Arbeiten mit 50 Plus: Abstellgleis oder neue Wege?

24.09.2019
3/2019

Warum fühlt sich die Generation Ü50 trotz grossem Karriereangebot oft missverstanden? Claudia Sidler-Brand forscht auch aus persönlicher Erfahrung zu den Berufsperspektiven älterer Menschen.

Vor ihrer akademischen Laufbahn war Claudia Sidler-Brand lange Jahre für einen grossen Finanzdienstleister und in der Beratung tätig. Was die heutige Dozentin und Projektleiterin dort erlebte, hat sie nachhaltig geprägt. Ein jüngerer Arbeitnehmer ersetzte einen älteren. Anstatt dass dieser seine umfangreichen Kompetenzen weiterhin für die Firma nutzen konnte, landete er auf dem Abstellgleis. Er sass fortan in seinem Kämmerchen und las Zeitung – bis zu seiner Pensionierung. Dieses Erlebnis hat die weitere Arbeit der Soziologin und Politikwissenschaftlerin massgeblich geprägt. Heute forscht sie zu Berufskarrieren, die sich im Zuge der Digitalisierung und der Alterung der Bevölkerung stark verändern. Aktuell untersucht sie Hürden neuer Karrieremodelle für älterer Arbeitnehmende im Rahmen des ZHAW-Forschungsschwerpunktes «Gesellschaftliche Integration».

Das grosse Angebot der flexiblen Karrieremodelle wird wenig genutzt

Ein Begriff, der im Zusammenhang mit neuen Karrieremodellen für ältere Arbeitnehmende oft fällt, ist «Bogenkarriere». Unter diesen Sammelbegriff fallen verschiedene flexible Karrieremodelle, wie zum Beispiel die Abgabe von Verantwortung und Führungsaufgaben oder der Wechsel zu Projektarbeit. Laut der Studie von Sidler-Brand und ihren Kollegen bieten 60 Prozent der befragten Unternehmen solche Modelle an. «Mich hat das immense Angebot überrascht», sagt Sidler-Brand. Genutzt wird es aber in einem bedeutend geringeren Ausmass (nur von 30 Prozent der Befragten). «Der Grund dafür ist, dass die Arbeitnehmenden die Haltung des Unternehmens hinter diesen Angeboten nicht spüren», erklärt Sidler-Brand. Geht es dem Unternehmen um Kosteneinsparung, Umstrukturierung oder Entlastung der Mitarbeitenden – oder gar darum, sie bis über das Pensionsalter hinaus zu beschäftigen? In den Umfragen kam heraus, dass ältere Arbeitnehmende Bogenkarrieren mehrheitlich mit einem Abstellgleis konnotieren. Sie sehen einen verstecken Kostenabbau dahinter. Es fehle oft ein durchdachtes und transparentes Konzept für ältere Arbeitnehmende, so Sidler-Brand.

«Ältere Menschen haben ein unglaubliches Erfahrungswissen, das sich nicht in Zertifikaten wie CAS oder Master widerspiegelt. »

Claudia Sidler-Brand

Bei der Untersuchung handelt es sich um ein interdisziplinäres Projekt. Beteiligt sind das Zentrum für Sozialrecht, unter der Leitung von Philipp Egli, und das Zentrum für Human Capital Management, wo Claudia Sidler-Brand tätig ist. Die Forschenden haben in einem ersten Schritt branchenübergreifend rund 300 Personalexperten zu Beschäftigungsmodellen für ältere Arbeitnehmende befragt. In einem zweiten Schritt führten sie explorative Interviews durch mit Führungskräften, älteren Mitarbeitenden und Personalexperten.

Es muss ein Umdenken stattfinden

Claudia Sidler-Brand ist überzeugt, dass ein Umdenken stattfinden muss. «Ältere Menschen haben ein unglaubliches Erfahrungswissen, das sich nicht in Zertifikaten wie CAS oder Master widerspiegelt. Gerade in einer so schnelllebigen digitalisierten Welt sollten wir dieses Potenzial nutzen.» Das Tempo und der Arbeitsrhythmus seien nicht gleich wie bei einem 20-Jährigen, sagt Sidler-Brand. Dafür sei aber die Erfahrung umso grösser.

Ein weiteres Problem sei, dass der Unterschied zwischen Jung und Alt momentan noch zu stark durch die eigentlich gut gemeinten sozialen Sicherungssysteme zementiert werde. Darum wollen sich die Wissenschaftler rund um Claudia Sidler-Brand im nächsten Teil der Forschung auf den Einfluss der beruflichen Vorsorge auf die Situation der älteren Arbeitnehmenden konzentrieren.

 

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