Experimentieren für nachhaltigeres Bauen

Lehmtreppe aus dem 3D-Drucker

21.03.2023
1/2023

Die Baubranche verursacht einen beträchtlichen Teil der weltweiten CO2-Emissionen. Zu einer nachhaltigeren Bauweise beizutragen, ist Ziel eines neuen Workshops der ZHAW und der USI. Teilnehmende experimentieren in diesem mit digitalen Fertigungsmethoden und alternativen Materialien.

Von Weitem sieht die Treppe auf dem Campus der Università della Svizzera italiana (USI) in Mendrisio aus wie jede andere auch. Doch wer ihr näher kommt, erkennt die textilartige Struktur an der Vorderseite der Stufen. Und sieht vielleicht sogar, dass die Treppe nicht aus Beton, sondern aus Lehm besteht. 

«Lehm hat als Baumaterial in den letzten Jahrzehnten eine gewisse Renaissance erlebt.»

David Jenny,  Dozent am Zentrum Bautechnologie und Prozesse der ZHAW

Das Bauwerk ist das Resultat von «Earth to Earth». Unter diesem Titel fand im Februar erstmals der Workshop «ZHAW/USI winter research project on sustainable construction through digital fabrication» statt. Das hybride Forschungs- und Lehrformat wurde vom Zentrum Bautechnologie und Prozesse am ZHAW-Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurswesen und der Accademia di architettura di Mendrisio der USI ins Leben gerufen; unterstützt durch das Sustainable Impact Program der ZHAW. Es soll aufzeigen, wie digitale Fertigungsmethoden zu einer nachhaltigeren Bauweise beitragen können – auch, aber nicht nur, in Kombination mit alternativen Materialien (siehe Box). 

Schalung aus dem 3D-Drucker

Premiere: Zum ersten Mal überhaupt wurden Lehmschalungen aus dem 3D-Drucker für ein Bauwerk verwendet. Bild: David Jenny

Nahaufnahme der Schalungselemente, textiler Ausdruck der 3D-gedruckten Oberflächen. / Bild: David Baumgartner

Hier werden die Teilnehmenden eingeführt in das Mischen von Lehm. / Bild: David Jenny

So kam bei der Treppe, die Architekturstudierende der beiden Hochschulen in einer Woche entworfen und gebaut haben, ein zum 3D-Drucker umgerüsteter Roboterarm zum Einsatz. Dieser druckte aus einem Gemisch aus Lehm, Wasser, Holzfasern und Sand dünne Schalungen für die einzelnen Treppenstufen. Der 3D-Druck ermöglichte die textilartige Oberfläche, die dem Bauwerk neben der speziellen Optik auch mehr Stabilität verleiht. Nach der Platzierung der Schalungen füllten die Teilnehmenden diese mit einem lehmbasierten Werkstoff des ETH-Spinoffs Oxara auf. 

«Der 3D-Druck hat gut funktioniert, aber auch Verbesserungspotenzial beim verwendeten Material aufgezeigt», sagt Projektleiter David Jenny vom Zentrum Bautechnologie und Prozesse. Das Verhalten von Lehm als natürlichem Material sei nicht immer homogen, was zu gewissen Unregelmässigkeiten in den Schalungen geführt habe. 

Bewusstsein bei Teilnehmenden fördern

Trotzdem ist Jenny zufrieden mit dem Resultat. Auch, weil seines Wissens das erste Mal überhaupt Lehmschalungen aus dem 3D-Drucker für ein Bauwerk verwendet wurden. «Das Format verfolgt einen experimentellen Ansatz. Wir probieren neue Fertigungskonzepte, Technologien und Materialien aus – immer mit dem Risiko, dass etwas nicht so klappt wie angedacht.» Die Workshops sollen einerseits Inputs für die weitere Forschung an nachhaltiger Bauweise liefern, anderseits bei den Studierenden das Bewusstsein für diese fördern.   

«Meine Generation von Architektinnen und Architekten muss sich viel stärker mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit auseinandersetzen, als dies bislang in der Branche geschieht.»

