Der Code des Bösen
Es gibt sie immer mal wieder: Fälle, in denen Angestellte die eigene Firma schädigen, Kundengelder veruntreuen oder als Vorgesetzte das Team demotivieren. Das muss nicht sein. Menschen mit negativen Persönlichkeitsmerkmalen lassen sich schon im Rekrutierungsprozess erkennen.
Eine Stelle als Teamleiter in einem Datencenter war ausgeschrieben gewesen. Seine Bewerbung stiess auf Interesse. Heute soll der erste Teil eines dreistufigen Assessments stattfinden. In seinem privaten E-Mail-Postfach findet er zu diesem Zweck einen Link des IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW, welches ihm im Auftrag des Unternehmens auf den Zahn fühlen soll. Der IT-Spezialist hat sich diesen Vormittag für den Test reserviert. Eine Tasse Kaffee neben dem Computer im ruhigen Homeoffice, dann kann es losgehen.
«Ich bin sehr kontaktfreudig», liest er an einer Stelle des Online-Tests. Sieben Antwortmöglichkeiten stehen zur Wahl. Die Skala reicht von «trifft völlig zu» bis «trifft überhaupt nicht zu». Er entscheidet sich für einen Wert leicht über der Mitte. Schliesslich kommt er gut mit andern zurecht, und von einem Teamleiter erwartet man wohl eine gute Portion Kontaktfähigkeit. So klickt er sich weiter, bis der Fragebogen nach einer Dreiviertelstunde abgearbeitet ist.
Rollenspiele und Gespräche
Die Woche darauf folgen die Teile zwei und drei des Assessments. Zuerst soll er in einem Rollenspiel mit einer IAP-Mitarbeiterin ein Gespräch zu einer kniffligen Situation nachstellen. Vorab erhält er die Ausgangslage beschrieben. Dann kommt ein Interview, das sich als angenehmes Gespräch entpuppt. Die beiden Fachleute von der ZHAW zeigen sich nicht nur an seinen Führungsprinzipien und seiner Durchsetzungsfähigkeit interessiert, sondern auch an seiner Person an sich, seinen Interessen und Hobbys.
Für den IT-Spezialisten ist es ein ganz gewöhnliches Assessment, wie er schon einige für andere Stellenbewerbungen erlebt hat. Es lotet seine Kompetenzen aus, zum Beispiel seine Analysefähigkeit, Extravertiertheit oder Offenheit für neue Erfahrungen. Und doch ist diesmal eine zusätzliche Komponente im Spiel. Der künftige Arbeitgeber wünschte explizit auch eine sogenannte Risikodiagnostik. Damit will man mögliche «dunkle Seiten» von Menschen aufdecken, wie Simon Carl Hardegger, Leiter des Zentrums Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW erklärt. Dazu zählt er negative Persönlichkeitseigenschaften, die im beruflichen Umfeld mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Schaden verursachen. Das können extrem unangenehme Leute sein, die andere herabwürdigen, unnötig unter Druck setzen und die Bedürfnisse anderer arrogant ignorieren. Mit ihrer destruktiven Art können sie ganze Teams demontieren, was höhere Krankheitsabsenzen und Kosten zur Folge hat, beschreibt der Organisationspsychologe: «Oder man kann davon ausgehen, dass diese Person Regeln missachtet, vielleicht Spesenbelege fälscht, womöglich aber im grossen Stil betrügt, Geschäftsgeheimnisse verrät oder dem Betrieb anders schadet.»
«Man kann davon ausgehen, dass diese Person Regeln missachtet, vielleicht Spesenbelege fälscht oder im grossen Stil betrügt, Geschäftsgeheimnisse verrät.»
