Die Socialpreneure
Plastik ist nicht nur Abfall, sondern auch wertvoller Rohstoff. Drei ehemalige Studierende der ZHAW wollen mit «Buy Food with Plastic» Umweltschutz und Armutsbekämpfung zusammenführen.
«Ich träumte von einem Bungalow am Meer, weissen Stränden und perfekten Wellen zum Surfen», erinnert sich Khalil Radi, Absolvent des ZHAW-Studiengangs International Management. Die Semesterferien während seines Auslandsjahrs in Kolumbien wollte er in Nicaragua verbringen. Die Realität, die er dort antraf, war eine ganz andere: Radi erlebte mit, wie das Land auf einen neuen Bürgerkrieg zusteuerte und die Tourismus-Industrie zusammenbrach. Er sah wie Unmengen an Plastik herumlagen. Umweltorganisationen schätzen, dass 86 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren schwimmen, und jeden Tag werden es 25'000 Tonnen mehr. «Es sind schier unvorstellbar grosse Mengen.» Doch wer wie Radi selbst einmal einen Fuss auf einen von Plastik übersäten Strand gesetzt hat, kann das Ausmass der Verschmutzung besser begreifen: «All das hat mich erschüttert.»
Job gekündigt, Auto verkauft
Khalil Radi selbst war in der Schweiz in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, seine Mutter alleinerziehend. Mit 16 entschied er sich für eine Lehre bei der Bank: «Ich glaubte, dass ich durch Materialismus glücklich werde.» Er verdiente gutes Geld, hatte bald eine eigene Wohnung und ein Auto. Doch die erhofften Glücksgefühle blieben aus. Im Jahr 2016 begann er ein Studium an der ZHAW im Bereich International Management. Bereits vor seinem Auslandsjahr hatte er entschieden, dass er seinem Leben eine neue Richtung geben wollte. Er kündigte seinen Job bei der Bank und die Wohnung und verkaufte sein Auto.
Wie die Idee entstand
«Als ich in Nicaragua war, die Armut und die Umweltverschmutzung sah, wollte ich etwas tun.» Kurz entschlossen organisierte Radi einen Event, bei dem Einheimische gegen die Abgabe von Plastikflaschen eine warme Mahlzeit erhielten. Seine Idee: Verhindern, dass noch mehr Plastik ins Meer gelangt, die Ernährungssituation verbessern und die Bevölkerung sensibilisieren. Das Projekt «Buy Food with Plastic» war geboren.
Auf einem Sportplatz spannte Radi grosse Moskitonetze auf, die als Sammelbehälter für das Plastik dienten. Dort konnten die Menschen zum Beispiel Flaschen abgeben, die sie gesammelt hatten, und ein paar Meter weiter das Essen beziehen. Nach dem Sonnenuntergang zeigte der damalige ZHAW-Student auf einer Leinwand einen Film über Umweltverschmutzung durch Plastik. Bereits der erste Event war ein Erfolg: Rund 200 Einheimische, darunter viele Kinder, kamen und lieferten über 1800 Flaschen ab. «Mir wurde rasch klar, dass ich dieses Projekt fortsetzen möchte», sagt Radi.
«Denn jeder Tag, an welchem wir der Umwelt und Menschen in Not helfen können, ist ein Gewinn.»
Über die sozialen Medien sahen Freunde und Bekannte aus der Schweiz Bilder und Videos von den Veranstaltungen in Nicaragua. Bald schon erhielt Khalil Radi Nachrichten von Menschen, die ihn unterstützen wollten. Als er drei Monate später nach Zürich zurückkehrte, erwartete ihn dort ein kleines Unterstützerteam. Inzwischen besteht «Buy Food with Plastic» aus einer fünfköpfigen Geschäftsleitung, nebst Khalil Radi sind mit Xenia Meier und Lena Götsch zwei weitere Absolventinnen der ZHAW involviert. Beide haben wie Khalil Radi International Management studiert und bei Finanzdienstleistern gearbeitet. «Für mich war schnell klar, dass mich das Bankenumfeld nicht glücklich macht», sagt Lena Götsch. Themen wie nachhaltige Ernährung und soziale Ungerechtigkeit waren ihr bereits früh wichtig, weshalb sie hauptberuflich bei einem Grossverteiler im Bereich Nachhaltigkeit tätig ist.
10’000 unbezahlte Arbeitsstunden
Bisher leisteten die fünf Geschäftsleitungsmitglieder mehr als 10'000 unbezahlte Arbeitsstunden für die Initiative. Seit vergangenem Juli ist Khalil Radi Vollzeit als Geschäftsführer beim Social Venture angestellt. Die Zuständigkeiten innerhalb des Teams sind klar verteilt. Lena Götsch ist verantwortlich für die Nachhaltigkeit, Xenia Meier kümmert sich um Spezialprojekte und die Operationen im Ausland. Längst beschränkt «Buy Food with Plastic» die Aktivitäten nicht mehr auf Nicaragua. Das Team realisiert in Indien und Ghana das gleiche Konzept. Eine Frage steht dabei im Zentrum, sagt Xenia Meier: «Wie können wir das gesammelte Plastik sinnvoll wiederverwenden?»
