Mädchen sind Trendsetterinnen bei sozialen Netzwerken
Mädchen steigen früher auf neue soziale Netzwerke ein als Jungen, wie die JAMES-Studie 2022 zeigt. Jungs gamen häufiger. Problematisch ist, dass die Jugendlichen beim Datenschutz nachlässiger werden und sexuelle Belästigungen weiter zugenommen haben.
Bei den breit genutzten sozialen Netzwerken setzen Mädchen die Trends: Sie nutzen TikTok und Pinterest deutlich früher und stärker, 2014 war dies auch schon bei Instagram der Fall. Dies zeigt die aktuelle JAMES-Studie der ZHAW und der Swisscom, für die alle zwei Jahre rund 1000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren befragt werden. «Wenn sich dieser Trend fortsetzt, können wir die weibliche Nutzung von sozialen Netzwerken in Zukunft als Indikator für alle Jugendlichen heranziehen», sagt ZHAW-Forscher und Co-Studienleiter Gregor Waller.
TikTok weiter auf dem Vormarsch
Soziale Netzwerke zählen weiterhin zu den wichtigsten medialen Elementen des Alltags von Jugendlichen in der Schweiz. Fast alle kommunizieren mit WhatsApp (97 Prozent mehrmals pro Woche). Zudem werden Instagram und Snapchat weiterhin am häufigsten genutzt und sind über die Jahre stabil geblieben. Eine rasante Zunahme zeigt sich bei TikTok: 67 Prozent der Jugendlichen nutzen die Plattform regelmässig (2018: 8 Prozent), wobei Mädchen die App häufiger nutzen als Jungen. Dafür sind die Jugendlichen praktisch von Facebook verschwunden.
Die Tätigkeiten in den sozialen Netzwerken sind konstant geblieben. Am häufigsten werden regelmässig Beiträge anderer angeschaut (56 Prozent) und gelikt (55 Prozent) oder es werden per Chat persönliche Nachrichten geschrieben (57 Prozent). Deutlich seltener posten die Jugendlichen eigene Beiträge, und wenn, dann eher zeitlich limitierte Storys oder Snaps.
Gratis-Games sind beliebt
Videogames sind weiterhin beliebt: 79 Prozent spielen zumindest ab und zu, wobei Jungen deutlich häufiger gamen (93 Prozent) als Mädchen (65 Prozent). Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Anzahl der gamenden Mädchen jedoch zugenommen. Zudem vergnügen sich die jüngeren mehr damit als die älteren Jugendlichen. Am häufigsten werden Gratis-Games gespielt (60 Prozent). Kostenpflichtige Videospiele nutzen hingegen nur 35 Prozent.
Für ZHAW-Forscherin und Mitautorin Lilian Suter ist dies problematisch: «Free-to-play Games sind oft nicht wirklich kostenlos, denn entweder werden die Gamerinnen und Gamer mit Werbung eingedeckt oder sie bezahlen mit ihren Daten.» Oft seien In-Game-Käufe sogar unerlässlich für den weiteren Spielfortschritt. Die Anzahl Jugendlicher, die regelmässig In-Game-Käufe tätigen, hat sich denn auch in zwei Jahren von 3 Prozent auf aktuell 8 Prozent mehr als verdoppelt. 23 Prozent der jugendlichen Gamerinnen und Gamer geben an, Altersempfehlungen regelmässig zu ignorieren.
«Wenn die Heranwachsenden Qualität vor Quantität stellen, sind Freundschaften insgesamt hochwertiger geworden.»
Vielfältigere Freizeitbeschäftigungen
Ein grosser Teil der Jugendlichen in der Schweiz trifft sich in der Freizeit regelmässig mit Freundinnen und Freunden (70 Prozent). Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich jedoch, dass die Anzahl der Freundschaften abgenommen hat. Trafen sich die befragten Jugendlichen 2012 mit sieben befreundeten Personen regelmässig, sind es 2022 noch fünf.
