Biodiversität für Grünflächen – Es hat Platz für alle
Verdichtung, Natur und Lebensqualität müssen kein Widerspruch sein, wenn Liegenschaftsbesitzer bereits bei der Planung an alle Bedürfnisse denken und die Bewohner aktiv teilhaben lassen.
Solch prächtige Blumenwiesen sind heute selten: «Hier wachsen auf wenigen Quadratmetern dreissig bis fünfzig Pflanzenarten», sagt Florian Brack, Leiter der Forschungsgruppe Freiraummanagement am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW. Wir befinden uns in der Überbauung «Brombeeriweg», einem jüngeren Teil der Siedlung Friesenberg am Fusse des Uetlibergs in Zürich. Er sei ein «Vorzeigebeispiel für naturnahe Gestaltung», so Brack: Neben den Blumenwiesen gibt es hier auch Heckenbänder, Steinstrukturen und ein Wildbienenhotel, aber auch Nutzgärten und Spielflächen.
«Nach dem Bezug 2003 haben die Bewohner noch oft gefragt, wann endlich aufgeräumt werde – inzwischen haben sie ein Bewusstsein dafür entwickelt.»
Die Mischung gefällt. In keiner Wohnsiedlung am Friesenberg sind die Menschen so zufrieden wie hier, hat eine Untersuchung der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) ergeben, zu der auch der «Brombeeriweg» gehört. Auf unserem Rundgang werden wir spontan von Bewohnerinnen angesprochen, denen der Stolz auf die naturnahe Umgebung deutlich anzumerken ist. «Das war am Anfang anders», sagt Florian Brack. «Nach dem Bezug 2003 haben die Bewohner noch oft gefragt, wann endlich aufgeräumt werde. Man musste den Leuten das Konzept erklären – inzwischen haben sie ein Bewusstsein dafür entwickelt.»
Nachbarsiedlung ist weniger abwechslungsreich
Wir wechseln in die Nachbarsiedlung «Hegianwandweg», die auch der FGZ gehört, aber deutlich älter ist. Die Umgebung sieht viel weniger abwechslungsreich aus, die Artenvielfalt ist geringer. «Diese Siedlung wurde damals nicht bewusst naturnah gestaltet», sagt Brack. «Trotzdem lässt sich auch hier etwas für die Natur machen.» So wird heute deutlich seltener gemäht, mancherorts lässt man das Gras hoch wachsen.
Diese Massnahmen beruhen auf einer engen Kooperation zwischen den ZHAW-Forschenden und den Genossenschafts-Angestellten. «Die FGZ-Gärtner sind sehr offen für unsere Anliegen und arbeiten aus eigener Motivation naturnah, sonst ginge es nicht», sagt Brack. Die Grundlage für die Zusammenarbeit ist das Handbuch «Mehr als Grün», das die Forschungsgruppe Freiraummanagement in den letzten zwei Jahren im Auftrag von Grün Stadt Zürich erarbeitet hat, dem für die städtischen Grünräume zuständigen Amt. Die FGZ war in diesem Projekt die Praxispartnerin. Ziel sind die Förderung der Artenvielfalt und die Schonung von Ressourcen.
«Die Biodiversität kommt meist erst am Ende des Bauprozesses zur Sprache, und dann fehlt es oft an Geld und Platz.»
Die Reaktionen auf das Buch sind durchwegs positiv. Trotzdem gilt die Biodiversität immer noch als Randthema – bei vielen Projekten steht der Profit im Zentrum. «Die Biodiversität kommt meist erst am Ende des Bauprozesses zur Sprache, und dann fehlt es oft an Geld und Platz», sagt Anke Domschky, die sich am Institut Urban Landscape am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW mit dieser Problematik auseinandersetzt. «Aber die Biodiversität ist kein Randthema, sie gehört von Anfang an mit an den Tisch.» Doch selbst ein Miteinbezug bei der Planung ist noch kein Garant für eine entsprechende Umsetzung. So kommt es vor, dass sich geplante Blumenwiesen und Naturhecken im Laufe der Ausführung in artenarme Fettwiesen und Thujahecken verwandeln, weil es der Gärtner halt schon immer so gemacht hat.
Neues Projekt mit weiteren Städten
Um solche Fehlprozesse zu verhindern, gibt es nun eine Fortsetzung des Projekts. «Das Handbuch für die Pflege steht schon im Einsatz», sagt Florian Brack. «Nun wollen wir ähnliche Instrumente auch für Planung und Bau entwickeln, um alle Phasen von Bauvorhaben abzudecken.» Dieses neue Projekt ist soeben gestartet und wiederum auf zwei Jahre angelegt, Leiter ist abermals Florian Brack. Die Stadt Zürich ist wieder beteiligt, dazu weitere Schweizer Städte – ein Teil der Finanzierung kommt vom Bundesamt für Umwelt (BAFU). «Beim BAFU hat man die Erfahrung gemacht, dass es viele übergeordnete Konzepte gibt, der Transfer in die Praxis aber oft nicht stattfindet», sagt Brack. «Auch darum unterstützt es unser Forschungsprojekt.»
