Auf der Suche nach einem Mittel gegen Covid-19
Weltweit wird intensiv nach neuen Medikamenten und Impfstoffen gegen Covid-19 gesucht. Forschende des ZHAW-Instituts für Chemie und Biotechnologie arbeiten an zentraler Stelle bei der Entwicklung mit.
Fast die ganze ZHAW befindet sich im Home-Office. «Wir erhalten nur einen Minimalbetrieb aufrecht», sagt Christian Hinderling, Leiter des Instituts für Chemie und Biotechnologie in Wädenswil. «Wer momentan in den Labors arbeiten will, muss eine Ausnahmegenehmigung beantragen.» Das Regime ist streng: Eine Bewilligung gibt es nur für wichtige Wartungs- und Unterhaltsarbeiten, für dringende Projekte, für lange Versuchsserien, die man nicht einfach unterbrechen kann – sowie für Forschung, die mit dem neuen Coronavirus zu tun hat.
Drei Forschungsteams beteiligt
Davon gibt es am Institut ziemlich viel. So sind insgesamt drei Forschungsteams an der Impfstoff- und Medikamentenentwicklung gegen Covid-19 beteiligt. Die Fachstelle Bioverfahrens- und Zellkulturtechnik um Regine und Dieter Eibl engagiert sich im Impfstoff-Projekt des Immunologen Martin Bachmann vom Inselspital Bern. Das Forscherpaar wurde um Unterstützung angefragt, weil es über ein sehr gut ausgerüstetes Labor und über zwanzig Jahre Erfahrung in der Entwicklung biotechnologischer Produktionsprozesse verfügt. «Als die Anfrage aus Bern kam, hielten wir Rücksprache mit Mitgliedern unserer Gruppe – vorwiegend junge Leute», sagt Regine Eibl. «Die waren alle hochbegeistert und wären am liebsten gleich ins Labor gestürzt, um loszulegen.»
«Die Teams arbeiten Tag und Nacht – zeitlich versetzt, damit sich die Leute aus dem Weg gehen können.»
Entsprechend herrscht nun Hochbetrieb. «Wir sind Druck gewohnt», sagt Regine Eibl. «Diesmal ist er noch etwas grösser, weil wir unbedingt erfolgreich sein möchten und weil der Zeitraum nochmals kürzer ist als sonst. Aber es ist ein positiver Stress.» Gearbeitet wird Tag und Nacht – zeitlich versetzt, damit sich die Leute aus dem Weg gehen können. Dabei hilft auch, dass dank dem weitgehenden Forschungsstopp nun mehrere Labore zur Verfügung stehen.
Vom Reagenzglas in die Grossproduktion
Der Beitrag der ZHAW-Forschungsgruppe ist zentral für das Projekt: Sie ist für das sogenannte Scale-up verantwortlich. Das heisst, sie muss Bedingungen finden, unter denen sich die virusartigen Partikel für den Impfstoff im Bioreaktor möglichst rasch und in grossen Mengen herstellen lassen. Dabei kommt es auf Parameter wie die Temperatur, die Belüftung oder auch den Rührprozess an. In Mikro-Bioreaktoren kann eine Vielzahl von Kombinationen dieser Parameter gleichzeitig geprüft werden. Die vielversprechendsten Kombinationen testen die Forschenden darauf in kleinen und schliesslich in grossen Bioreaktoren mit 30 Litern Arbeitsvolumen. Wenn es mit diesen Mengen klappt, sind die Voraussetzungen für eine grossmassstäbliche Herstellung erfüllt. Schon im Juli sollen die Arbeiten in Wädenswil abgeschlossen sein. Und bereits im Herbst will der Projektleiter Martin Bachmann mit Impfen beginnen. «Das ist sehr ambitioniert», sagt Regine Eibl. «Ich könnte mir vorstellen, dass wir vielleicht bis Ende Jahr so weit sind. Aber auch dies würde eine verkürzte Zulassung erfordern.»
Stamm jener Mikroben zu optimieren
Noch ein zweites ZHAW-Team ist am Berner Impfstoff-Projekt beteiligt: die Fachstelle Mikrobiologie und Molekularbiologie unter der Leitung von Martin Sievers. Seine Aufgabe ist es, den Stamm jener Mikroben zu optimieren, die den Impfstoff produzieren. Und zwar so, dass der Stoff in hochreiner Form und unter konstanten Bedingungen hergestellt werden kann.
