Klimaminister Neukom: «Die Nachhaltigkeit braucht mehr Schwung»
Martin Neukom ist ZHAW-Absolvent und Zürcher Regierungsrat. Im Studium, bei der Doktorarbeit und in der Politik: Nachhaltigkeit ist für ihn ein Kernanliegen. Deshalb freut ihn die klar gewonnene Abstimmung über das Energiegesetz besonders. Ein Besuch im Chefbüro in der Baudirektion.
Den Karriereweg vom Hörsaal ins Regierungsratsbüro hat Martin Neukom in genau zehn Jahren zurückgelegt. 2009 schloss er an der ZHAW School of Engineering sein Mechatronik-Studium ab, 2019 wurde er in die Zürcher Regierung gewählt. In zehn Jahren vom Fachhochschulstudent zum Baudirektor des grössten Schweizer Kantons: rekordverdächtig. Bei seiner Wahl war Neukom 32 Jahre alt; jünger war vor ihm in der Zürcher Exekutive nur Alfred Escher – und der politisierte im vorletzten Jahrhundert.
Doktorarbeit im Glasregal
Ein handfestes Stück Hochschulwelt hat Neukom in sein Chefbüro in der Baudirektion am Walcheplatz in Zürich mitgenommen: In einem Glasregal steht seine Doktorarbeit zu «Third Generation Solar Cells». Neukom nimmt sie gerne hervor, blättert am Sitzungstisch darin und sagt mit einem Schmunzeln: «Da steckt viel Arbeit drin, da bin ich schon stolz darauf.»
«Zwischen einem Gesetzestext und einem Programmcode in der Softwareentwicklung sehe ich viele Parallelen.»
Geforscht dafür hat er am Institut für computergestützte Physik (ICP) der ZHAW, dort war er von 2009 bis 2011 wissenschaftlicher Assistent. Danach arbeitete er bei der Software- und Messtechnikfirma Fluxim, absolvierte in Freiburg im Breisgau gleichzeitig ein Masterstudium und reichte an der Uni Augsburg seine Dissertation ein. Diese verlieh ihm im Dezember 2019 – er war bereits ein halbes Jahr Baudirektor – den Doktortitel «Dr. rer. nat.», auch das für einen Fachhochschulabsolventen keine Selbstverständlichkeit.
«Das naturwissenschaftliche Verständnis prägt mich sicher bei meiner Arbeit», sagt Neukom. Zum einen helfe es ihm ganz direkt, um die Expertinnen und Experten in der Verwaltung zu verstehen. Und indirekt nütze ihm die Denkweise als Ingenieur: «Wie wir hier an Problemlösungen herangehen: Das funktioniert im Grundsatz gleich wie in der Forschung», sagt Neukom. Wenn er dann über den Experten-Dialog spricht, den er in der Baudirektion mit ihren gut 1800 Mitarbeitenden vorleben will, scheint die Distanz zwischen Wissenschaft und Politik gar nicht so gross zu sein.
Mehr «rosarote Fächer»
An der ZHAW hat der heute 35-Jährige nicht nur Ingenieurwissen gebüffelt. «Auf dem Stundenplan standen auch die Wahl- und Ergänzungsfächer, die dort stets rosarot eingezeichnet waren.» Ein Professor habe die Studierenden zwar gewarnt, keine «Wischiwaschi-Fächer» zu belegen. Neukom wählte Sozialpsychologie – und profitiert noch heute davon. «Ingenieure denken oft sehr fachlich. Unterdessen weiss ich, wie wichtig ein Thema wie Gruppendynamik sein kann.» Rückblickend hätte er gerne noch mehr «rosarote Fächer» besucht. «Doch damals rümpften wir eher die Nase.»
«Nur weil etwas mit guter Absicht programmiert wird, heisst das noch lange nicht, dass es dann wirklich funktioniert.»
In seinem Büro hängt eine riesige Fotografie an der Wand. Das Werk der Künstlerin Alexandra Navratil aus der Sammlung des Kantons zeigt eine einsame Person in rotem Overall – es könnte ein Forscher sein – mitten in eisiger Bergwelt. In der Politik ist Neukom als Ingenieur, im Gegensatz zu Juristinnen und Juristen, alleine auf weiter Flur. Ständerat Ruedi Noser und er sind da Ausnahmen.
Strukturiert wie in der Informatik
Wäre Rechtswissenschaft im Rückblick denn die bessere Wahl gewesen? «Auf keinen Fall!», sagt Neukom mit Nachdruck. «Das hätte nicht zu mir gepasst.» Nach kurzem Innehalten erklärt er: «Zwischen einem Gesetzestext in der Politik und einem Programmcode in der Softwareentwicklung sehe ich viele Parallelen.» Beides seien hochgradig strukturierte Texte, die in einem stark reglementierten System ihren Zweck erfüllen müssten. Natürlich treffe der Vergleich nicht bis ins Detail zu, sagt Neukom, doch was für Gesetze und Softwareprogamme auch gleichermassen gelte: «Nur weil etwas mit guter Absicht programmiert wird, heisst das noch lange nicht, dass es dann wirklich funktioniert.»
