Elektrotechnik elektrisierte sie
Als Ingenieurin in Forschung und Entwicklung der Leistungselektronik ist Noemi Hubatka eine Ausnahme. Das war ihr immer bewusst. Abschrecken liess sie sich davon aber nie.
Der «Nationale Zukunftstag» war für Noemi Hubatka vor 18 Jahren genau das, was er verheisst: ein Blick in die eigene Zukunft, das Erhaschen einer Idee, einer Vorstellung ihrer selbst, wenn sie «einmal gross» sein würde. Es war ein Bild, das sie begeisterte und nicht mehr losliess. «Schon als Kind fand ich Elektrizität wahnsinnig spannend und faszinierend. Mein Vater arbeitete bei den SBB und nahm mich am Zukunftstag an seinen Arbeitsplatz mit», erzählt Hubatka. Dort gab es einen sogenannten Frequenzumrichter, der die Energie für den Antrieb der Züge bereitstellt. «Diese älteren Modelle sind noch mechanische Umrichter mit rotierenden Teilen.» Hubatka – damals 12 Jahre alt – stand staunend vor dieser Maschine, die sie in Höhe und Breite überragte, und wusste: Das will sie einmal machen. Umrichter entwickeln, die die Frequenzen von elektrischer Energie umwandeln können.
Und so steht sie heute, mit 30 Jahren, während ihrer Arbeitszeit nicht selten in einem Labor der «Hitachi ABB Power Grids», eines Geschäftsbereichs der Hitachi, und tüftelt an neuen Lösungen in der Leistungselektronik. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sorgen dafür, dass in unserem Alltag die unterschiedlichen Energieformen in der Stromversorgung keine Probleme machen. Für den Staubsauger zu Hause können wir mit dem Strom, der den Bahnverkehr versorgt, schliesslich nichts anfangen.
30 Studierende, zwei Frauen
Hubatka legte sich ihren Weg in die Forschung und Entwicklung im Bereich Leistungselektronik bald nach dem Zukunftstag zurecht. «Ich wusste, dass ich einen höheren Abschluss als einen Lehrabschluss brauchen würde. Aber auch, dass das Gymnasium nichts für mich wäre.» Hubatka absolvierte eine Berufslehre als Automatikerin und gleich danach ein Ingenieurstudium an der ZHAW School of Engineering. 2014 schloss sie ab. In ihrer Klasse an der ZHAW waren von 30 Studierenden zwei Frauen. Ein Umstand, den Hubatka schon von der Lehre her kannte. Damals hatte sie sich erst daran gewöhnen müssen. Mittlerweile fand sie es toll. «Natürlich war ich froh, dass es noch eine zweite Frau in der Klasse gab. Aber insgesamt fand ich das Studieren mit meinen männlichen Kollegen angenehm.» Hubatka wusste ausserdem: Auch später im Berufsleben würde sie überwiegend mit Männern zusammenarbeiten.
Viele Mädchen kennen das Berufsfeld kaum
Dass sie heute in einem Team arbeitet, das durchmischt ist, kann sich Hubatka nur mit dem Zufall erklären. Von zehn Teammitgliedern sind vier Frauen, eine davon ist die Chefin. «Das ist unüblich», sagt Hubatka. Eine Ausnahme in einem Bereich, der immer noch eine Männerdomäne ist. Woran das liegt, sei schwer zu sagen. Das Team fand organisch zusammen, nicht alle Teammitglieder wurden von derselben Person eingestellt. Hubatka hofft dennoch, dass diese Ausnahme bald zur Regel wird. «Ich glaube, viele Mädchen und Frauen wissen sehr wenig über die Möglichkeiten in unserem Berufsfeld. Zudem scheint es die Annahme zu geben, dass die Arbeit in der Elektrotechnik sehr komplex und darum schwierig sei.» Hubatka fragt sich, ob Mädchen vielleicht dazu neigen, sich Schwieriges zu wenig zuzutrauen. Dabei seien andere Bereiche auch kompliziert. «Eine Betriebswirtin kommt mit der Komplexität ihrer Materie auch zurecht. Warum sollte das hier anders sein?»
Testen, bauen, lesen, reisen
Hubatkas Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich. Oft steht die Ingenieurin in Schutzausrüstung im Labor und führt an den Produkten, die sie entwickelt, Qualifikationstests durch. Sie misst Spannungen, überprüft Wirkungsrade und Verluste. Hin und wieder bauen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen Prototypen der Produkte. Dann wird Hand angelegt, gebaut und verdrahtet. Vier- oder fünfmal im Jahr kann sie auf Geschäftsreise gehen. Daneben arbeitet Hubatka oft im Büro. «Anfang Jahr haben wir mit einem neuen Projekt begonnen. Das gibt viel zu lesen: Patente und Papers zum Thema.» Danach folgen Simulationen und Berechnungen. Das gemeinsame Ziel ist immer, ein Produkt, einen Stromrichter, zu entwickeln, der in der Industrie, im Transport- oder Infrastrukturwesen Absatz findet.
Spass haben und sich etwas zutrauen
Ausserhalb ihres Teams gehört Hubatka als Frau immer noch zur Minderheit. «Man fällt in dieser Branche als Frau auf», sagt die Ingenieurin. Sie erinnert sich an eine Begegnung mit einem älteren Mitarbeiter im Lager der Firma. Der Kollege hatte sie um Hilfe gebeten beim Holen eines Bauteils, denn Hubatka hat die Gabelstapler-Prüfung. «Er kam danach auf mich zu und meinte, es sei für ihn ungewohnt, eine junge Frau um Hilfe zu bitten.» Nach einer ersten Irritation verstand Hubatka dies als Geste der Anerkennung. «Ich finde es schön, dass er sich dessen bewusst wurde und mir das sagte. Es zeigt mir, dass er sich Gedanken macht und mit der für ihn neuen Situation umgeht.»
Den Ausgleich zu ihrer Arbeit findet Hubatka unter anderem im Freundeskreis – zu dem auch ehemalige Studienkollegen gehören. Und: «Die einzige andere Frau in meiner Klasse an der ZHAW wurde zu einer engen Freundin. Wir waren sogar gegenseitige Trauzeuginnen», erzählt Hubatka. Was sie jungen Frauen raten würde, die sich für die Elektrotechnik interessieren? «Zeigt, dass ihr Spass am Thema habt und es euch zutraut. Dann stehen euch alle Wege offen.»
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