Open Science: Wie Forschende arbeiten, verändert sich grundlegend
Open Science macht wissenschaftliche Arbeit und Entwicklung transparenter und erhöht den Erkenntnisgewinn. Die ZHAW geht bei dieser Bewegung, die weltweit an Bedeutung gewinnt, voran und gestaltet den Transformationsprozess auch auf nationaler Ebene mit.
Der Grundgedanke von Open Science ist einfach: «Wissen, das durch öffentlich finanzierte wissenschaftliche Projekte generiert wird, ist ein öffentliches Gut, welches geteilt werden muss», beschreibt Jean-Marc Piveteau, Rektor der ZHAW, das Prinzip. Es soll der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. So sollen beispielsweise nicht nur Publikationen (Open Access), sondern auch Forschungsdaten offengelegt werden (Open Research Data). Dadurch sollen wissenschaftliche Prozesse besser nachvollziehbar und effizienter werden. Interessierte sollen zudem die Möglichkeit erhalten, sich einzubringen und vorhandene Daten für eigene Projekte zu nutzen.
Dieses Verständnis hat in den letzten Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen. Die UNESCO ist daran, für Open Science gemeinsame Werte und Grundätze festzulegen. Bis Ende Jahr will sie ihren Mitgliedstaaten entsprechende Empfehlungen unterbreiten. Der Bund und die Schweizer Hochschulen beschäftigen sich ebenfalls intensiv mit dem Thema.
«An Open Science führt kein Weg vorbei»
Swissuniversities, die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen, hat 2017 eine nationale Open-Access-Strategie verabschiedet. Diese sieht unter anderem vor, dass bis 2024 alle wissenschaftlichen Beiträge, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, online verfügbar sein müssen. Ende Mai hat swissuniversities die Nationale Open Research Data (ORD) Strategie veröffentlicht, die sich mit der Verbreitung der Forschungsdaten befasst. «Open Science wird die Forschungspraxis fundamental ändern», sagt Piveteau, der bei swissuniversities die Delegation Open Science leitet. «Es ist entscheidend, dass wir uns aktiv an diesem Prozess beteiligen.»
«So offen wie möglich, so geschützt wie nötig.Wir müssen Richtlinien und Best Practices entwickeln, die zeigen, ob, wann und wie kommerziell sensible Daten offen zugänglich gemacht werden sollen.»
In der Europäischen Union (EU) sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei öffentlich finanzierten Projekten bereits heute dazu verpflichtet, ausführlich zu informieren und Forschungsdaten zu teilen. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) geht ebenfalls diesen Weg. Der Druck, wissenschaftliche Befunde zu teilen, dürfte gemäss Piveteau weiter zunehmen. «Wir sollten proaktiv vorangehen. Es ist wichtig, dass die Fachhochschulen die Rahmenbedingungen mitgestalten. Denn an Open Science führt kein Weg vorbei.»
Bedürfnisse privater Firmen werden berücksichtigt
An der ZHAW treibt seit 2018 eine interdepartementale Fachgruppe die Transformation voran. «Wir müssen einen eigenen Zugang zu Open Science entwickeln», sagt Martin Jaekel, Leiter der Stabsstelle des Ressorts Forschung und Entwicklung (F&E). Anders als Universitäten, die zu einem grossen Teil Grundlagenforschung betreiben, arbeitet die Fachhochschule stark mit Industriepartnern zusammen. Diese wollen wissenschaftliche Resultate und innovative Entwicklungen meist kommerziell nutzen. Im Gegensatz zu Stiftungen oder öffentlichen Geldgebern haben sie folglich wenig Interesse daran, Forschungsdaten einem grösseren Kreis offenzulegen.
Schon heute werde bei solchen Kooperationen vorgängig vereinbart, wer die Resultate dereinst nutzen dürfe, erklärt Rektor Piveteau. «Da muss man eine Balance finden: So offen wie möglich, so geschützt wie nötig.» Der Privatsektor sei für die Fachhochschule von entscheidender Bedeutung. Diese Zusammenarbeit dürfe nicht gefährdet werden. «Es besteht daher die Notwendigkeit, Richtlinien und Best Practices zu entwickeln, ob, wann und wie kommerziell sensible Daten offen zugänglich gemacht werden sollen.»
