Ideenschmiede, Austausch, Wellness: Der Arbeitsplatz wird zur Erlebniswelt

20.09.2022
3/2022

Onboarding-Kaffee mit dem CEO, Live-Streams in ortsgebundene Projekte, Ruheräume für junge Eltern: Der Arbeitsplatz von morgen unterscheidet sich vom klassischen Büro. Wo und wie werden wir arbeiten? Was bedeutet das für die Arbeitszufriedenheit, die Produktivität und die Unternehmenskultur? Ein Gespräch mit drei ZHAW-Fachleuten aus Angewandter Psychologie, Arbeitsrecht und Workplace Management.

Wie arbeiten wir nach Corona im «New Normal»?

Birgit Werkmann-Karcher: Selbstbestimmter, seltener im Büro und vermehrt im Homeoffice oder an dritten Orten. Zur Halbzeit der Corona-Restriktionen haben wir Personalfachleute aus Unternehmen verschiedener Grösse und Branchen befragt, welche Arbeitsweisen und Arbeitswelten ihre Unternehmen für danach planen. Damals hat sich schon gezeigt, dass die Arbeitswelt nach Corona freier sein wird. Forderungen von Mitarbeitenden nach Homeoffice können nicht mehr so einfach abgelehnt werden. Aber in welchem Ausmass flexibles Arbeiten ermöglicht wird, ist offen. Es wird sich einpendeln zwischen allen Mitarbeitenden komplett freie Wahl zu lassen und dem Zugeständnis von einem Tag pro Woche im Homeoffice.

Lukas Windlinger: Wir sehen heute schon, dass die Beschäftigten seltener ins Büro kommen, und wenn sie kommen, dann alle zusammen – am Dienstag und am Donnerstag. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? 

Wie viel Homeoffice wünschen sich die Mitarbeitenden und wie viel die Führungskräfte?

Windlinger: Es gibt Untersuchungen, wonach Mitarbeitende eher drei Tage zu Hause und zwei im Büro arbeiten möchten und bei den Unternehmen ist die Präferenz häufig gerade umgekehrt. 

Werkmann-Karcher: Bei unserer Befragung hat sich gezeigt, dass IT-Finanz- und Versicherungs- Unternehmen ein sehr hohes Potenzial für «remote only» – also Arbeit ausserhalb des Büros – sehen und jene in den Bereichen Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung eher ein kleines Potenzial für Remote Work ihrer Angestellten.

«Das wird sich einpendeln zwischen allen Mitarbeitenden komplett freie Wahl zu lassen und dem Zugeständnis von einem Tag pro Woche im Homeoffice zu arbeiten.»

Birgit Werkmann-Karcher, Co-Leitung Zentrum für Human Resources & Corporate Learning 

Nicole Vögeli: Das Wunschkonzert der Mitarbeitenden ist riesig. Als Rechtsanwältin könnte ich mir vorstellen, dass die Entwicklung aus rechtlichen Gründen wieder hin zu weniger Homeoffice beziehungsweise Remote Work geht. Irgendwann werden wir Fälle von Geheimnisverletzungen oder von Gesundheitsproblemen sehen. Es dürfte darüber gestritten werden, ob zu Hause etwa wegen Betreuungsaufgaben zu wenig gearbeitet wird. Vielleicht wird es auch Auseinandersetzungen darüber geben, ob der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht vernachlässigt hat, weil ein Single mit wenig Sozialkontakten zu viel arbeitet und ein «Burnout» erleidet. Nicht zu unterschätzen ist die Kostenfrage. Es gibt keine Pflicht des Arbeitgebers, sich an Kosten für Geräte sowie Materialien im Homeoffice zu beteiligen. Immerhin müssen Internetgebühren und ein Anteil am Mietzins ersetzt werden, sofern Homeoffice nicht ausschliesslich auf Wunsch des Mitarbeitenden ermöglich wurde. Sobald Remote Work im Ausland vorliegt, kommen erhebliche  steuer- und sozialversicherungsrechtliche Probleme hinzu. 

