Handy, Games und Angst vor Harry Potter
Beim Gamen oder Fernsehen stossen Schweizer Primarschulkinder auch auf Inhalte, die ihnen Angst machen – und gehen damit unterschiedlich um, wie die neue MIKE-Studie der ZHAW zeigt.
Drinnen oder draussen spielen und Sportarten wie Fussball, Fahrradfahren und Schwimmen sind die beliebtesten nichtmedialen Freizeitbeschäftigungen von Primarschulkindern in der Schweiz. Das war zumindest vor der Corona-Pandemie so. Verglichen mit früheren Erhebungen hat sich dies kaum verändert. Auffällig ist aber die Abnahme beim Musikmachen (–27 Prozent) und beim Besuch von Kinder- und Jugend-Gruppen (–19 Prozent). «Im neuen Lehrplan 21 sind in den meisten Kantonen mehr Wochenlektionen enthalten, was zu weniger Freizeit führt», sagt ZHAW-Forscher und Co-Projektleiter Gregor Waller, der die MIKE-Studie mit dem Co-Leiter der Fachgruppe Medienpsychologie und Professor für Medienpsychologie Daniel Süss und seinem Team durchgeführt hat. Für aufwendige Hobbys, wie Musizieren oder die Teilnahme an einer Freizeitgruppe, wie Pfadi oder Jungwacht, fehle deshalb oft die Zeit.
MIKE steht für Medien, Interaktion, Kinder, Eltern. Die Studie beleuchtet das Mediennutzungsverhalten von Kindern in der Schweiz und ist somit quasi «der kleine Bruder» der ebenfalls von der ZHAW durchgeführten JAMES-Studie, die auf den Medienumgang von Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren fokussiert. Für die aktuelle MIKE-Studie hat die Fachgruppe Medienpsychologie zum dritten Mal über 1000 Primarschulkinder im Alter von 6 bis 13 Jahren zu ihren Medien- und Freizeitaktivitäten befragt.
Fast die Hälfte hat ein eigenes Handy
In der medial geprägten Freizeit schauen die meisten Kinder ein- oder mehrmals pro Woche fern (81 Prozent), hören Musik (76 Prozent) oder Gamen (68 Prozent). Während sich das Benutzen von digitalen Geräten zu Beginn der Primarschulzeit noch in Grenzen hält, steigt es bis zum Ende kontinuierlich an. Das Handy steht dabei weit oben auf der Rangliste. Fast die Hälfte der Kinder gibt an, es mindestens einmal pro Woche zu nutzen oder ein eigenes zu besitzen. Allerdings ist der Begriff «eigenes» mit Vorsicht zu betrachten. Gemäss den Angaben der Eltern besitzt nur etwa jedes dritte Kind ein Handy. Eine Vermutung der Forschenden ist, dass es sich zum Teil um ein «Familienhandy» handelt, das mit Geschwistern geteilt wird und nur punktuell zum Einsatz kommt.
Bei den benutzten Apps gibt es einen klaren Favoriten: Rund zwei Drittel der Kinder (59 Prozent der Mädchen, 73 Prozent der Jungen) in der Schweiz nutzen mindestens einmal pro Woche die Video-Plattform YouTube. Ebenfalls beliebt sind WhatsApp, Snapchat, Instagram und TikTok. Rund drei Fünftel der Mädchen und vier Fünftel der Jungen spielen mindestens einmal pro Woche Games. Fortnite steht dabei neu ganz hoch in der Gunst der Kinder. Kritisch zu betrachten ist hier laut Gregor Waller, dass der sogenannte Survival-Shooter erst ab 12 Jahren freigegeben ist und offenbar trotzdem von deutlich jüngeren Kindern gespielt wird. «Die Kinder verstehen die Gewaltszenen nicht als schädlich, sie orientieren sich an ihren Kolleginnen und Kollegen und wissen vielleicht gar nicht, dass dieses Spiel nicht für ihre Altersklasse freigegeben ist.»
