Lagerplatz Winterthur: Ein gesellschaftliches Biotop
Pulsierendes Leben inmitten von Industriezeugen: Der Lagerplatz in Winterthur hat sich vom Industrieareal in ein Biotop für urbanes Leben, Lernen und Arbeiten verwandelt. Seinen Charakter aus der Sulzer-Zeit hat das Areal bestens bewahrt.
Ein gewöhnlicher Dienstagnachmittag, doch die Tische beim «Portier» sind auch draussen gut besetzt. Im Portierhäuschen meldete sich einst, wer Zugang zum Industriegelände begehrte. Heute gibts hier Verköstigung – und Informationen über den Lagerplatz, wie Simon Mühlebach vom ZHAW-Institut Urban Landscape zum Auftakt des Rundgangs erklärt.
Auf dem Areal gibts über 100 Mieter. Nicht alle sind so einfach zu finden wie das Programmkino «Cameo» oder das Hostel «Depot 195», das Betten ab 36 Franken anbietet. Und natürlich die Multisporthalle des Skills Park, auf die Kids mit ihren BMX-Velos, Scooters und Inlineskates zusteuern.
Trotz der Umnutzung atmet heute noch jede Ecke industrielle Vergangenheit. Die alten Industriegleise sind sichtbar, ein Vordach aus einer anderen Ecke des Areals schützt die Aussenwirtschaft des Bistros «Les Wagons», das aus drei antiken Wagen der Üetlibergbahn besteht.
Weiter führt der Rundgang mit Mühlebach zur Halle 181, die um drei Etagen aufgestockt wurde. Im alten Teil gibts einen Verein mit historischen Dampfmaschinen, darüber liegen Büros und Unterrichtsräume der ZHAW. Gegen die Bahngleise im Süden erhielt die Halle zur Schall- und Wärmedämmung eine Gewächshausschicht mit Tomaten, Kräutern und anderen Pflanzen.
«Eigentlich bestand auf dem Lagerplatz schon länger ein gesellschaftliches Biotop – man brauchte es bloss zu erhalten.»
Der Lagerplatz macht ein Viertel des Sulzerareals Stadtmitte aus. Hier pulsiert das Leben wie nirgendwo sonst im einstigen Industriequartier. Wie konnte eine so beseelte Urbanität heranwachsen? Solche Fragen untersucht Mühlbach in einem ZHAW-Forschungsprojekt, das anhand von vier Deutschschweizer Arealen der Wechselwirkung zwischen städebaulicher Gestaltung und gesellschaftlicher Integration nachgeht.
Denn das war nicht selbstverständlich, als Sulzer 1988 den Rückzug von den Produktionsstandorten in der Stadt bekannt gab. Das Projekt «Winti Nova» wollte mit Neubauten auftrumpfen. Ein Aufschrei ging durch die Stadt. Die Abbruchpläne wurden ausgebremst, eine Stadtentwicklungsdebatte entstand.
Zu einer der ersten Zwischennutzungen kam es in der Halle 180, der ehemaligen Kesselschmiede. Sie wurde zur Architekturschule umgebaut (heute ZHAW-Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen). Nach und nach folgten weitere Zwischenmieter. 2006 schlossen sich die Zwischennutzer im Arealverein zusammen. Obwohl ihnen die Grundstücke gar nicht gehörten, suchten sie einen Käufer – mit Erfolg. Seit 2009 ist der Lagerplatz im Besitz der Stiftung Abendrot, die Pensionskassengelder nach den drei Kriterien Gesundheit, Umwelt und Gerechtigkeit investieren will. Mitgespielt hat, dass eine Umzonung die zugelassene Ausnutzung des Areals verringerte. Das senkte den Rendite- und Überbauungsdruck. «Der Bestand wird nach und nach sozialverträglich saniert, optimiert und erweitert», sagt Mühlebach.
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