Windlinger: Gibt es aus Ihrer Optik eine Grenze für Homeoffice, die man in Zukunft erwarten könnte? Im Moment herrscht ja ein gewisser Druck auf dem Arbeitsmarkt, sodass Arbeitgebende gut beraten sind, grosse Flexibilität anzubieten, wenn sie Talente gewinnen oder halten wollen. 

Vögeli: Eine Grenze ist ganz klar bei Remote Working im Ausland gesetzt. Das geht maximal zu 20 Prozent, also einen Tag pro Woche bei einem 100-Prozent-Pensum. Bei mehr als 20 Prozent  wären die Mitarbeitenden nicht mehr dem Sozialversicherungssystem des Arbeitsortes, sondern jenem des ausländischen Wohnortes unterstellt. Davon abgesehen sehe ich die Grenze bei zwei Tagen pro Woche, weil sich sonst der hauptsächliche Arbeitsort verschieben würde, mit den entsprechenden rechtlichen Folgen.

Welche sind das?

Vögeli: Dann müsste ein Arbeitgeber zum Beispiel Spesen zahlen, wenn jemand zur Teamsitzung in den Betrieb kommen muss. Im Streitfall würde sich die Frage stellen, wo sich nun der Gerichtsstand befindet. Bis jetzt wenig beachtet wurde die Frage, welche Feiertage gewährt werden müssen. Nehmen wir an, ein ZHAW-Mitarbeitender wohnt im Kanton St. Gallen, und eine ZHAW-Mitarbeiterin im Kanton Zug. Beide hätten unterschiedliche Feiertage. Oder könnten jene Feiertage am Sitz der ZHAW in Winterthur als massgebend erklärt werden? Ich glaube, für die Rechtssicherheit – und das gilt für beide Seiten – wird es nötig sein, dass nicht zu viel ausserhalb der Betriebsstandorte gearbeitet wird. Selbstverständlich können Arbeitgeber sagen, wir nehmen Risiken und zusätzliche Kosten in Kauf, wir regeln alles individuell. Auf längere Zeit betrachtet müssen sich Unternehmen dennoch fragen, ob sich das bezahlt macht.

Dann würden Sie die Arbeitsweise wieder an geltendes Recht anpassen? Es gibt ja auch Forderungen, die Gesetze zu ändern?

Vögeli: Ich finde, zum Schutz der Gesundheit darf an der Arbeitszeit- oder Arbeitsortregelung wirklich nicht geschraubt werden. 

«Als Juristin könnte ich mir vorstellen, dass die Entwicklung aus rechtlichen Gründen wieder hin zu weniger Homeoffice beziehungsweise Remote Work geht.»

Nicole Vögeli, Studiengangleiterin & Dozentin für Arbeitsrecht

Werkmann-Karcher: Ich verstehe die Perspektive, aber die steht so völlig gegen die Erzählung von New Work. Die neuen Freiheitsgrade und der Zeitgewinn, die sich positiv für die Lebensführung nutzen lassen, die wollen Mitarbeitende nicht mehr aufgeben.

Vögeli: Wir müssen uns alle organisieren: Die einen haben einen Hund, die anderen eine kranke Mutter und die dritten haben Kinder. Mir geht es darum, dass sich die Struktur nicht völlig auflöst. Ich sage in den Weiterbildungen immer, die Gesetze und der Arbeitsplatz geben eine Struktur vor und die ist wichtig für den Menschen. Aber ich kann mich täuschen. 

Experimentieren Sie noch oder arbeiten Sie schon?

Wie ist das in Ihrer Organisation? Ist New Work bereits Realität? Wie äussert sich das? Oder sind Sie noch am Ausprobieren neuer Arbeitsformen? Was testen Sie gerade? Schreiben Sie uns unten gleich einen Kommentar. Wir freuen uns drauf!

Werkmann-Karcher: Ich bin überzeugt davon, dass Organisationen trotz rechtlicher Einschränkungen bemüht sein werden, mehr Flexibilität zur ermöglichen, denn es steht die Arbeitgeberattraktivität auf dem Spiel. Dort wo Organisationen dem Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte ausgesetzt sind, gilt Remote Working auch als Mittel zur Vergrösserung des potenziellen Talentpools. 

