Dolmetschforschung

English? Can we good!

11.04.2024
1/2024

Englisch als gemeinsamer Nenner gilt als einfache und praktische Lösung für die Verständigung über Sprachgrenzen hinweg. Dolmetscherinnen und Dolmetscher stehen diesem Phänomen jedoch kritischer gegenüber.

«An internationalen Konferenzen ist es immer üblicher, auf Englisch zu präsentieren, statt in der Muttersprache», erzählt Michaela Albl-Mikasa, Professorin für Dolmetschwissenschaft am Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IUED) und erfahrene Konferenzdolmetscherin. «Viele überschätzen dabei aber ihre Sprachkenntnisse.» Dolmetscherinnen und Dolmetscher seien von dieser Tendenz alles andere als begeistert. Hinter vorgehaltener Hand sprechen sie bei nichtmuttersprachlichem Englisch von BSE (bad simple English), Desesperanto oder Lego-Englisch – willkürlich zusammengesetzte Sätze, die einen zum Verzweifeln bringen. In einer internationalen Umfrage des IUED mit 900 Teilnehmenden gaben 63 Prozent der Übersetzenden und 86 Prozent der Dolmetschenden an, dass mindestens die Hälfte des englischen Textinputs, den sie erhalten, von nichtmuttersprachigen Personen stammt. «Rund 70 Prozent wünschen sich aber muttersprachlichen Input», erklärt Anne Catherine Gieshoff, Postdoc am IUED. «Sie empfinden ihre Arbeit als anstrengender, wenn sie neben der eigentlichen Aufgabe der Sprachmittlung noch überlegen müssen, was die Aussage ist.»

«Unmissverständliche Formulierungen sind zentral dafür, dass der Inhalt ankommt.»

Michaela Albl-Mikasa, Professorin für Dolmetschwissenschaft

Solche Rückmeldungen aus der Praxis haben in der Dolmetschforschung Zweifel daran geschürt, ob Englisch die ideale Lösung für die internationale Verständigung ist, wie vielerorts angenommen wird. Insbesondere, wenn es sich um monologischen Input handelt. «Im Unterschied zu einem Dialog können die Zuhörenden bei einer Präsentation nicht einfach nachfragen, wenn eine Aussage unklar war», sagt Albl-Mikasa. «Unmissverständliche Formulierungen sind zentral dafür, dass der Inhalt ankommt.»

Kognitive Belastung untersucht

Im vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projekt «CLINT» (Cognitive Load in Interpreting and Translation) untersuchte ein interdisziplinäres Team aus Forschenden des IUED und des Psychologischen Instituts der Universität Zürich (UZH), ob sich der Einfluss von nichtmuttersprachlichem Englisch bei der Sprachverarbeitung bemerkbar mache. Das Team der ZHAW um Albl-Mikasa verglich dabei die Leistung der Sprachmittelnden bei zwei verschiedenen Versionen desselben Textinputs: echte nichtmuttersprachliche Texte und eine abgeänderte Version davon, die in Bezug auf nichtmuttersprachliche Auffälligkeiten geglättet wurde.

Das Team der UZH untersuchte physiologische Merkmale wie Herzschlag und Hirnströme während des kognitiven Verarbeitungsprozesses. Die Ergebnisse zeigen, dass die kognitive Belastung der Sprachmittelnden höher ist, wenn der Textinput von einer nichtmuttersprachigen Person stammt. «Unübliche Wortkombinationen oder Satzstrukturen sowie mangelnde Logik erschweren den Dolmetschenden die Arbeit», berichtet Gieshoff. Erfahrene Berufsleute hätten die Aufgaben jedoch besser gemeistert als Studierende.

Forschungsbasierte Lehre

Die Erkenntnisse fliessen in die Dolmetschausbildung ein. «Wir thematisieren am IUED nichtmuttersprachliches Englisch, um die Studierenden auf die Praxis vorzubereiten», berichtet Albl-Mikasa. Dabei werden Präsentationen von Sprechenden unterschiedlicher Herkunft gedolmetscht und Hintergrundwissen vermittelt. «Sensibilisierung und Exponierung helfen, Strategien für nichtmuttersprachliche Abweichungen zu entwickeln», sagt Albl-Mikasa. Die Forschung soll auch ausserhalb des Fachbereichs darauf aufmerksam machen, dass Englisch als gemeinsame Sprache nicht nur Vorteile mit sich bringt. «Bei hochkarätigen Konferenzen darf man nicht das Risiko eingehen, dass man sich nur halbherzig versteht. Mit Präsentationen in der eigenen Muttersprache, die professionell verdolmetscht werden, ist die Verständigung besser gewährleistet.»

Weiterführende Forschung könnte untersuchen, in welchen Situationen Englisch als Verkehrssprache im Alltag problematisch ist. «Nicht nur im internationalen Kontext, sondern auch in mehrsprachigen Ländern wie der Schweiz zeigt sich die Tendenz, dass Französisch- und Deutschsprachige miteinander Englisch sprechen», gibt Albl-Mikasa zu bedenken. «Welche Auswirkungen dies hat, ist noch weitgehend unerforscht.»

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