Im Gemeinschaftsgarten entsteht Nachbarschaft
Wer seine Umgebung mitgestalten kann, trägt ihr Sorge – und seine Lebensqualität steigt. Mehrere Forschungsarbeiten widmen sich der Verbindung ökologischer und sozialer Ziele im Quartier und haben Modellcharakter.
Wo bis vor kurzem eine ungenutzte Wiese war, entsteht nun ein attraktiver Quartierpark für alle. Ein Sitzplatz ist schon gebaut, ein gemeinsamer Garten angelegt, ein Zaun aus Totholz strukturiert das Gelände. Geleitet von der Frage: «Wie muss der Grünraum sein, damit man sich gerne darin aufhält?», entwickelt die ZHAW-Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit» zusammen mit Menschen aus dem marginalisierten Klotener Quartier Hohrainli den «GartenPark». Es ist ein Upcycling-Projekt: Wo möglich, werden vorhandene Materialien wiederverwertet.
Mit «Rain ins Grün» realisiert die Forschungsgruppe vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen ein weiteres Projekt im gleichen Quartier. Während der «GartenPark» in einer städtischen Freihaltezone am Rand der Siedlung entsteht, geht es bei «Rain ins Grün» um den Raum zwischen den Mietshäusern. Ziel beider Projekte ist es, Aussenräume zu schaffen, die alltägliche Kontakte, mehr Identifikation mit dem Ort und soziale Integration fördern. Das «Hohrainli» wird im Laufe der nächsten zwanzig Jahre stark verdichtet werden. Anders als üblich soll aber ein attraktiver Aussenraum entstehen, bevor dieser Prozess einsetzt. Der neu gestaltete Grünraum wird trotz der Bauvorhaben bestehen bleiben. Diesen Ansatz untersucht die Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit» in einem dritten Projekt «Qualitätsvolle Verdichtung vom Aussenraum her entwickeln.»
Zusammen etwas auf die Beine stellen
Es ist ein zentrales Anliegen der Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit», dass die Anwohnerinnen und Anwohner wesentlich mitbestimmen können, was in ihrer Umgebung passiert. Weil die Forschenden wegen Corona eine Zeit lang keine Befragungen machen konnten, deponierten sie an vier Plätzen Notizhefte, in welche die Menschen ihre Wünsche schreiben konnten. «Eine Gruppe, die zusammen Boccia spielt», steht da, «ein Gemüsegarten bei mir in der Nähe», «einen Treffpunkt» oder «können wir ein Kinderschloss bauen?»
Die Anwohnerinnen und Anwohner sollten aber nicht nur ihre Meinung abgeben, sondern auch selbst Hand anlegen. Projektleiterin Petra Hagen Hodgson erklärt: «Unsere Hypothese ist, dass durch das gemeinsame Etwas-auf-die-Beine-Stellen mehr Nachbarschaft entsteht. Man tut etwas zusammen, kommt ins Gespräch und fühlt sich mehr verbunden.»
Ungewöhnliche Methodik
Insbesondere das Gärtnern sei eine Tätigkeit, die verbinde. «Der Garten hat in allen Kulturen eine wichtige Bedeutung», erklärt Petra Hagen Hodgson. Den Menschen wieder mehr Zugang zur Natur zu verschaffen, liegt der Forscherin sehr am Herzen – auch als Beitrag zur Nachhaltigkeit. «Denn», fragt sie rhetorisch, «wie soll sich jemand für die Umstellung des Agrarsystems oder gegen den Klimawandel starkmachen, wenn er oder sie keinen Naturzugang hat?»
«Wir teilen unser Wissen, entwickeln Ideen und zeigen Möglichkeiten auf – aber wir entscheiden nicht allein.»
Die Reallabor-Methodik der Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit» ist noch wenig erprobt: Der partizipative Prozess ist für alle Beteiligten – einschliesslich der Auftraggeber und der Forschungsgruppe als Teil des Prozesses – völlig ergebnisoffen. «Wir haben keine Agenda», betont Petra Hagen Hodgson. «Wir teilen unser Wissen, entwickeln Ideen und zeigen Möglichkeiten auf – aber wir entscheiden nicht allein.» Die Vorhaben «GartenPark» und «Rain ins Grün» wurden von der ZHAW-Forschungsgruppe initiiert, werden aber von der Stadt Kloten, einer Pensionskasse und vom Bund finanziell gefördert. Alle drei Projekte sollen als «Modellvorhaben für Nachhaltige Raumentwicklung» zum Vorbild für andere Gemeinden und Investoren werden. Sie laufen noch bis 2023.
