Debatte: Ist die Qualität von Forschenden an der Zahl ihrer Publikationen messbar?

22.06.2021
2/2021

Wer Karriere machen will, muss regelmässig publizieren. Die rund 48'000 Forschenden in der Schweiz sind für 1,1 Prozent der weltweiten wissenschaftlichen Publikationen verantwortlich. Gemessen an der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, liegt die Schweiz ganz vorne im internationalen Vergleich. Doch kann man die Qualität von Forschenden an der Zahl ihrer Publikationen messen?


Ja, aber

Nicht viel, sondern wenig publizieren ist ein Problem

Angesichts der beschleunigten Wissensproduktion steigt auch die Zahl der Publikationen exponentiell an. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl wissenschaftlicher Aufsätze weltweit pro Jahr um 9 Prozent steigt. Angesichts dieser Entwicklung fürchten Kritiker, dass die Qualität der Veröffentlichungen beziehungsweise der Forschung, die ihnen zugrunde liegt, sinkt. Das Problem sehe ich aber nicht in einem zu grossen, sondern eher in einem kleinen Output. Denn mangels Zeit oder finanzieller Mittel kommen Forschende längst nicht dazu, alle Ergebnisse ihrer harten Arbeit zu veröffentlichen, weil sie sich – kaum ist der Abschlussbericht erstellt – bereits um die nächsten Projektfinanzierungen kümmern müssen. Das gilt vor allem für Forschende an Fachhochschulen, die ihre Arbeit weitgehend über projektbezogene Drittmittel finanzieren müssen.

«Das bahnbrechendste Ergebnis nützt nichts, wenn es im stillen Kämmerchen bleibt.»

Das bahnbrechendste Forschungsergebnis nützt aber nichts, wenn Forschende die Erkenntnisse im stillen Kämmerchen für sich behalten. Das dient weder der eigenen Karriere noch der wissenschaftlichen Gemeinschaft oder der Gesellschaft. Wenn ein Astronom einen neuen Planeten entdeckt, dann muss das die Welt wissen. Erst wenn eine Arbeit publiziert wurde, können andere darauf zugreifen, darüber diskutieren, sie zitieren und die Gedanken in eigenen Forschungen weiterführen. So kann neues Wissen entstehen, sich verbreiten und die Qualität der Forschungsarbeit geprüft werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass Forschende auch im eigenen Interesse nur Gehaltvolles veröffentlichen. Grundsätzlich ist ein regelmässiges Publizieren wichtig für eine erfolgreiche akademische Karriere und für die Akquisition von Fördermitteln.

«Erst wenn eine Arbeit publiziert wurde, können andere darüber diskutieren und die Gedanken weiterführen.»

Bei wissenschaftlichen Erkenntnissen, die von allgemeinem Interesse sind und mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden, hat die Gesellschaft auch ein Recht darauf, von diesem Fortschritt zu erfahren. Das allgemeine Interesse an Wissenschaft hat angesichts der Pandemie und des Klimawandels zugenommen. Deshalb sollte das Wissen nicht nur in wissenschaftlichen Fachpublikationen veröffentlicht werden, sondern auch in Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazinen. Spätestens seit den öffentlichen Diskussionen um neue Erkenntnisse hinsichtlich Covid-19 ist weiten Teilen der Bevölkerung ins Bewusstsein gerückt, welche Qualitätskriterien an wissenschaftliche Studien angelegt werden müssen. Wichtig ist eben, dass die Erkenntnisse einen Beurteilungsprozess durch andere unabhängige Fachleute durchlaufen, dass Forschungsdesigns, statistische Analysen und Ergebnisse überprüft werden können und Experimente wiederholbar sind. All das dient der Glaubwürdigkeit von Forschung. Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit ist in Zeiten von Fake News und Verschwörungsthesen enorm wichtig. Viel publizieren ist also grundsätzlich ein gutes Zeichen für Forschende, sofern die Qualität überprüfbar ist.

Agnes von Wyl

Die Professorin leitet seit 12 Jahren die Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der ZHAW. Sie ist laut der ZHAW-Publikationsdatenbank unter den Forscherinnen an der ZHAW ganz vorne mit dabei, was die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen anbelangt, vor allem auch dank engagierten Mitarbeitenden, aber auch Projektpartnern, denen peer-reviewed Publikationen ebenfalls wichtig sind.