Vögeli: Mir tun alle vorgesetzten Personen enorm leid, die viele remote arbeitende Menschen führen müssen. Einige mussten das zwar schon früher. Aber viele sind schlicht nicht dafür ausgebildet – weder rechtlich noch psychologisch. Das erscheint mir ein grosses Problem. Wir müssen diese Führungskräfte schützen, ausbilden und begleiten. 

Frau Werkmann-Karcher, haben Sie auch Mitleid mit den Führungskräften?

Werkmann-Karcher: Ich glaube nicht, dass man sie bedauern muss. Für die Führungskräfte bedeutet Remote Working zwar mehr Planungs-, Koordinations- und Kommunikationsaufwand, wenn man Arbeiten nicht einfach mal spontan per Zuruf im Büro delegieren kann oder wenn man ergebnisorientiert führen soll. Personalabteilungen haben das aber auf dem Radar, dass sie Führungskräfte da unterstützen müssen – zumindest die HR-Abteilungen, mit denen wir sprechen konnten. Alle haben investiert in Schulungen für Remote Leadership. Es gibt auch schon viele Erfahrungen etwa bei Technologie- oder Telekomunternehmen und ebenso bei Organisationen, deren Mitarbeitende national oder international verstreut arbeiten. 

Vögeli: Dennoch – ich muss schon besonderes Glück haben, wenn alle meine Mitarbeitenden am Dienstag und am Donnerstag ins Büro kommen wollen. Falls nicht, dann muss das irgendjemand entscheiden. Ich als Rechtsanwältin sehe leider all die Fälle, bei denen es schiefgeht.

Werkmann-Karcher: Ich denke auch, es muss Richtlinien geben. An solchen arbeiten die befragten Unternehmen auch. Die einen sehen vor, dass Führungskräfte nur noch informiert werden müssen, bei anderen müssen sie flexibles Arbeiten noch genehmigen und bei wieder anderen entscheidet das Team völlig selbstorganisiert. Innerhalb dieser Vereinbarungen sollte es auch einen Teil geben, wo die oder der Einzelne selbst wählen kann, wie und wo sie oder er arbeiten will. Denn jede und jeder weiss am besten, was gut ist für die eigene Leistungsfähigkeit. Aus der Perspektive des Workplace Managements finde ich diese Thematik viel schwieriger: Was heisst das denn für unsere Büroflächen und das Aussehen der Büros, wenn vieles flexibel wird?

In einer Studie des Fraunhofer Instituts von 2020 sagten 62 Prozent der befragten Unternehmen, dass flexibles Arbeiten Einsparpotenziale bei Büroflächen eröffne. 

Werkmann-Karcher: In unserer Studie zu «New Normal» hat sich gezeigt, dass Organisationen, die Büroräume gemietet hatten, diese eher abgestossen haben. Jene, die Besitzer der Gebäude waren, haben dagegen in neue Büroraumkonzepte investiert.

«Die Funktion von Büros wird sich verändern. Wenn die Leute alle vor Ort sind, haben sie mehr Bedarf, sich auszutauschen.»

Lukas Windlinger, Leitung Kompetenzgruppe Betriebsökonomie und Human Resources

Windlinger: Die erste Anforderung an ein gutes Büro heisst für mich ganz konkret, dass immer genügend Arbeitsplätze vorhanden sind. Lösungen, die im Moment getestet werden, bei denen Mitarbeitende Arbeitsplätze beim Arbeitgeber reservieren müssen, die finde ich nicht geeignet. Arbeiten ist heute so intensiv, da will sich niemand um die Infrastruktur kümmern müssen. Diese muss vorhanden sein und gut funktionieren.

Wie sollen Unternehmen dann damit umgehen, wenn der Bedarf an Bürofläche derart schwankt?