Mord, Tod und Tiere ängstigen Kinder
Zum ersten Mal wurden die Kinder in der aktuellen Studie gefragt, welche Inhalte sie verängstigen. Rund 60 Prozent der Kinder gaben beispielsweise an, dass ihnen im Fernsehen schon einmal etwas Angst gemacht hat. Genannt wurden dabei insbesondere Mord oder Tod, Gewaltszenen, Monster oder angsteinflössende Tiere. Neben der allgemeinen Nennung von Horrorszenen war der meist genannte angsteinflössende Filmtitel «Harry Potter». Dies ist gemäss Daniel Süss umso erstaunlicher, als es sich auch um den beliebtesten Film handelt. «Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass viele Kinder ängstigende Inhalte nicht absichtlich anschauen», so der Medienpsychologe. «Sie schnappen sie auf, wenn sie mit den Eltern oder grösseren Geschwistern fernsehen oder wenn sie in der Nacht aufstehen und etwas mitbekommen, was nicht für sie gedacht ist.»
Erleben Kinder beim Fernsehen Angst, wählen sie gemäss eigenen Angaben folgende Bewältigungsstrategien: Über die Hälfte der Kinder lenkt sich ab, rund zwei Fünftel sprechen mit den Eltern darüber, knapp ein Drittel macht gar nichts und ein Viertel der Kinder spricht mit Freunden darüber. Aufgrund dieser Ergebnisse schliessen die Forschenden, dass die Eltern als Ansprechpersonen noch Potenzial haben. Sie sollten noch mehr um das Vertrauen ihrer Kinder bemüht sein, und sich als eine Ansprechperson erweisen, bei der man mit seinen Ängsten und Sorgen gut aufgehoben ist. Eltern und Erziehungsberechtigte sind gemäss den Forschenden verpflichtet, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Dazu zählen sie auch, dass Kinder vor angsteinflössenden Inhalten möglichst geschützt werden. Für Kinder, die trotzdem in Kontakt mit verstörenden Szenen geraten und mit Angst darauf reagieren, müssen Eltern jederzeit ein offenes Ohr haben. Die Forschenden raten zu Gesprächen. Diese bieten eine Möglichkeit, Einblicke in die kindliche Mediennutzung zu gewinnen und dem Kind dabei zu helfen, Ängste abzubauen und verstörende Medieninhalte einzuordnen und zu verarbeiten.
Eltern stellen Regeln auf
Die Mehrheit der Eltern ist sich der Verantwortung hinsichtlich des Medienkonsums ihrer Kinder bewusst. Um die Mediennutzung zu kontrollieren, ist das Aufstellen von Regeln die beliebteste Strategie. Geregelt wird etwa, wie lange Medien genutzt werden dürfen und welche Inhalte erlaubt oder verboten sind. Viele Eltern betonen unter anderem die Wichtigkeit von Gesprächen mit ihrem Kind über dessen Mediennutzung sowie das Aufzeigen von Alternativen zum digitalen Medienkonsum. Die Elternbefragung ist jedoch – im Gegensatz zur Kinderbefragung – nicht repräsentativ, da nur etwa die Hälfte, sowie vor allem Frauen und Personen mit höherem Bildungsstand, den Fragebogen ausgefüllt haben.
«Die Corona-Krise hat vermutlich auch Auswirkungen auf den Medienkonsum und stellt viele Eltern vor Herausforderungen», erklärt Süss. Familien verbringen viel Zeit zuhause und digitale Medien sind ständig verfügbar. «Eltern sollten auch in dieser Situation auf zeitlich begrenzte Fernseh- oder Handy-Zeiten achten. Es empfiehlt sich aber, gerade im Primarschulalter, «Krisen-Regeln» zu vereinbaren, die auch lockerer sein dürfen als normal.» Wenn wieder Normalität eintritt, wird entweder neu verhandelt oder man kehrt zu den alten Regeln zurück. Wichtig ist auch, den Kindern Offline-Aktivitäten anzubieten.
Über die MIKE-Studie
Die MIKE-Studie untersucht repräsentativ das Mediennutzungsverhalten von Primarschülerinnen und -schülern in der Schweiz. MIKE steht für Medien, Interaktion, Kinder, Eltern. Für die Studie wurden zwischen April und Juni 2019 über 1000 Kinder im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren und über 600 Elternteile in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz befragt. Die MIKE-Studie wird von der Fachgruppe Medienpsychologie der ZHAW durchgeführt und durch die Unterstützung der Jacobs Foundation und von Jugend und Medien, der nationalen Plattform des Bundesamts für Sozialversicherungen zur Förderung von Medienkompetenzen, ermöglicht. Die MIKE-Studie 2019 ist die dritte Ausgabe der Schweizer Kinder-und-Medien-Studie.
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