Plastikflaschen für den Hausbau
Jene Flaschen, die beim ersten Event in Nicaragua gesammelt worden sind, dienen heute als Mauerwerk für ein Haus. Darin wohnt eine Mutter mit ihren vier Kindern, die ihr altes Zuhause bei einem Sturm verloren hat. «Eine Bekannte der Familie kam mit dieser Idee auf mich zu», sagt Khalil Radi. Beispiele für den Hausbau aus Plastikflaschen gibt es weltweit. Dafür werden diese mit weiterem Abfall, Sand und Schlamm gefüllt und aufeinandergestapelt. Schliesslich kommt Zement hinzu, der die Flaschen miteinander verbindet.
Produkte und Arbeit in den Ländern
Doch der Hausbau ist für den Einsatz von Plastikflaschen in grossem Stil nicht geeignet. Es brauche sehr viel spezifisches Know-how und Zeit, um die Flaschen zu füllen. Deshalb denkt das Team nun in eine andere Richtung, wie Xenia Meier berichet: «Wir arbeiten mit einem Maschinenbauspezialisten der ETH und einer Produktdesignerin zusammen und wollen mit ihnen und einem lokalen Architekten das Konzept von Precious Plastic, einem Open-Source-Hardware-Kunststoff-Recycling-Projekt, in Nicaragua umsetzen.» Die Idee ist, dass das gesammelte Plastik direkt vor Ort verarbeitet wird und hochwertige Produkte daraus entstehen können. «So können wir den Kreislauf schliessen.» Die Maschinen sollen zum Beispiel in Nicaragua von der lokalen Bevölkerung bedient werden. Dafür bildet das Team einen lokalen Manager aus, der sein Wissen an die Bevölkerung weitergeben kann. Ob Stühle, Tische oder Teller – alle Produkte, die aus Plastik gegossen werden können, sind denkbar. «Unser Ziel ist es, dass die Fabrik kommenden Frühling in Betrieb geht», sagt Xenia Meier. Dabei ist Nicaragua erst der Anfang.
Gewinn soll wieder in Projekte fliessen
«In den nächsten zwei Jahren wollen wir dieses Modell in die Welt hinaustragen, in so viele Kommunen wie möglich», sagt Radi. Auch in Ghana und Indien hat das Team bereits je einen Manager angestellt. Wenn die Upcycling-Fabriken in Zukunft Gewinn erwirtschaften, soll dieser zurück in die lokalen Kommunen fliessen. Dividenden will das Team sich keine ausschütten. «Stattdessen soll der Gewinn neue Projekte finanzieren und vor Ort die Bildung und Ernährung verbessern», sagt Radi.
Studium ist nicht nur für Karriere gut
Xenia Meier, Lena Götsch und Khalil Radi gehen damit einen anderen Weg als viele ihrer Mitstudierenden an der ZHAW School of Management and Law . Die beiden Frauen arbeiten Teilzeit, damit sie nebenbei ausreichend Zeit haben für ihr Projekt. Khalil Radi könnte bei einer Bank ein Vielfaches seines jetzigen Gehalts verdienen. Auch wenn die drei nicht klassisch Karriere machen, sind sie dankbar dafür, was sie im Studium gelernt haben. «Für meine Aufgaben als Gründer und Geschäftsführer war das die perfekte Vorbereitung», sagt Radi. Das breit gefächerte Studium habe ihm Wissen in den verschiedensten Bereichen ermöglicht, von Buchhaltung über Organisationsentwicklung bis E-Commerce.
Weitere Geldgeber gesucht
Noch arbeiten Khalil Radi und sein Team mit einem sehr schmalen Budget. Mittel kommen von privaten Geldgebern. Dazu erhalten sie Unterstützung von Partnerfirmen, zu denen auch Aldi Suisse gehört. «Damit wir weiterwachsen können, sind wir auf zusätzliche Mittel angewiesen», sagt Radi. Er ist jedoch zuversichtlich, dass «Buy Food with Plastic» demnächst auch finanziell auf festem Boden stehen wird. «Es kommen immer mehr Menschen auf uns zu und wollen Teil der Organisation werden.»
Reicher als zuvor
Materiell betrachtet hat sich das Leben von Khalil Radi deutlich reduziert. Anstatt in der früheren Wohnung lebt er in einem WG-Zimmer, fährt Fahrrad statt Auto und muss schauen, dass am Ende des Monats genügend Geld für seine Rechnungen übrig bleibt. «Und dennoch fühle er sich heute reicher als zuvor, sagt Khalil Radi. «Denn jeder Tag, an welchem wir der Umwelt und Menschen in Not helfen können, ist ein Gewinn.»
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