Windlinger: Wir arbeiten zusammen mit einem Unternehmen an der Entwicklung eines Tools, das Organisationen helfen soll, sich über Effizienz und Effektivität ihrer physischen Arbeitsplätze zu informieren. Es besteht aus einem Mix aus datengestützten Beschreibungen der Umgebung, Bewegungsdaten, Nutzerbewertungen sowie anderen Erfahrungswerten. Es soll auch helfen, den ökologischen Fussabdruck von Unternehmen zu verkleinern durch Raumoptimierung und eine nachhaltigere Gebäudenutzung – auch hinsichtlich der Gesundheit und des Wohlbefindens der Belegschaft. Am Ende könnte dadurch auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden gestärkt werden. 

Dann ist das Büro nicht tot?

Windlinger: Nein, die Idee des Büros ist nicht schlecht. 

«In den Bürowelten können die Mitarbeitenden eben wählen, wo und wie sie arbeiten wollen – je nachdem, wie sie gestimmt sind oder welche Aufgaben sie vor sich haben.»

Lukas Windlinger, Life Sciences und Facility Management

Wie sieht denn das Büro der Zukunft aus? 

Windlinger: Die Funktion von Büros wird sich verändern. Wenn die Leute alle vor Ort sind, haben sie mehr Bedarf, sich auszutauschen. Da finden dann Meetings statt, Jour fixe, da treffen sich Projekt- oder Arbeitsgruppen etc. Ins Büro wird man kaum noch gehen, um ruhig und konzentriert zu arbeiten. Allenfalls Leute mit kleinen Kindern oder jene, die aus anderen Gründen zu Hause kein geeignetes Arbeitsumfeld haben. Es wird schon Fokusräume oder -kabinen geben, aber Kollaboration und Begegnung werden zunehmen. Grundsätzlich werden Bürowelten die unterschiedlichen Bedürfnisse und Präferenzen abbilden müssen. 

Bereits vor der Pandemie sah man Konzepte für unpersönliche Arbeitsplätze. Ist das die Richtung? 

Windlinger: Wir haben während der Pandemie 14 Schweizer Workplace Manager in einer Trendstudie befragt. Dabei hat sich gezeigt, dass es eine Tendenz zur Intensivierung des mobil-flexiblen Arbeitens und damit verbunden zur Veränderung der Bürowelten hin zu aktivitätsorientierten Konzepten gibt.

Wie kann man sich das vorstellen?

Windlinger: Das sieht dann so aus, dass die Mitarbeitenden auch im Büro wählen können, wo sie arbeiten wollen – je nachdem, wie sie gestimmt sind oder welche Aufgaben sie vor sich haben. Die verschiedenen Angebote sollen sie bestmöglich unterstützen bei dem, was sie tun. Andere Unternehmen, die diesbezüglich noch keine Konzepte hatten, begeben sich jetzt aufgrund der Erfahrungen während der Pandemie in diese Richtung. Wir werden immer weniger über Standardarbeitsplätze diskutieren, sondern über Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsmöglichkeiten in einem Office. Denn die meiste Zeit verbringen wir im Wechsel zwischen Meetings, informellem Austausch in Cafés oder auch mal kurz zurückgezogen für konzentriertes Arbeiten oder zum Ausruhen. Ich bin überzeugt, das Office lebt und bleibt. 

«Einerseits werden die Netzwerke ins Unternehmen vielleicht schwächer, stattdessen könnten Co-Working-Einrichtungen für Mitarbeitende verschiedener Organisationen Keimzellen für neue Ideen sein.»

Birgit Werkmann-Karcher, Angewandte Psychologie

Wie können Innovation und Unternehmenskultur ohne Büro beziehungsweise ohne gemeinsame Arbeitsorte gefördert werden?

Windlinger: Das ist eine grosse Frage im Moment. Wir vom Institut für Facility Management haben dies zusammen mit einem Kollegen der School of Management and Law im Rahmen eines Auftrags für ein IT-Unternehmen neben anderen Aspekten auch untersucht. Wir haben festgestellt, vieles funktioniert gut oder besser, wenn die Beschäftigten remote arbeiten. Und Teams, die vorher funktionierten, funktionieren auch remote. Auch die Leistung den Kunden gegenüber stimmte.

Dann ist alles gut?