Die soziale Komponente ist wichtig
Dass ein vorbildlich ökologisch gestalteter Aussenraum nicht nachhaltig ist, wenn die soziale Komponente vernachlässigt wird, zeigt ein weiteres Projekt von «Grün und Gesundheit». In Zürich-Schwamendingen hatte der Vorstand einer Wohnbaugenossenschaft einen Landschaftsarchitekten beauftragt, die Biodiversität auf dem Gelände zu erhöhen. Doch gegen das Vorhaben formierte sich Widerstand. Die Bewohnerschaft war nicht in den Prozess involviert worden und wehrte sich dagegen, dass liebgewonnene Bäume ersetzt und eine selbstgebaute Pergola sowie Gemüsebeete verschoben werden sollten. Schliesslich wurde die ZHAW-Forschungsgruppe beauftragt, den neu geplanten Garten zusammen mit den Anwohnenden aufzubauen und ihnen das naturnahe Gärtnern näherzubringen. Ziel des Projektes ist es auch hier, Handlungsempfehlungen für ähnliche Projekte herauszuarbeiten. Das gemeinsame biologische Gärtnern kommt im Übrigen so gut an, dass bereits ein zweiter Garten angelegt worden ist.
Mit digitalen Medien die soziale Integration fördern
In vielen Quartieren sind es häufig dieselben Personen, die sich für die Gemeinschaft engagieren. Wie schafft man Möglichkeiten, dass sich alle, die möchten, einbringen können? Anhand von drei Fallstudien hat das Institut für Nachhaltige Entwicklung zusammen mit dem Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe untersucht, welche Faktoren die soziale Integration und gleichzeitig einen ressourcenschonenden Lebensstil im Quartier fördern. Ein besonderes Augenmerk wurde beim kürzlich abgeschlossenen, ZHAW-intern finanzierten Projekt auf die Rolle der digitalen Medien gelegt.
«Für Menschen, die nicht so gut Deutsch können, ist es oft einfacher, sich schriftlich im Whatsapp-Chat einzubringen, als an einem Workshop teilzunehmen, an dem Schweizerdeutsch gesprochen wird.»
Digitale Kommunikationsmittel haben den Vorteil, dass sie orts- und zeitunabhängig sind. Zudem sind die sprachlichen Hürden kleiner. «Für Menschen, die nicht so gut Deutsch können, ist es oft einfacher, sich schriftlich im Whatsapp-Chat einzubringen, als an einem Workshop teilzunehmen, an dem Schweizerdeutsch gesprochen wird», sagt Evelyn Lobsiger, Leiterin des Projektes «Integration im Quartier durch Nachhaltigkeitsprojekte». Der Messenger-Dienst ist weit verbreitet und das Gründen einer Chat-Gruppe ist unkompliziert. Der Nachteil: Wer teilnehmen will, muss eingeladen werden – wer neu ist im Quartier, findet deshalb nicht so leicht Zugang zu bestehenden Gruppen. Zudem können die Inhalte im Whatsapp-Chat nicht strukturiert werden: Das Angebot einer Babymütze steht zwischen der Anfrage für einen Kaffeeschwatz oder der Frage, wer beim Jäten hilft.
Mehr Lebensqualität und Verbundenheit
Abhilfe schaffen kann eine digitale Plattform, wie sie die Stadt Winterthur letztes Jahr für das Quartier Neuhegi lanciert hat. Dort finden Interessierte auf Unterseiten Pinnwände und Diskussionsforen zu unterschiedlichen Themen, Veranstaltungshinweise oder ein lokales Gewerbeverzeichnis. Wer jemanden aus dem Netzwerk kontaktieren möchte, kann dies über die Plattform tun, ohne die Kontaktdaten der Person zu erfahren. Nach einem Jahr konnten die Forschenden positive Effekte messen: Die Lebensqualität und die Verbundenheit mit dem Quartier erhöhte sich bei jenen Personen, die sich auf der Plattform registriert hatten, signifikant. «Das hatten wir so nicht erwartet», sagt Evelyn Lobsiger. «Wir vermuten, dass allein das Wissen, dass man mit anderen vernetzt ist, reicht, um sich im Quartier aufgehoben zu fühlen – selbst wenn man nicht miteinander in Kontakt tritt.»
Anders als eine Whatsapp-Gruppe braucht eine Plattform jemanden, der die Verantwortung übernimmt und immer wieder neue Inhalte aufschaltet. Das erfordert Ressourcen. Und: Will man einen grossen Teil der Anwohnerinnen und Anwohner erreichen, sind unterschiedliche Kommunikationsformen gefragt. Gerne digitale – aber auch weiterhin analoge.
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