Tamara Skoric, Masterstudentin USI

Für Teilnehmerin Tamara Skoric, Masterstudentin an der USI, ist klar, dass sich «meine Generation von Architektinnen und Architekten viel stärker mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit auseinandersetzen muss, als dies bislang in der Branche geschieht». Der Workshop habe ihr bewusst gemacht, dass es Alternativen zu konventionellen Materialen wie etwa Beton gebe, die nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch weniger toxisch seien. 

Umweltsünder Baubranche 

Der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Bauweise ist dringend nötig. Allein die Herstellung von Zement, der die Basis für den allgegenwärtigen Beton bildet, war 2021 für über sieben Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase verantwortlich. Laut einem Bericht der UNO gingen im selben Jahr geschätzte 37 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf das Konto der Bau- und Gebäudewirtschaft – wobei hier neben der Herstellung von Materialien sowie dem Bau von Gebäuden auch deren Betrieb, also etwa Heizung oder Elektrizität, mit eingerechnet ist.

Die Baubranche nachhaltiger zu machen, sei ein komplexes Unterfangen, das unterschiedliche Lösungsansätze erfordere, sagt David Jenny. «Das kann zum Beispiel die Einführung einer Emissionsabgabe oder eine konsequentere Wiederverwertung von Bauabfällen sein.» Neue Fertigungsmethoden und alternative Baustoffe sind deshalb nur eine von vielen möglichen Lösungen. «In diesem Bereich können wir jedoch einen wichtigen Beitrag leisten», ist der Forscher überzeugt. Die digitale Fertigung könne Materialien wie Lehm zu mehr Akzeptanz in der Baubranche verhelfen.  

Geringerer Aufwand dank digitaler Fertigung

«Lehm hat als Baumaterial in den letzten Jahrzehnten zwar eine gewisse Renaissance erlebt», sagt Jenny. Prominentes Beispiel sei das mit Stampflehm gebaute Ricola-Kräuterzentrum des Architekturbüros Herzog & de Meuron. Trotzdem wird das emissionsarme Material wenig verwendet, da es nicht zur industrialisierten Bauweise passt. «Bauen mit Lehm ist zeit- und arbeitsintensiv und deshalb vergleichsweise teuer. Und es ist schwierig, in der Herstellung eine gleichbleibende Bauteilqualität zu erreichen», erklärt Jenny. Digitale Fertigungsmethoden wie der 3D-Druck können dazu beitragen, diese Hürden zu überwinden: Sie ermöglichen etwa durch die automatisierte Vorproduktion einzelner Module, den Zeit- und Arbeitsaufwand erheblich zu verringern.

Wie lange die Lehmtreppe in Mendrisio übrigens bestehen bleibt, ist ungewiss. Wind und Wetter ausgesetzt, wird sie sich mit der Zeit zersetzen. Wie lange der Zersetzungsprozess dauert, wird dokumentiert, um weitere Erkenntnisse zu Material und Fertigungsmethode zu erlangen. Die Vergänglichkeit des Bauwerks hat für David Jenny etwas Poetisches. «Die Treppe wird mit der Zeit wieder Teil der Umwelt.» 

Experimentell und doch funktional

Der Workshop der ZHAW und der USI soll künftig einmal pro Jahr in Form einer Winter- oder Summerschool stattfinden. «Bei jeder Durchführung soll mit digitalen Fertigungsmethoden ein funktionales Bauwerk erstellt werden, beispielsweise eine Tür oder ein Fassadenelement», sagt Projektleiter David Jenny. Dabei wird mit verschiedensten Materialien experimentiert. «Wir wollen uns nicht nur auf alternative Baustoffe wie Lehm beschränken», so Jenny. Denn die digitale Fertigung könne auch die Verwendung konventioneller Materialien wie Beton umweltfreundlicher machen. «Der 3D-Druck beispielsweise erlaubt komplexe Formen, wodurch bei der digitalen Fertigung von Bauteilen Material eingespart werden kann.» Der interdisziplinäre Workshop wird jeweils in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner durchgeführt und steht neben Studierenden verschiedener Disziplinen auch Personen aus der Praxis offen. 

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