Für Gregor Waller setzt sich damit der Trend des «Social Cocooning» weiter fort. «Die Jugendlichen treffen weniger Freundinnen und Freunde als noch vor ein paar Jahren. Wenn die Heranwachsenden im Sinne von Beziehungsminimalismus vorgehen, also Qualität vor Quantität stellen, sind die Freundschaften aber insgesamt hochwertiger.»
Generell werden die Freizeitaktivitäten der Jugendlichen von Jahr zu Jahr vielfältiger und individueller. Die Bandbreite der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen ist sehr gross und reicht von TV oder Filme schauen über Sport treiben, Musik hören und gamen bis zu handwerklichen und kreativen Tätigkeiten wie zeichnen oder malen oder im Freien und in der Natur sein. Die Lieblingsmusik der Jugendlichen ist ebenfalls sehr vielfältig. Die ZHAW-Forschenden haben zum ersten Mal die beliebtesten Songs der Top-20-Musikerinnen, -Musiker und -Bands in einer Playlist für die Deutschschweiz, die Romandie und das Tessin zusammengestellt und damit die Bandbreite hörbar gemacht.
«Sexuelle Belästigung und Cybermobbing bei Jugendlichen sind Grenzüberschreitungen, die in einer sensiblen Phase der persönlichen und sexuellen Entwicklung passieren.»
Handlungsbedarf beim Jugendmedienschutz
Sexuelle Belästigung im Internet und auch Cybermobbing haben weiter zugenommen: Fast die Hälfte der Jugendlichen wurde bereits mindestens einmal online sexuell belästigt. 2014 waren es noch 19 Prozent. Auch Beleidigungen im Internet haben über die Jahre um fast zehn Prozentpunkte zugenommen. Mädchen sind von sexuellen Belästigungen deutlich häufiger betroffen als Jungen (60 Prozent vs. 33 Prozent). Knapp die Hälfte der Mädchen wurde schon einmal von einer fremden Person aufgefordert, erotische Fotos von sich selbst zu verschicken.
Die ZHAW-Forschenden sehen dringenden Handlungsbedarf. «Sexuelle Belästigung und Cybermobbing bei Jugendlichen sind Grenzüberschreitungen, die in einer sensiblen Phase der persönlichen und sexuellen Entwicklung passieren», sagt Co-Studienleiter Daniel Süss. Es brauche deshalb weiterhin ein breites und vertieftes Angebot an medienpädagogischen Massnahmen und Angeboten zur Stärkung der digitalen Selbstverteidigung.
Auch Michael In Albon, Jugendmedienschutz-Beauftragter bei Swisscom, findet klare Worte: «Solches Verhalten darf nicht toleriert werden. Wir geben diesem Thema an unseren Medienkursen an Schulen explizit mehr Raum, aber natürlich müssen sich auch Eltern verstärkt mit dem Problem auseinandersetzen und ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen. Genauso, wie sie ihre Kinder im Strassenverkehr begleiten, müssen sie es auch im Internet tun.»
«Das Thema Datenschutz und Privatsphäre im Netz hat sich verändert und wird zunehmend komplexer.»
Nachlässiger Umgang mit Datenschutz und Privatsphäre
Beim Schutz der Privatsphäre im Netz werden Jugendliche nachlässiger: Gaben vor zehn Jahren noch 84 Prozent an, entsprechende Einstellungen in sozialen Netzwerken aktiviert zu haben, sind es aktuell nur noch 60 Prozent. Sorgen darüber, dass andere online persönliche Informationen sehen könnten, haben weiter abgenommen (2012: 38 Prozent; 2022: 28 Prozent).
Gleichzeitig verhält sich die Mehrheit der Jugendlichen auf sozialen Netzwerken aber eher zurückhaltend und gibt öffentlich wenig von sich preis. «Das Thema Datenschutz und Privatsphäre im Netz hat sich verändert und wird zunehmend komplexer», sagt Lilian Suter. Während zu Anfangszeiten der sozialen Netzwerke darauf fokussiert wurde, welche Informationen oder Fotos man nicht öffentlich teilen sollte, werde das Thema heutzutage von Aspekten wie Cookies, Algorithmen oder Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dominiert und stelle Jugendliche vor zusätzliche Herausforderungen.
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