Windlinger: Nicht ganz. Die Herausforderungen bei dieser Organisation waren tatsächlich die Kultur und die Identität. Da habe ich ein bisschen Angst davor, dass Organisationen auseinanderfallen, wenn man diesen Remote-Anteil zu stark erhöht. Insbesondere neue oder auch jüngere Mitarbeitende haben es schwer: Wie sollen sie beobachten, wie diejenigen, die schon länger da sind, Dinge tun, und von deren Erfahrungen profitieren, wenn niemand vor Ort ist. Das Funktionale der Arbeit ist eben nur das eine. Wichtig sind auch das Erlebnis, die Gemeinschaft, die Kultur. Diese Dinge müssen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. 

Frau Werkmann-Karcher, was tun die von Ihnen befragten HR-Fachleute zur Förderung der Unternehmenskultur?

Werkmann-Karcher: Bei den Firmen, wo das Erleben gemeinsamer Events ein prägendes Kulturelement war, wurde das Fehlen zwar bemängelt. Aber die Versuche für virtuelle Ersatzangebote waren beeindruckend vielfältig und reichten von Live-Streams in ortsgebundene Projekte über Onboarding-Kaffees mit dem CEO bis hin zu Wohnungsführungen, gemeinsamem Kochen und Motivations-, Sport- oder Game-Challenges. Im Moment lässt sich aber noch schlecht abschätzen, wie viel und was es braucht, um die Identifikation mit dem Unternehmen aufrechtzuerhalten. 

Lässt sich Vertrauen auch virtuell aufbauen?

Werkmann-Karcher: Natürlich. Verbindlichkeit wird dann eher über andere Faktoren erreicht, etwa wie schnell jemand reagiert, ob man von ihr oder ihm Dinge erhält, die für die eigene Arbeit gebraucht werden, oder ob jemand abtaucht. Bei Verbindungen, die aus dem Arbeitskontext und der Arbeitsaufgabe heraus resultieren, funktioniert der Zusammenhalt auch virtuell gut. Als Herausforderung werden die sogenannten schwachen Bindungen betrachtet, Bindungen also zu Kolleginnen und Kollegen, mit denen man nicht tagtäglich zu tun hat, die aber als Schlüssel für gutes Netzwerken, Innovation und Kreativität gesehen werden. Einerseits werden die Netzwerke ins eigene Unternehmen vielleicht schwächer, stattdessen aber könnten zum Beispiel Co-Working-Einrichtungen, in denen Mitarbeitende verschiedener Unternehmen zusammenkommen, Keimzellen für neue Ideen sein.

«Wir müssen für Berufsgruppen oder Beschäftigte, die eben nicht in den Genuss von zeitlich flexiblem Arbeiten kommen, die Entschädigung erhöhen.»

Nicole Vögeli, School of Management and Law

Vögeli: Das hat auch wieder eine rechtliche Komponente: die Treuepflicht. Je weniger ich mich mit dem Unternehmen identifiziere, desto weniger ernst nehme ich vielleicht die Treuepflicht. Ich äussere mich schneller negativ über das Unternehmen, weil ich zu distanziert bin. Wir sehen immer mehr auch sehr negative Posts über Arbeitskolleginnen und -kollegen in den sozialen Medien. 

Wenn man von flexiblem Arbeiten und New Work redet, dann immer in Zusammenhang mit Büroangestellten. 

Werkmann-Karcher: Und das sind laut der Flexwork-Studie 2020 der Fachhochschule Nordwestschweiz nur rund 48 Prozent der Erwerbstätigen, die mobil arbeiten können – also nur ein kleiner Teil.

Gibt es eigentlich auch New Work in anderen Bereichen? 

Werkmann-Karcher: Mir fallen da Beispiele von Handwerkerbetrieben ein, die jetzt vermehrt in die Medien gelangen, weil sie eben eine neue Art von Führung etablieren, Mitsprache erhöhen und versuchen, Flexibilisierung bei der Wahl der Arbeitszeiten zu realisieren. Das sind Ansätze, die man definitiv auch unter New Work zählt. Daneben gibt es auch generelle Bemühungen von Unternehmen, ihren Mitarbeitenden das Leben zu erleichtern und eine bessere «Employee Experience» zu schaffen. Ich habe von einer Firma gehört, die einen Bügelservice anbietet. Bei anderen Unternehmen können Mitarbeitende in der Kantine abends Sachen abfüllen für daheim. 

