Die sowjetische Vergangenheit ist noch sichtbar

22.06.2021
2/2021

Von Wädenswil nach Bischkek: Der Umweltingenieur Simon Carnal absolvierte ein Praktikum in Kirgistan.

Im Vorfeld waren viele irritiert: Nach Kirgistan? Im Winter? Für mich war es aber eine einmalige Gelegenheit. Zur Vorbereitung besuchte ich einen Russischkurs, denn neben Kirgisisch ist Russisch noch immer eine offizielle Landessprache. Wichtig war mir, die kyrillischen Buchstaben zu lernen. Für Gespräche reichte es nicht, aber immerhin konnte ich lesen.

In meinem Praktikum an der Kirgisisch-Türkischen Manas Universität untersuchte ich Erwinia amylovora, ein Bakterium, das die Pflanzenkrankheit Feuerbrand verursacht. Ich hatte in der Schweiz bereits eine Semesterarbeit dazu verfasst. Mein Team nahm mich sehr gut auf. Zu Beginn begegneten sie mir mit grossem Respekt, was mir unangenehm war. Ich war dort, um etwas zu lernen. Dass ich auch ihnen etwas beibringen konnte, war sehr schön. Die Kommunikation war zwar erschwert, aber wir fanden immer einen Weg, uns zu verständigen. Wichtig ist, dass man offen und respektvoll miteinander umgeht.

Allgemein erlebte ich die Menschen als sehr nett: Autos halten an, wenn jemand über die Strasse geht, und Männer bieten im Bus den Frauen ihre Sitzplätze an.

Ich wohnte in einer 2,5-Zimmer-Wohnung im Zentrum von Bischkek. Die Miete war mit 300 Dollar pro Monat für mich sehr günstig, für viele Einheimische ist das jedoch mehr als ein Monatslohn. Ich genoss es in vollen Zügen, auswärts zu essen, vor allem einheimische, türkische und japanische Küche. Im Stadtbild von Bischkek ist die sowjetische Vergangenheit noch gut sichtbar: grosse Plätze und breite Strassen. Viele Junge sprechen Russisch miteinander. Die ältere Generation, die die Besatzung miterlebt hat, ist hingegen eher russlandkritisch. Neben dem Traditionellen hat Bischkek auch viel Modernes: Alle haben Smartphones, das Internet ist schnell, es gibt viele Einkaufszentren, mit denselben Geschäften wie in Westeuropa. Bei Ausflügen sah ich aber auch eine andere Seite. In ländlichen Regionen lebt die Bevölkerung in sehr bescheidenen Verhältnissen. Landschaftlich ist Kirgistan imposant: Berge, Flüsse, viel unberührte Natur. Das Land ist etwa fünfmal grösser als die Schweiz, hat aber ein Drittel weniger Einwohner. Leider kam mein Aufenthalt wegen Corona zu einem abrupten Ende, sodass ich meine weiteren Reisepläne begraben musste.

Meine Zeit in Kirgistan hat mir gezeigt, dass nicht alles selbstverständlich ist. In der Schweiz hinterfrage ich Wahlergebnisse oder die Integrität der Polizei nicht. Die Kirgisen hingegen haben kaum Vertrauen in den Staat. Dafür sehr viel Familien- und Gemeinschaftssinn, was mir gut gefallen hat.

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