Mitarbeitende erhalten Unterstützung
Wenn Forschung transparenter werden soll, gilt es nicht nur, kommerzielle Absichten und die Frage nach dem geistigen Eigentum zu berücksichtigen. Auch der Datenschutz sowie ethische Aspekte haben einen Einfluss darauf, was veröffentlicht werden darf. Die ZHAW hat externe und interne Vorgaben in Policies festgehalten. Sie hat ihre Forschungsabteilungen befragt und mehrere Pilotprojekte durchgeführt. Die Erkenntnisse daraus fliessen nun in den Aufbau einer neuen Servicestelle für Forschungsdaten ein, die vom Ressort F&E, der ICT (Information & Communication Technology) und der Hochschulbibliothek betrieben wird.
«Um das Potenzial offener Datensätze optimal zu nutzen, brauche es eine geeignete Infrastruktur und Unterstützung beim Veröffentlichungsprozess.»
«Um das Potenzial offener Datensätze optimal zu nutzen, brauche es eine geeignete Infrastruktur und Unterstützung beim Veröffentlichungsprozess», sagt Andreas Fürholz, Beauftragter Koordination der Servicestelle. Die Daten müssten nach fachspezifischen «Best Practices» erhoben, aufbereitet und veröffentlicht werden, damit sie tatsächlich weiterverwertet werden könnten. Die neue Servicestelle unterstützt Mitarbeitende dabei. Sie führt Schulungen durch, leistet persönlichen Support und stellt technische Tools sowie die benötigte Infrastruktur zur Verfügung. Die Angebote würden rege genutzt, berichtet Elena Šimukovič, die an der Hochschulbibliothek den Bereich Research & Infrastructure leitet. Dies sei teilweise auf die Pandemie zurückzuführen, welche dem virtuellen Lernen und Forschen Aufschwung gegeben habe. «Das Bewusstsein für das Thema ist geschärft worden.»
«Wer qualitativ hochstehende Rohdaten offenlegt, muss einen Benefit haben.»
Die Hochschulbibliothek macht wissenschaftliche Arbeiten, Beiträge und Bücher, die an der ZHAW entstehen, seit mehreren Jahren über die «digitalcollection» online zugänglich. Ob sie künftig auch ein digitales Repositorium für Forschungsdaten betreiben wird, ist allerdings fraglich. Ein solches aufzubauen, wäre aufwendig. «Man ist sich weitgehend einig, dass solche Daten bei den jeweiligen Fachdisziplinen am besten aufgehoben sind», sagt Elena Šimukovič. Schweizweite und internationale Lösungen stünden derzeit im Vordergrund.
Berechtigte Bedenken
Und die Forschenden selbst? Sind sie bereit, ihr Wissen weitgehend zu teilen? «Legitime Vorbehalte sind da», sagt Jean-Marc Piveteau. Der Nutzen von Open Science sei für den Einzelnen nicht immer fassbar. Martin Jaekel spricht von einer grossen Hürde, die es zu überwinden gelte. «Wer qualitativ hochstehende Rohdaten offenlegt, muss einen Benefit haben», stellt er klar. Diese Transparenz müsse wertgeschätzt werden und der Karriere dienen.
«Die Bewertungs- und Anreizstrukturen müssen geändert werden.»
Bislang seien Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stark danach beurteilt worden, in welchen akademischen Fachzeitschriften sie publizierten, gibt Elena Šimukovič zu bedenken. Mit Open Science müssten sie ihre Arbeit transparenter und umfassender dokumentieren, wovon das Wissenschaftssystem als Ganzes profitieren könne. Dies lasse sich für den Einzelnen nur rechtfertigen, wenn diese Leistungen entsprechend honoriert würden. «Die Bewertungs- und Anreizstrukturen müssen geändert werden.»
Kulturwandel
Open Science bedingt einen Kulturwandel. «Die wissenschaftliche Arbeit wird sich grundlegend ändern», ist ZHAW-Rektor Piveteau überzeugt. Er verweist auf zwei Fachrichtungen, in denen bereits eine gewisse Offenheit gelebt wird. So ist es in der Pharmabranche zur Qualitätssicherung entscheidend, dass Studienresultate reproduziert werden können. In der IT-Branche sorgen offene Prozesse (Open Source) für eine fortschreitende Qualität der Entwicklungen. Die verschiedenen Disziplinen seien bezüglich Open Science unterschiedlich weit, sagt Piveteau. «Wir müssen die Forschungsgemeinschaften unterstützen und sie dort abholen, wo sie sind.»
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