Viel Erfahrung in pharmazeutischer Wirkstoffforschung
Überdies ist Martin Sievers mit seinen Leuten noch an einem ganz anderen Projekt beteiligt: an der Entwicklung eines Medikamentes gegen Covid-19. Der Initiator hierfür ist Rainer Riedl, Leiter der Fachstelle für Pharmazeutische Wirkstoffforschung und Arzneimittelentwicklung. Es handelt sich um ein Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Covid-19» des Schweizerischen Nationalfonds. «Es war sehr speziell, diesen Antrag zu schreiben», sagt Rainer Riedl. «Normalerweise arbeiten wir nicht an Problemen mit einer so aktuellen Dringlichkeit.»
Die Forschungsgruppen um Riedl und Sievers bilden ein eingespieltes Team – beide haben viel Erfahrung mit ähnlichen Projekten der pharmazeutischen Wirkstoffforschung. Ihre Motivation, sich mit ihrem ganzen Know-how nun der Covid-19-Krankheit anzunehmen, ist mit Händen greifbar. Es sei «toll, wenn wir einen Beitrag zur Lösung eines so aktuellen Gesundheitsproblems leisten können», sagt Martin Sievers. Die Zusage des Nationalfonds für das Projekt steht allerdings noch aus.
Der Ansatz der beiden Forscher ist es, das Andocken des Virus an die menschliche Zelle zu unterbinden. Bei diesem Andockprozess sind beidseits Proteine beteiligt. Auf menschlicher Seite ist innerhalb des entsprechenden Proteins eine Helix von besonderem Interesse: An dieses spiralförmige Gebilde bindet sich das Virus, um in die Zelle einzudringen (siehe Illustration). Rainer Riedls Idee ist es, eine leicht modifizierte Form der Helix herzustellen, die eine noch engere Bindung mit dem Virus einzugehen vermag als das Original. Sie bildet die Basis für ein künftiges Medikament. Denn das Virus wird die veränderte Helix bevorzugen und darum weniger Zellen infizieren.
Virus soll nicht andocken können
«Der gewählte Ansatz hat gleich zwei Vorteile: Erstens sind die Wirkstoffe sehr spezifisch, so dass es nicht zu Nebenwirkungen kommen sollte ...»
«Der gewählte Ansatz hat gleich zwei Vorteile», sagt Rainer Riedl. «Erstens sind die Wirkstoffe sehr spezifisch» – darum sollte es, anders als bei manchen anderen Medikamenten-Kandidaten, nicht zu Nebenwirkungen kommen. «Zweitens müssen wir uns nicht vor Mutationen fürchten», ergänzt Martin Sievers. Mutationen des Coronavirus können die Interaktion mit der menschlichen Zelle abschwächen oder verstärken. Das Virus wird dann harmloser oder aggressiver. Unabhängig von diesen Veränderungen blockiert der zu entwickelnde Wirkstoff den Zutritt des Virus zu den menschlichen Zellen. Das geplante Medikament dürfte also auch bei künftigen Pandemien mit womöglich mutierten Coronaviren wirksam bleiben.
«... Zweitens müssen wir uns nicht vor Mutationen fürchten.»
Der Zeithorizont ist bei einem Medikament ein ganz anderer als bei einer Impfung. «Bis in zwei Jahren wissen wir, ob unser Ansatz prinzipiell funktioniert», sagt Rainer Riedl. Dann folgen die präklinischen und klinischen Studien, die nicht von einer Hochschule, sondern von der Pharmaindustrie durchgeführt werden. Für die Entwicklung eines neuen Medikaments bis zur Zulassung rechnet man im Normalfall mit rund zehn Jahren. Trotzdem ist so ein neuartiges Covid-19-Mittel ein sinnvolles Ziel, denn allein mit einer Impfung lässt sich eine Krankheit oft nicht ausrotten, wie das Beispiel der Masern zeigt.
«Es ist schön, dass wir in so vielen Sparten zur Eindämmung von Covid-19 beitragen können.»
Ob auf kurze oder lange Frist: «Es ist schön, dass wir in so vielen Sparten zur Eindämmung von Covid-19 beitragen können», sagt Institutsleiter Christian Hinderling. Im Bereich Chemie und Biotechnologie besteht ein Fachkräftemangel, und er hofft, dass solche Beispiele junge Leute auf die Chancen und Möglichkeiten eines entsprechenden Studiums aufmerksam machen. «Es zeigt sich, wie wichtig unsere Fächer bei der Lösung der grossen Probleme unserer Zeit sind – sei es in der Energieversorgung, beim Klima oder eben im Gesundheitsbereich.»
Glossar
Stamm (Mikrobiologie): Systematische Untereinheit einer Art, die sich durch besondere physiologische, biochemische oder ähnliche Merkmale von anderen Stämmen derselben Art unterscheidet.
Helix: Schraubenförmige Sekundärstruktur hochmolekularer Peptidketten.
Mutation: Eine spontan auftretende, dauerhafte Veränderung des Erbgutes.
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