Der Stanford-Professor Robert I. Sutton prägte für das Phänomen 2008 den etwas derben Begriff «Arschloch-Faktor». Sein gleichnamiges Buch beschreibt im Untertitel, wen er meint: «Aufschneider, Intriganten und Despoten im Unternehmen.» Dahinter stehen Züge von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Die Psychologie befasst sich seit rund zwanzig Jahren unter dem Begriff «dunkle Triade» mit den Auswirkungen solcher Persönlichkeitsmerkmale in der Berufswelt. Eine Ableitung davon, die «dunkle Tetrade», umfasst als viertes auch sadistische Persönlichkeitsanteile, was in der Gesamtheit zu einem ausgeprägt destruktiven und ausbeuterischen Charakter führen kann.
Expertise zum «dunklen Kern» des Menschen
Die ZHAW ist in der Forschung zum «dunklen Kern» vorne mit dabei. «Der Approach und die Expertise des IAP sind einzigartig», sagt Hardegger. Dazu gehören eine Reihe von dreisprachig verfügbaren Tests und Verfahren, die das IAP speziell für diesen Zweck entwickelt hat. Bewusst habe man sich für einen Multi-Measure-Approach entschieden, erklärt der Organisationspsychologe. So werden sehr unterschiedliche Facetten einbezogen, und die hohe Zahl verschiedener Messpunkte ermöglicht zuverlässige Aussagen. Für besonders heikle Fälle kommen neben Tests auch Interviews und Simulationsverfahren zum Einsatz.
Ein Beispiel aus dem Onlinetest: «Wenn mich ein Vorgesetzter schlechter beurteilt, als ich es verdient habe, muss er damit rechnen, dass ich nachher tatsächlich weniger arbeite.» Die Intention hinter dieser Textpassage scheint auf den ersten Blick leicht erkennbar zu sein. Doch im Zusammenspiel der sehr unterschiedlichen Fragestellungen und Messpunkte ist Risikodiagnostik für die Testperson nicht durchschaubar. Hinzu kommt, dass ein Assessment in aller Regel unzählige andere Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale zugleich prüft.
Zum Einsatz kommt Risikodiagnostik oft bei Führungskräften oder in Berufen mit hohem Schadenpotenzial, zum Beispiel bei Kraftwerken, im Datenmanagement oder bei Logistik- und Wertsachentransportunternehmen. Pro Jahr erstellt das IAP-Zentrum Diagnostik insgesamt rund 1300 diagnostische Befunde. «Dabei stossen wir nur auf ganz wenige dunkle Persönlichkeiten», sagt Simon Carl Hardegger. 1 bis 5 Prozent lägen in einem Bereich, wo ein Arbeitgeber genauer hinschauen sollte.
Sicherheitsbarrieren
Weil solche Diagnosen heikel sind, stellt Hardegger hohe psychometrische Anforderungen an die Verfahren und besteht auf zertifizierter Qualität. Wer Integritätschecks durchführt, benötigt eine spezialisierte Expertise auf diesem Feld, muss Grenzen erkennen und auf dem neusten Stand der Forschung sein. «Wir haben mehrere Sicherheitsbarrieren eingebaut», sagt Hardegger. Ein Befund wird immer nur zu zweit erarbeitet. Es gilt das Motto: Keiner hat recht. Und: Ein Test ist kein Test. Erforderlich ist ein Clusterbefund aus verschiedenen Prüfmethoden, die beiden Fachleute müssen in ihrer Beurteilung annähernd übereinstimmen.
Es gehe nicht darum, Menschen einen Stempel aufzudrücken, hält Hardegger fest. Dessen seien sich auch die Auftraggeber bewusst. Das IAP gibt jeweils eine Empfehlung ab. «Entweder ist für uns kein Risiko erkennbar – dann geben wir grünes Licht. Ab und zu leuchtet die Ampel orange, wenn gewisse Anzeichen vorhanden sind, doch das muss nichts Abschliessendes bedeuten.» Rot leuchtet die Ampel nur selten. Zum Beispiel bei einem Bewerber, dessen dunkle Persönlichkeitsanteile mit grossen Auffälligkeiten wie ein roter Faden durchgängig in allen Befunden erkennbar sind und bei dem sich zeigt, dass er mit teuren Hobbys weit über seine Verhältnisse lebt.
0 Kommentare
Sei der Erste der kommentiert!