Vögeli: Wir müssen für Berufsgruppen oder Beschäftigte, die nicht in den Genuss von zeitlich oder örtlich flexiblem Arbeiten kommen, die Entschädigung erhöhen. Ich denke vor allem an handwerklich tätige Personen oder auch den Pflegebereich. Hier werden wir um das Lohnthema nicht herumkommen.

Werkmann-Karcher: Nicholas Bloom, ein Pionier in Studien zu Remote-Work-Themen, hat nach den Lockerungen der Corona-Restriktionen Remote-Arbeitende in den USA gefragt, wie viel es ihnen wert sei – in Prozent des Gehalts –, dass sie weiterhin so flexibel arbeiten können. Ich glaube, das Ergebnis war 7 bis 8 Prozent. Jungen Menschen war diese Freiheit sogar mehr wert als älteren. Blooms Vorschlag war, dann lasst uns das doch denjenigen, die nicht remote arbeiten können, finanziell obendrauf legen. Ich finde, das ist eine zu prüfende Idee.

Soll man diesen Zustupf für nicht remote Arbeitende den Remote Workern abziehen?

Vögeli: Das ist eine grosse Diskussion. Ich wäre da ein bisschen grosszügiger und würde nichts abziehen. Damit wir die Talente kriegen, müssen wir lohnmässig sowieso Top-Angebote unterbreiten. Übrigens hatte ich bereits eine juristische Anfrage dahingehend, ob der Lohn gekürzt werden darf, wenn nur noch zu Hause gearbeitet wird, wie das in den USA grosse IT-Firmen diskutiert haben.

Und darf er?

Vögeli: Einseitig kann ein Arbeitgeber in der Schweiz eine Lohnreduktion mittels Änderungskündigung umsetzen. Interessant wird die Frage sein, ob diese missbräuchlich wäre, da die Kosten für den Arbeitsweg grundsätzlich Sache der Mitarbeitenden sind und das sachliche Interesse der Arbeitgeber an der Lohnkürzung nicht direkt ins Auge springt. Hingegen kann die Bewilligung von (mehr) Remote Work durchaus vom Einverständnis zu einer Lohnreduktion abhängig gemacht werden. Der Lohn ist abgesehen von gesetzlichen Mindestlöhnen frei verhandelbar.

Wie sieht für Sie persönlich die ideale Arbeitswelt von morgen aus? 

Windlinger: Der Arbeitsplatz beziehungsweise die Infrastruktur ist eine wichtige Komponente. Im Kern geht es darum, dass Arbeitsinhalte, soziale Beziehungen und Arbeitsorte und -umgebungen aufeinander abgestimmt werden. Bei der Theorie zu New Work sind ja auch Sinn und Zweck einer Arbeit zentral: dass man Dinge tut, die sinnvoll sind oder die man persönlich als sinnvoll erleben kann, als Beitrag zu etwas Ganzem, etwas Grösserem – und das in einem Kontext der individuell und zwischenmenschlich funktioniert. Hier gibt es schon viele Entwicklungen, die ich gut finde.

Wo gibt es Nachholbedarf?

Windlinger: Nachholbedarf sehe ich, wenn es um mehr Wohlbefinden und Gesundheit geht, beim Thema Biophilie – also einer stärkeren Verbindung zur Natur über natürliche Materialen in Innenräumen. Das können Pflanzen sein, das können ebenso natürliche Oberflächen sein. Auch das Thema Wasser spielt da mit rein. Dann wissen wir, dass es gut ist, Ruheräume anzubieten, gerade für junge Eltern, die nur vier Stunden geschlafen haben in der Nacht – und auch das nicht am Stück. Diesen im Office die Möglichkeit zu bieten, einfach mal eine Stunde zu schlafen, wäre sinnvoll. 

Wie reagieren da Ihre Auftraggeber auf die Empfehlung zu mehr Büroschlaf? 