Auch an den Klimawandel denken
Eigentlich sind Bauvorhaben im Spannungsfeld von Nutzerbedürfnissen, ästhetischen Vorlieben und Naturförderung schon komplex genug. Doch es kommen noch weitere Faktoren hinzu, allen voran der Klimawandel. So will man im ZHAW-Forschungsbereich Urbane Ökosysteme, in dem Florian Brack wirkt, etwa der Frage nachgehen, welche Bäume in der Stadt der Zukunft gepflanzt werden sollen: Sie müssen Hitze und Trockenheit besser vertragen als die heutigen Arten, aber gleichzeitig immer noch gegen Winterfrost gewappnet sein. Auch Fassadenbegrünungen, die man etwa in Zürichs Wohnsiedlungen noch zu selten sieht, müssen zu einem grossen Thema werden, weil sie die Häuser kühl halten. Windschneisen von den Wäldern und vom See her sollen in den Siedlungen für frische Luft sorgen. Gleichzeitig muss aber auch mehr verdichtet werden, in der Stadt Zürich rechnet man in den nächsten zwanzig Jahren mit hunderttausend zusätzlichen Einwohnern. Wie soll das alles zusammengehen?
Dass es funktionieren kann, zeigt ein Gang mit Anke Domschky durch die neue Siedlung «Entlisberg 2» in Wollishofen. Gebaut hat sie die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich, der Bezug fand 2017 und 2018 statt. Auf engem Raum stehen hier 213 Wohnungen, aber noch viel mehr: Im Innenhof und rundherum gibt es Spazierwege, Bänkli, Spielplätze, ruhige Nischen, Mitmach-Flächen (etwa für Urban Gardening), Kunstwerke, Staudenrabatten, Biodiversitätsflächen und sogar einen kleinen Schlittelhang. «Das ist vorbildlich gemacht – vor allem angesichts all der Randbedingungen, die zu erfüllen waren», sagt Domschky. Auch ans Klima hat man gedacht: Es wurden viele Bäume gepflanzt, auch lokale Obstsorten, und es gibt kaum Asphalt, weil der sich im Sommer stark erhitzt. Die Dächer sind von Solarzellen bedeckt, auf bestehende Frischluftschneisen hat man Rücksicht genommen. Zudem wurden Retentionsflächen gebildet, in die bei Starkregen das Wasser fliessen kann.
Nicht zu viel «Betreten verboten»
Auch hier: Den Bewohnerinnen und Bewohnern gefällt es offensichtlich – der Innenhof sprüht vor Leben, und der Kontrast zur steril wirkenden Nachbarssiedlung mit ihren monotonen Rasen- und Asphaltflächen ist scharf. «Verdichtung, Natur und Lebensqualität sind kein Widerspruch», sagt Domschky. Wichtig sei, schon in der Planung an alle Bedürfnisse zu denken und die Bewohner aktiv an ihrem Umfeld teilhaben zu lassen. Es dürfe etwa in so einer Siedlung nicht zu grosse reine Naturflächen mit Betretverbot geben: «Nicht nur die Pflanzen und Tiere sollen sich wohlfühlen, sondern auch die Menschen.»
ZHAW-Handbuch zu naturnaher Pflege
«Das Feedback ist sehr gut», sagt Florian Brack zu seinem neuen Handbuch «Mehr als Grün» . «Die Reaktionen sind durchwegs positiv», sagt Bettina Tschander, die bei Grün Stadt Zürich dafür verantwortlich ist. Offenbar hat die Umweltszene auf genau dieses Werk gewartet. Es füllt eine Lücke, weil man sich Informationen zur naturnahen Pflege bisher aus verschiedenen Quellen zusammensuchen musste. Nun bekommt man alles Relevante in einer einzigen Schrift geliefert, knapp zusammengefasst und sehr praxisorientiert. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist vermutlich, dass die ZHAW-Forscher nicht auf einen ausgrenzenden Naturschutz setzen, wie er teilweise früher betrieben wurde, sondern konsequent für den Dreiklang «Nutzung–Gestaltung–Ökologie» eintreten, also die Bedürfnisse der Menschen miteinbeziehen.
Das Buch existiert in zwei Formen: Als umfassendes Nachschlagewerk («Profilkatalog») und als kleines Praxishandbuch, das Gärtner bequem bei der Arbeit mittragen können. Unterteilt in Kapitel wie «Gebrauchsrasen», «Hochstaudenflur» oder «Wildhecke», beschreibt es die einzelnen Schritte bei der naturnahen Pflege – aber auch, welche Massnahmen man besser sein lässt.
Das Handbuch ist für Profis gedacht. Gebraucht wird es vorwiegend von Gärtnern der Stadt und der Wohnbaugenossenschaften. Grün Stadt Zürich setzt es überdies in ihren Mitarbeiter-Kursen ein. «Mittelfristig soll das Werk zur Grundlage für den Unterhalt werden, zur Leitlinie für die Pflege», sagt Bettina Tschander. Um die Umsetzung zu fördern, hat die Stadt letztes Jahr auch ein kleines Förderprogramm für die Schaffung ökologisch wertvoller Flächen auf die Beine gestellt. Ausserdem will man mit dem Buch auf private Liegenschaftsbesitzer zugehen. «Bei den Genossenschaften stossen wir auf offene Ohren», sagt Tschander. «Bei den Privaten ist es schwieriger. Insbesondere bei Immobilienfirmen und Pensionskassen stehen häufig andere Interessen als die Ökologie im Fokus.»
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