Die Macht der Worte

18.03.2020
1/2020

Medien könnten einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration leisten. Das tun sie aber nicht immer, wie ZHAW-Studien zur Analyse der Religionsberichterstattung verdeutlichen.

«Sind die Terroristen bereits hier?» «Droht uns bald die Scharia?» Wenn Zeitungen mit solchen Überschriften Migrationszahlen kommentieren, sorgen sie damit für hohe Klickraten, aber auch für Unmut. Carmen Koch vom IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW hat bis in die späten 1990er Jahre zurückverfolgt, wie Medien über Religionsgemeinschaften berichten: «Seit 9/11 hat die Berichterstattung über Muslime stark zugenommen.»

Gelingende Integration kommt kaum vor

Inhaltsanalysen zeigen, dass dabei hauptsächlich über Radikalisierung und Terror geschrieben wird, während Themen wie «gelingende Integration» oder «Alltag» kaum vorkommen. Vinzenz Wyss, Leiter der Professur für Journalistik am IAM, ergänzt: «Medien fahren auf alles Radikale ab.» Eigentlich verständlich: Das Medieninteresse wird erst geweckt, wenn etwas vom Gewohnten abweicht. «Medien haben jedoch auch die Verantwortung, Religionsgruppen nicht durch stereotype Inszenierungen zu diskriminieren. Nicht nur der Islam, sondern alle Religionsgemeinschaften haben in der Medienöffentlichkeit einen schweren Stand», beobachtet Wyss. Oft wird das Kuriose betont und belächelt. Deshalb sind einige Religionsvertreter auch skeptisch, sich überhaupt in öffentliche Debatten einzubringen.

Auch subtile Stereotypisierung

Fast jeden Monat gehen beim IAM Anfragen zum Thema Religion und Öffentlichkeit ein. Diese stammen meist von Glaubensgemeinschaften, die sich Kommunikationsberatung wünschen. Es kommt aber auch vor, dass Medienunternehmen ermitteln lassen wollen, wie ihre Berichterstattung von betroffenen Minderheiten beurteilt wird. Koch und Wyss leiten aktuell eine Studie über die Integrationsleistung von Medien in Bezug auf religiöse Gemeinschaften. Dazu haben sie mit Gruppen von Gläubigen des Christentums, des Islams und des Judentums eine Reihe an Medienbeiträgen über die jeweils eigene Religionsgemeinschaft analysiert und diskutiert.

«Mehr Wissen über die Religionsgemeinschaften würde helfen, stereotypisierte Darstellungen zu vermeiden.»

Vinzenz Wyss

Das Ergebnis: Alle Gruppen fühlten sich stereotypisiert dargestellt. Abgesehen von den gängigen Klischees, die immer wieder bedient werden – der terroristische Muslim, der lebensferne Priester oder der geldgierige Jude –, seien es oft auch subtile Aspekte, die bei den Gläubigen Unbehagen auslösen. Koch erzählt: «Ein TV-Beitrag thematisierte eine jüdische Versammlung. Dabei blieb die Kamera lange auf einer goldenen Armbanduhr stehen. Mir fiel das zuerst gar nicht auf. Die Jüdinnen und Juden haben im Gespräch aber sofort signalisiert, dass sie sich damit einmal mehr in ein Klischee gepresst fühlten.»

Extreme Meinungen dargestellt

Insbesondere die muslimischen Diskussionsteilnehmenden kritisierten die mangelnde Vielfalt an Meinungen, denen in den Medien eine Stimme gegeben wird. Suchen Medienschaffende ein Statement der Religionsgemeinschaft, werde meist eines der beiden Extreme gewählt: der Islamische Zentralrat oder Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam. Man müsse dabei jedoch bedenken, dass Personen mit gemässigten Positionen oft nicht in der Öffentlichkeit auftreten wollen, sagt Koch. Vertreter von radikalen Standpunkten seien meist eine dankbarere Anlaufstelle für Medienschaffende. Die befragten Musliminnen und Muslime identifizieren sich jedenfalls mit keinem der beiden Extreme. Ausserdem haben sie oft das Gefühl, man erwarte eine öffentliche Distanzierung von ihnen, wenn etwa ein Terroranschlag verübt wurde. Die Vertreter des Christentums gaben an, sie fühlten sich altmodisch und rückständig dargestellt. Vieles hänge aber auch vom Autor des journalistischen Beitrags ab, sind sich die Teilnehmenden des jüdischen und christlichen Glaubens einig.

Kleine Hebel, grosse Wirkung

Was können Medienschaffende verbessern? Koch glaubt, dass bereits eine stärkere Kontextualisierung und eine bewusstere Wort- und Bildwahl viel an der Wahrnehmung ändern könnten. Es sei wichtig, auch mal positive Beispiele zu zeigen, ohne sie als Ausnahme darzustellen. Manchmal versuchen Medienschaffende nämlich auch, etwas Positives zu schreiben, durch eine falsche Einbettung werde es dann aber negativ empfunden. Sätze wie «Die Muslimin liess sich von ihrer Religion nicht einschüchtern und bestand auf der Scheidung» können in der muslimischen Glaubensgemeinschaft sauer aufstossen, denn eine Scheidung ist im Islam keineswegs verboten. Wyss: «Medien bilden nie einfach ab, sie inszenieren immer. Bei der Inszenierung spielt natürlich der persönliche Hintergrund eine Rolle. Mehr Wissen über die Religionsgemeinschaften würde helfen, stereotypisierte Darstellungen zu vermeiden.»

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