In der Forschung im eigenen Kulturkreis ist man oft betriebsblind

21.09.2021
3/2021

Patrick Studer ist Professor und Leiter des Forschungsbereichs Sprachkompetenz und Wissensvermittlung. Er besuchte im Rahmen des ZHAW-Swissnex-Personalmobilitätsprogramms im Januar 2020 das Center for International Higher Education am Boston College.

Herr Studer, mit welchem Ziel sind Sie nach Boston gereist?

Patrick Studer: Im Zentrum des Aufenthalts stand das Projekt «High-impact measures for the comprehensive internationalisation of curricula in Switzerland», an dem neben der ZHAW auch die BFH, die SUPSI, die HES-SO und Fachleute des Center for International Higher Education des Boston College beteiligt sind. 

Hatte der Austausch Auswirkungen auf Ihre Forschungsarbeit? 

Durch den Besuch, der eigentlich so im Projektplan gar nicht vorgesehen war, konnte ich zusätzliche Kontakte knüpfen, so etwa zum damaligen Direktor des Zentrums Hans de Wit. Aus diesem Kontakt wiederum ergab sich eine verlängerte Visiting Scholarship am Boston College, die aber leider aufgrund der Situation um Covid-19 nicht intensiv genutzt werden konnte. Ich würde in Zukunft sehr gerne noch einen längeren Forschungsaufenthalt in Boston einplanen.

Hat Sie etwas besonders beeindruckt in Ihrem Austausch?

Ich wurde sehr herzlich in Boston empfangen und fühlte mich gleich zuhause. Ich habe mehrere Jahre in Irland gelebt und unterrichtet und fand Boston sehr nahe an meiner früheren Auslanderfahrung. Die Kolleginnen und Kollegen in Boston haben mich dann auch überall herumgeführt. Besonders in Erinnerung sind für mich die schönen Ausflüge, die wir gemacht haben. Und daneben haben wir natürlich Ideen für weitere Projekte geschmiedet. Aus diesen Ideen ist dann auch ein Folgeprojekt entstanden.

«Wenn ich mit Personen von ausserhalb der Schweiz forsche, wird das Alltägliche in Frage gestellt und neu verhandelt

Wie wichtig sind für Sie internationales Lernen und internationale Forschung? 

Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und fand die Schweiz immer sehr klein. Schon früh hatte ich den Drang, mehr von der Welt kennenzulernen. So bin ich bald nach meinem ersten Abschluss an der Universität Zürich nach Irland übergesiedelt. Dort lernte ich in der Auslandgermanistik, wie es sich anfühlt, wenn man aus einer anderen Kultur auf Dinge schaut, die mir sehr vertraut sind. Ich musste Banales über meine Herkunftskultur erklären, über das ich mir gar nie richtig Gedanken gemacht hatte. Heute sind internationale Kontakte in meiner Forschungstätigkeit nicht mehr wegzudenken: Ich arbeite intensiv mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern in Europa und darüber hinaus zusammen. In der Forschung im eigenen Kulturkreis ist man oft betriebsblind. Es gibt wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurse zu Forschungsthemen, die die Forschungsagenda beeinflussen. Wenn ich mit Personen von ausserhalb der Schweiz forsche, wird das Alltägliche in Frage gestellt und neu verhandelt. Das gefällt mir.  

Was würden Sie jemandem empfehlen, der an der ZHAW arbeitet und sich ebenfalls für einen Austausch interessiert? 

Die ZHAW ist ursprünglich eine regional orientierte Fachhochschule und dadurch noch kein grosser «Player» auf dem internationalen Hochschulmarkt. Gleichzeitig darf man sich dadurch aber auch nicht einschüchtern lassen. Die Welt ist offen und interessiert daran, mit uns in Kontakt zu treten. Die ZHAW wird von aussen als junge, aufstrebende Hochschule wahrgenommen. Wenn also jemand aus der ZHAW mit einer renommierten Hochschule im Ausland zusammenarbeiten möchte, dann kann ich diese Person nur dazu ermutigen, den Kontakt herzustellen. Wichtig ist aber auch, dass man dranbleibt, wenn einmal keine Antwort kommt. Es braucht also auch ein bisschen Hartnäckigkeit.

Welchen Mehrwert würde es aus Ihrer Sicht für die ZHAW schaffen, wenn mehr ihrer Forschenden von solchen internationalen Austauschmöglichkeiten profitierten?

Ein zentraler Mehrwert für die ZHAW ist die erhöhte Sichtbarkeit nach aussen, aber auch nach innen. Sichtbarkeit bedeutet, dass wahrgenommen wird, was wir hier tun und wer wir sind. Sie ist aber kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck; sie dient dazu, die Qualität des Forschungs- und Lehrbetriebs durch internationalen Austausch und Zusammenarbeit zu verbessern. Ein Austausch bietet wertvolle Impulse für Innovation in Forschung und Lehre: Man erfährt, wie anderswo das eigene Fach unterrichtet oder wie und unter welchen Rahmenbedingungen im eigenen Forschungsbereich geforscht wird. Aus diesem Grund wären ja gerade auch die europäischen Forschungs- und Austauschprogramme so attraktiv, an denen wir nur peripher teilnehmen können. Es geht meines Erachtens weniger ums Geld, das man einwerben kann, als um die Tatsache, dass man sich in Estland, Dänemark, Spanien und Italien gemeinsam zu einem Thema Gedanken machen und zusammen Forschung betreiben kann. Dadurch kann ein ganzheitliches Bild eines Forschungsgegenstands entstehen. Auch fördert der internationale Austausch inter- und transdisziplinäres Denken, weil die Grenzen zwischen den Disziplinen und Akteuren im Ausland oftmals anders abgesteckt sind. 

Das Interview wurde schriftlich geführt

Von Winterthur nach Shanghai oder Boston – Drei weitere ZHAW-Forschende über ihre Erfahrungen, die Wichtigkeit von Internationalität und Austausch

«Die spannenden Forschungsthemen gerade im Finanzbereich haben alle einen internationalen Charakter»: Jan-Alexander Posth, Dozent an der Fachstelle für Asset Management, hat neue Perspektiven in seinem Forschungsbereich «Sustainable Finance» erhalten.

«Der Austausch unter den Dozierenden ist anregend und eine Win-win-Situation»: Anita Manser Bonnard, Leiterin der Weiterbildung am Institut für Gesundheitswissenschaften, hat in Boston Inspirationen für die Weiterentwicklung von Weiterbildungsangeboten gesucht und gefunden.

«Die unterschiedlichen Erfahrungen und Kulturen erweitern den eigenen Horizont»: Julia Dratva, Leiterin der Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften, konnte die Zusammenarbeit mit den Forschenden am Boston Children’s Hospital vertiefen und erweitern.

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