Vom Randthema zum Megatrend
An der ZHAW kam Neukom erstmals auf technischer Ebene mit dem Thema Nachhaltigkeit in Kontakt, im Fach erneuerbare Energien im Unterricht von Dozent Franz Baumgartner, mit dem Neukom bis heute in Kontakt steht. «2006 waren Wind- und Solarenergie noch ein Randthema. Heute wird weltweit mit Sonne und Wind mehr Strom produziert als mit Atomkraft. Das ist historisch.» Ebenso freut es Neukom, dass mittlerweile grosse Autohersteller ankündigen, die Produktion von Verbrennungsmotoren mittelfristig ganz einzustellen.
«In der Schweiz können auch Bundesräte im Tram zur Arbeit fahren. Diese Politkultur schätze ich sehr.»
Ist die Nachhaltigkeit unterdessen also gut unterwegs? «Nein, wir machen noch lange nicht genug», sagt Neukom. Einzelne Positivmeldungen dürften da nicht täuschen. Er hofft aber darauf, dass die Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit weiter Schwung aufnimmt.
An Klimademos mitmarschiert
Die Themen Klima und Nachhaltigkeit waren für Neukom, der im Winterthurer Stadtteil Veltheim aufgewachsen ist, schon immer ein Thema. «Es gab für mich kein Einzelereignis, das mich politisiert hätte. Das Engagement für die Allgemeinheit und für die Nachhaltigkeit war mir immer schon wichtig.» Bereits mit 19 trat er der Grünen Partei bei. Bei den Klimademos marschierte er noch mit, als er schon in den Regierungsrat gewählt war. Dass so etwas möglich sei, schätze er sehr an der Schweizer Politkultur: «Hier können auch Bundesräte im Tram zur Arbeit fahren.»
Auf dem Arbeitsweg oder in der Freizeit werde er selbst oft von Passanten erkannt und angesprochen, erzählt Neukom: «Ich erhalte viele positive Rückmeldungen.» Doch manchmal frage man ihn, warum der Wandel zur Nachhaltigkeit nicht rascher vorangehe, warum er als «Klimaminister» nicht mehr bewege. «Auch das gehört zu unserem Politsystem, dass Regierende eingebunden sind in demokratische Abläufe und in den Rechtsstaat.»
«Wenn die Behörden nur noch die Bösen sind, wie das beispielsweise Massnahmen-Gegner in der Corona-Diskussion behaupten, dann ist kein Vorwärtskommen mehr möglich.»
Dieses System sorge eben dafür, dass die Politik selbst nachhaltig funktioniere, sagt Neukom. «Wie man miteinander und übereinander spricht, ist für das Zusammenleben in der Gesellschaft entscheidend.» Partizipation funktioniere dann, wenn man auch andere Haltungen akzeptiere. «Wenn die Behörden nur noch die Bösen sind, wie das beispielsweise Massnahmen-Gegner in der Corona-Diskussion behaupten, dann ist kein Vorwärtskommen mehr möglich.» Sachlichkeit, Faktentreue, Empirie: Für Neukom gehören diese Grundwerte nicht nur in die Wissenschaft, sondern auch in die Politik. Entsprechend reagiert er etwas genervt, wenn unbelegte Behauptungen als Argumente verwendet werden, wie das in der Diskussion über das Energiegesetz der Fall war. Umso mehr freut es Neukom, dass das Gesetz vom Stimmvolk am 28. November mit 62,6 Prozent Ja-Anteil deutlich angenommen worden ist. «Das ist ein unmissverständliches Signal für den Klimaschutz»
Ärger über Behauptungen
Im Rückblick sagt Neukom, in Abstimmungskämpfen gehe es den Gegnern nur darum, das Stimmvolk zu verunsichern. «Dafür werden auch falsche Fakten in die Welt gesetzt.» Diese richtigzustellen, sei mühsam, sagt Neukom und blickt ins Herbstlaub des Baumes vor dem Bürofenster: «Das hätte man in den Ingenieurwissenschaften nicht.» Einen Moment lang könnte man meinen, er wünsche sich zurück in einen Hörsaal an der ZHAW, in die Forschungswelt. Dann wischt er mit der Hand durch die Luft, sagt: «Solche Dinge gehören eben dazu, wenn man in der Politik etwas verändern will», lächelt und ist wieder ganz Baudirektor.
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