Nein, aber

Publikationen sind wichtig – es gilt aber Qualität vor Quantität

Ich teile die Meinung, dass man Ergebnisse von Forschung, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, öffentlich zugänglich machen sollte, sei es in Fachartikeln oder in populärwissenschaftlichen Artikeln für die Allgemeinheit. Forschung, die keine publizierbaren Ergebnisse liefert, muss sich im Gegenteil der Frage stellen, ob es sich überhaupt um eine Forschungstätigkeit handelt.

Aktuell sehe ich aber ein Problem in manchen Verlagen, die das grundsätzlich sehr zu begrüssende Open-Access-Prinzip – also den freien Zugang zu Forschungsergebnissen – zum Geschäftsmodell erhoben haben. Hierbei zahlen die Autorinnen und Autoren für die Veröffentlichung, der Zugriff für die Leserschaft ist offen und kostenlos. Um den Profit zu maximieren, nehmen diese Verlage fast alles an. Es gibt kaum eine fachliche Überprüfung. Veröffentlichungen in solchen sogenannten «Predatory Journals» – auf Deutsch «räuberische Fachzeitschriften» – schaden eher dem Ruf der Forschung beziehungsweise der Autoren. Fragwürdig ist auch eine Mehrfachverwertung, bei der mehrere Artikel mit sich stark überschneidendem Inhalt veröffentlicht werden, um die blosse Zahl der Publikationen zu erhöhen.

«Um den Profit zu maximieren, nehmen gewisse Verlage fast alles an. Es gibt kaum eine fachliche Überprüfung.»

Die blosse Zahl an Publikationen ist also kein hinreichendes Qualitätskriterium. Es kommt beim Publizieren auf das Wo und Wie an: Ein Fachartikel in einer angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift ist ganz anders zu gewichten als ein Artikel zum Beispiel für die Mitgliederzeitschrift eines Branchenverbandes oder ein Preprint (Vorabdruck), der ganz ohne Review durch andere Expertinnen und Experten auf dem Gebiet erscheint. Denn bei seriösen Medien ist ein sogenannter strenger Peer-Review-Prozess selbstverständlich, bei dem möglichst unabhängige Fachleute das Paper oder die Monografie auf wissenschaftliche Güte prüfen.

«Ein besserer Indikator für die Bedeutung der Forschung und den «Impact» ist, wie oft ein Artikel zitiert wird.»

Ein besserer Indikator für die Bedeutung der Forschung und den «Impact» in der Fachwelt ist vielmehr, wie oft ein Artikel zitiert wird. Hierfür existieren diverse numerische Indikatoren, die die Publikationstätigkeit eines Forschers in einem einzigen numerischen Wert abbilden. Ein populäres Beispiel ist der Hirsch-Index (H-Index), eine Kennzahl für die weltweite Wahrnehmung eines Wissenschaftlers in Fachkreisen. Er misst, wie viele Artikel mit welcher Häufigkeit zitiert wurden. Zum Beispiel bedeutet H=50 , dass ein Forscher Autor von 50 Publikationen ist, die mindestens 50 Mal zitiert wurden. Ganz unproblematisch ist aber auch diese Kennzahl nicht, da es in verschiedenen Disziplinen teilweise unterschiedliche Praktiken gibt, was die (Ko-)Autorschaft und Zitierweise angeht. Für transdiziplinäre Vergleiche sind diese Indikatoren also auch kein sehr verlässlicher Massstab. Oder es kommt vor, dass sich Forschende immer wieder selbst zitieren, was zur Verfälschung beiträgt. Deshalb sollte man bei der Beurteilung von Forschenden und ihrer Leistungen nicht alles auf eine Zahl setzen.

Frank-Peter Schilling

Der promovierte Physiker arbeitet seit 3 Jahren an der ZHAW als wissenschaftlicher Mitarbeiter und derzeit am neu gegründeten Zentrum für Künstliche Intelligenz CAI. Vor seinem Wechsel an die ZHAW war er in der Grundlagenforschung im Bereich Teilchenphysik an grossen internationalen Forschungslabors wie CERN (Genf) und DESY (Hamburg) tätig. Sein H-Index liegt bei 142.

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