Windlinger: Ins Büro kommt man, um zu arbeiten, nicht um zu schlafen, höre ich häufig. Ich mache mich dann manchmal ein bisschen lustig über das zwinglianische Zürich. Aber das Denken ist auch in Bern, Luzern oder in St. Gallen nicht anders. Ich halte dagegen: Wenn deshalb die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit steigt, weshalb nicht? Letztlich sind die Infrastrukturkosten im Vergleich zu den Lohnkosten enorm klein. Ich würde das immer als Investitionen in die Mitarbeitenden sehen. Grosszügig in Arbeitslandschaften zu investieren – mit Augenmass in Bezug auf Nachhaltigkeit –, das wäre gut. Hier zu sparen, halte ich nicht für sinnvoll.

Werkmann-Karcher: Ich würde mir natürlich wünschen, dass man wirklich diese Workplace-Bedingungen vorfindet, die alle Bedürfnisse für gutes Arbeiten an so einem Tag vor Ort auch wirklich erfüllen, niederschwellig ohne Transaktionsaufwand. Und ansonsten bin ich auch Fan von Freiheit, wirklich zu wählen, wo ich optimal arbeiten kann – für den Teil, bei dem ich mich fokussieren muss oder bei dem ich kreativ sein muss. Und da gibt es einen Teil von Kreativität, der funktioniert nur und viel besser mit anderen. Und es gibt einen Teil, bei dem ich in mich gehen muss, um gute Lösungen zu entwickeln. 

Vögeli: Aus meiner Perspektive sind die gegenseitige Wertschätzung und der gegenseitige Respekt das Wichtigste. Selbstverständlich wäre es wunderbar, wenn man topmoderne Büroräume hätte. Ich selbst habe einen Standardarbeitsplatz, fühle mich dort trotzdem sehr wohl. 

Glossar

Remote Working: Steht für Arbeiten aus der Ferne, ausserhalb der Organisation, heutzutage meist mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie.

New Work: Der Begriff wurde Ende der 70er Jahre vom österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann begründet. Seiner Ansicht nach sollte der Mensch im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Arbeit sollte nicht nur Mittel zum Zweck sein. Heute beschreibt New Work den strukturellen Wandel in unserer Arbeitswelt. Ursachen sind unter anderem die Trends zur Digitalisierung, Globalisierung und die Entwicklung Künstlicher Intelligenz, die neue Möglichkeiten des Arbeitens und der Zusammenarbeit eröffnen.

New Work – Studien zum Thema

«Arbeitsweisen und Arbeitswelten im New Normal»: Ein Kooperationsprojekt der ZHAW-Departemente Life Sciences und Facility Management und Angewandte Psychologie.

Remote Work im New Normal? Eine Untersuchung der HR-Perspektive auf Arbeitsweisen und Arbeitswelten im «New Normal» nach Aufhebung der Corona-bedingten Restriktionen.

Workplace Benchmarking Framework: Ein Projekt zu Effizienz und Effektivität von Büroflächen des ZHAW-Instituts für Facility Management

Trendstudie Workplace Management nach der Pandemie: Ergebnisse aus Fokusgruppeninterviews zeigen eine Tendenz zur Intensivierung des mobil-flexiblen Arbeitens und damit zu Veränderungen in den Büro-Arbeitswelten in Richtung aktivitätsorientiertes Konzept bzw. Anpassung dieser Konzepte.

Podcast: Psychologie konkret

Wie und wo werden wir in Zukunft arbeiten? Die intensive Zeit von Homeoffice und Remote Work – das Arbeiten von einem anderen Ort als dem Arbeitsplatz aus – hat verändert, wie wir arbeiten und wie wir zusammenarbeiten. Vieles daran haben wir schätzen gelernt, manches daran fällt uns immer noch schwer. Ein Gespräch mit der Psychologin Birgit Werkmann-Karcher darüber, was bleiben wird und was nicht. Und was uns guttut und was nicht.

 

0 Kommentare

Sei der Erste der kommentiert!

Kommentar ist erforderlich!
Name ist erforderlich!
Gültige E-Mail ist erforderlich!
This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.