Stefania Cesarano spricht von einem «grossen Mehrwert». «Ich kann jetzt beruhigt in die Ferien fahren.»

Für die 1LIMS-Gründer ist die Kooperation ein Glücksfall. Sie konnten ihre Software am praktischen Beispiel optimieren und profitieren nun von der Referenz des etablierten Partners. Dieser ermöglicht es ihnen zudem, ihre Entwicklung in Bazenheid möglichen Neukunden zu demonstrieren. 

Spagat zwischen Studium und Firma

«Wir sind organisch gewachsen», sagt Alban Muret, der den Bereich Marketing und Sales verantwortet. Es habe schwierige Phasen gegeben. «Wir wussten nicht, was auf uns zukommt.» Immer wieder sei es darum gegangen, klare Ziele zu definieren und die knappen Ressourcen richtig einzusetzen. Dass zwei der vier Firmengründer zu Beginn noch mitten im Bachelorstudium waren, machte den Geschäftsaufbau nicht einfacher. «Ich musste ein paar Mal zwischen meinen persönlichen Prioritäten und jener der Firma abwägen», erinnert sich Muret. 

«Wir haben eine gute Konfliktkultur: Wir reden offen miteinander.»

Jonas Greminger

Unabhängig von Investoren

 «Wir ergänzen uns ideal», sagt Geschäftsleiter Jonas Greminger, der an der School of Management and Law Betriebswirtschaft studiert hat. «Wir haben eine gute Konfliktkultur: Wir reden offen miteinander.» Die vier sind sich einig: Um mit einem Startup Fuss zu fassen, braucht es einen starken Durchhaltewillen, Geduld, Hartnäckigkeit und Vertrauen in sich selbst. Man schwanke zwischen Hochs und Tiefs; davon dürfe man sich nicht zu stark beeinflussen lassen. Dass sie nie von einem Investor abhängig waren, habe sich als Vorteil erwiesen. «So standen wir nie unter Druck und konnten uns die Zeit nehmen, die wir benötigten.»

Das grosse Engagement, der Verzicht auf Ferien und Freizeit machen sich langsam bezahlt. 1LIMS betreut zurzeit rund zwanzig Kunden und führt vielversprechende Verkaufsgespräche. «Wir wollen jetzt schnell weiterwachsen», sagt Muret, auf die nächsten Ziele angesprochen. Die Labor-Software ist branchenneutral. Sie lässt sich überall dort einsetzen, wo Qualitätskontrollen durchgeführt werden. Dazu zählt neben der Lebensmittelbranche die produzierende und verarbeitende Industrie von Kosmetik-, Kunststoff-, Chemie- sowie Pharmaprodukten. Hinzu kommen Auftragslabore beispielsweise aus der Umweltanalytik. 

Für Thurgauer Award nominiert

Dass 1LIMS für den Thurgauer Jungunternehmerpreis «START award» (siehe Box) nominiert ist, dürfte der Verkaufsoffensive nützen. Die Auszeichnung vergibt das Startnetzwerk als Initiative der Industrie- und Handelskammer Thurgau alle zwei Jahre. «Sie erhöht unsere Bekanntheit», freut sich Samuel Schmid, der in Wigoltingen wohnt. Er werde häufig darauf angesprochen. «Es ist schön, in der Heimat Anerkennung zu erfahren», sagt er weiter und spricht damit auch für Osterwalder und Greminger, die ebenfalls Thurgauer sind.

Vom ZHAW-Netzwerk profitiert

Die Ausbildung an der ZHAW habe ihnen Türen geöffnet, erzählen die Entrepreneure. Die Hochschule stehe für Qualität. Auf sie zu verweisen, helfe bei der Akquisition. Sie profitierten vom Netzwerk, das sie sich im Studium aufgebaut haben, und hätten gelernt, aus vielen Informationen das Wesentliche herauszulesen. «Ich habe wertvolle mentale Werkzeuge erhalten», sagt Produktentwickler Philipp Osterwalder, der kurz vor dem Abschluss steht. Er könne Wissenslücken nun eigenständig füllen. 

Gegenseitige Unterstützung im Co-Working-Space

In Bazenheid werden die vier auch künftig hin und wieder anzutreffen sein. Zusammen mit der Micarna sind sie daran, eine Integrationsplattform zu entwickeln, welche in der Lage sein soll, alle Laborgeräte einfach und schnell ins interne Software-Netzwerk zu integrieren. An den IT-Lösungen arbeiten sie in einem Co-Working-Space in Zürich, wo noch andere Jungunternehmer eingemietet sind. Die Begegnungen am Arbeitsplatz seien inspirierend, berichten sie. «Jedes Startup hat seine Stärken und Schwächen. Wir unterstützen uns gegenseitig.»

Thurgauer Jungunternehmerpreis

1LIMS gehört zu den Finalisten des Thurgauer Jungunternehmerpreises «START award». Der Preis wird alle zwei Jahre vom Verein Startnetzwerk Thurgau verliehen. Das Startnetzwerk unterstützt und begleitet Gründerinnen und Gründer sowie Startups im Kanton mit verschiedenen kostenlosen Angeboten, wie beispielsweise einem individuellen Coaching durch eine Unternehmerpersönlichkeit oder spannenden Workshops. Informationen unter www.startnetzwerk.ch oder via WhatsApp unter 079 601 94 34.

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