Laut, chaotisch und doch so freundlich
Zürich–Marseille: Der Student der Sozialen Arbeit Manuel Bertogg verbrachte sechs Monate im Süden von Frankreich, wo er Sozialpädagogik studierte und vier Kurzpraktika absolvierte.
Marseille war meine Wunschdestination. Ich hatte die Stadt schon bereist und sie hat es mir angetan. Alles ist etwas lauter, lockerer und lebendiger als in der Schweiz – man sagt auch, Marseille sei nicht die südlichste Stadt von Frankreich, sondern die nördlichste des Maghreb. Ich habe mich sehr wohl gefühlt an diesem multikulturellen Ort. Auch wenn es schon ziemlich chaotisch ist. Als Velofahrer musste ich meinen Fahrstil stark anpassen. Würde man sich immer an die Verkehrsregeln halten, käme man nie an. Allgemein empfand ich aber das Miteinander als sehr fürsorglich. Ich war der einzige Erasmus-Student in meinem Jahrgang, wurde bestens aufgenommen und sehr oft eingeladen.
Ich hatte blockweise Unterricht und kurze Praktika in vier Institutionen: einem Kinder- und Jugendheim, einem Beratungszentrum, einer psychiatrischen Residenz für Erwachsene und einem Massnahmenzentrum für delinquente Jugendliche. Letzteres fand ich am spannendsten. Die Arbeit war sehr vielseitig: Hilfe bei der beruflichen Eingliederung, Ausflüge, Freizeitgestaltung. Als Betreuer mit ausländischem Akzent hatte ich die Sympathie der Jugendlichen meist schnell gewonnen. Ich schrieb ausserdem meine Bachelorarbeit grösstenteils in Marseille. Darin geht es um staatliche Fördermassnahmen in ärmeren Quartieren der Stadt.
Meine Begeisterung für Fussball wurde oft zum Eisbrecher. Nicht nur mit den Jugendlichen, auch bei der WG-Zimmer-Suche. Meine WG mit zwei französischen Studenten war super. Wir verbrachten viel Zeit miteinander – teilweise gezwungenermassen, als abends Ausgangssperren herrschten. Einmal lud mich ein Einheimischer zum Fussballspielen mit seiner Quartiermannschaft ein. Ich staunte nicht schlecht, als wir in die Quartiers Nord fuhren – das Gebiet der Stadt, von dem Touristen abgeraten wird. Es war ein toller Tag, an dem sich die kulturelle Vielfalt wieder einmal zeigte: Ich zum Beispiel achtete auf guten Sonnenschutz – andere legten vor dem Spiel Gebetsteppiche aus. Entgegen dem Klischee eines der kriminellsten Quartiere der Stadt spielten zwei Mannschaften mit Spielern aus verschiedensten Nationen friedlich miteinander Fussball. Auch das legendäre EM-Achtelfinalspiel Schweiz–Frankreich sah ich übrigens mit Tausenden anderer in Marseille. Beim Jubeln nach dem letzten Penalty war ich dann aber merkwürdigerweise alleine.
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