Responsible Research and Innovation

Innovation im Einklang mit der Bevölkerung

06.12.2022
4/2022

Entwicklungen wie die Energiewende können bei der Gesellschaft Bedenken und Widerstand regen. Mit einem neuartigen Ansatz der Bürgerbeteiligung unterstützt die ZHAW die Gemeinde Thalwil, damit deren Energiestrategie breit akzeptiert wird.

Wie wäre es, wenn Bürgerinnen und Bürger Energiepatenschaften für Photovoltaik auf öffentlichen Gebäuden übernähmen? Braucht es lokale Fonds zur Unterstützung von privaten energetischen Sanierungen? Solche Fragen diskutieren die Einwohnerinnen und Einwohner von Thalwil (ZH) im sogenannten World-Café – einem Workshopformat, bei dem in wechselnden Kleingruppen diskutiert wird. Der Anlass ist Teil des EU-Forschungsprojekts «Leveraging Leadership for Responsible Research and Innovation in Territories», in dessen Rahmen die ZHAW die Gemeinde Thalwil auf dem Weg zur Nachhaltigkeit begleitet. «Die Bürgerbeteiligung ist zentral, damit wir die Transformation auf die gesellschaftlichen Werte und Bedürfnisse abstimmen können», sagt Projektleiter Florian Roth vom ZHAW Center for Corporate Responsibility. Das Forschungsprojekt testet, wie gut sich der RRI-Ansatz (siehe Box unten) für Innovationsprozesse auf Gemeindeniveau eignet. Auch Regionen in Bulgarien, Spanien und Griechenland haben sich als Versuchsorte zur Verfügung gestellt. «Jeder Ort arbeitet an einer anderen Herausforderung», erklärt Roth. «Wir profitieren enorm vom interkulturellen Austausch.»

Bedenken ernst nehmen

Martin Schmitz, Leiter Umwelt und Nachhaltigkeit in Thalwil, war der RRI-Ansatz zunächst nicht bekannt. Schnell merkte er jedoch, dass die Gemeinde die Grundelemente von RRI wie das Abwägen von möglichen Folgen der Energiewende oder die Wichtigkeit einer anpassungsfähigen Energiestrategie bereits anwendet. «Neu war die Systematik», erzählt er. «Dass wir zum Beispiel nicht wahllos Menschen zu Versammlungen einladen, sondern gezielt alle Teile der Gesellschaft einbinden.» Die Gemeinde erhofft sich, dass die Energiewende durch die Zusammenarbeit reibungsloser über die Bühne geht, da die Beteiligten miteinbezogen und ihre Bedenken ernst genommen werden.

Kreislaufwirtschaft erwünscht

Um zu verstehen, wo Thalwil in Bezug auf die Energiewende steht, hat die ZHAW ein Delphi-Survey durchgeführt: Das mehrstufige Befragungsverfahren hilft dabei, einen Konsens unter Fachpersonen und der Bevölkerung zu bilden. Zwei Resultate haben Schmitz überrascht: «Die Einwohnerinnen und Einwohner wünschen sich, dass die Gemeinde eine Vorbildfunktion einnimmt sowie dass sie die Kreislaufwirtschaft stärkt und Kunststoffrecycling anbietet.» Die Resultate haben die Forschenden mit den Interessensgruppen in Formaten wie dem World-Café diskutiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Einführung von Tempo-30-Zonen durch Thalwiler Bürgerinitiativen besser funktioniert hat als top-down von der Gemeinde. «Wir haben besprochen, wie man diesen Bottom-up-Prozess auch in anderen Bereichen nutzen könnte», so Roth. So könnten etwa PV-Anlagen anstatt durch die Gemeinde durch Energiepatenschaften von Bürgerinnen und Bürger finanziert werden. «Das hätte einen doppelten Effekt: Es entlastet die Gemeinde, und durch die Beteiligung steigt die Akzeptanz der Bevölkerung», meint Roth. 

«Am meisten würde ich mich freuen, wenn in 15 Jahren jemand sagt, er engagiere sich für die Gemeinde, weil er damals an diesem World-Café war.»

Florian Roth, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZHAW Center for Corporate Responsibility

Energiestrategie als demokratische Entscheidung

Nach der ersten Hälfte des dreijährigen Forschungsprojekts ist eine Sammlung von Ansätzen, die sowohl Fachleute wie Einwohnerinnen und Einwohner als sinnvoll und zielführend erachten, zusammengekommen. Nun geht es darum, diese in konkrete Massnahmen herunterzubrechen und zu priorisieren. Die Massnahmen werden anschliessend dem Gemeinderat vorgelegt und die Energiestrategie auf Basis demokratischer Entscheide umgesetzt. Dem Politikwissenschaftler Roth liegen die längerfristigen Effekte von RRI am Herzen: «Am meisten würde ich mich freuen, wenn in 15 Jahren jemand sagt, er engagiere sich für die Gemeinde, weil er damals an diesem World-Café war», sagt er und schmunzelt. 

Responsible Research and Innovation

Der Ansatz zur «Verantwortungsvollen Forschung und Innovation» (RRI) bindet Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aktiv in alle Stufen der Innovationsentwicklung ein. Die Methode hilft dabei, Innovationen besser an den gesellschaftlichen Werten und Bedürfnissen auszurichten. So werden Risiken und Kontroversen antizipiert und eine breite Akzeptanz gefördert. Das Instrument verspricht auch längerfristige Gewinne, zum Beispiel die Förderung der Geschlechtergleichheit durch das Mitspracherecht aller. 

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