«Meine Methode ist unerbittliche Neugier»
Finanzielle Ressourcen zu steuern, ist keine trockene buchhalterische Angelegenheit, findet Christian Liesen. Wer die zugrundeliegenden Zielkonflikte erkennt, setzt Gelder deutlich besser ein.
Er ist ein Problemlöser par excellence. Mit Herz und Verstand analysiert er komplexe Situationen und sucht ganzheitliche Lösungen – Christian Liesen , seit 2017 am Institut für Sozialmanagement (ISM) am ZHAW-Departement Soziale Arbeit tätig. Dieses noch junge Institut beschäftigt sich mit Organisationen im Gesundheits-, Bildungs-, und Sozialbereich. «Es geht darum, mit diesen Organisationen die Herausforderungen im Handlungsfeld anzugehen, ob Rentabilität, Arbeitsorganisation oder Professionalität. Um Perspektive reinzubringen, sind wir transdisziplinär aufgestellt. Unsere Mitarbeitenden kommen aus der Sozialen Arbeit, Pädagogik, Politologie, Psychologie und Betriebswirtschaft», erklärt Liesen, der von Haus aus Sonderpädagoge ist, aber schon seit Jahren systemische Fragen im Sozialwesen erforscht.
«Ohne die Sicht auf das grosse Ganze sehen viele Beteiligte nur die kurzfristigen Kosten und gehen in Abwehrhaltung. »
Feuer und Flamme ist er für Beratungsmandate. Auftraggeber kommen auf das ISM zu, wenn zum Beispiel die Finanzen nicht stimmen. So hatte etwa die Stadt Winterthur 2013 ein Konzept eingeführt, mit dem die Kosten für sonderpädagogische Massnahmen an Schulen gesenkt werden sollten. Doch danach setzte sich der Kostenanstieg unvermindert fort. Das ISM evaluierte die Situation und erarbeitete einen Vorschlag, wie sich die Stadt organisieren müsste, um die Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Das von der Stadt erarbeitete Konzept habe zwar auf einer guten Grundidee beruht, jedoch wichtige Verflechtungen nicht berücksichtigt. Dazu Liesen: «So etwas passiert. Es braucht Aussenstehende, um die blinden Flecken auszuleuchten.» Mittlerweile habe die Stadt ein eigenes neues System entwickelt, von dem Liesen sehr überzeugt ist. «Das ist der Idealfall: Kunden zuzuarbeiten, damit sie sich selbst besser organisieren können.»
Gesetze mitprägen
Manchmal geht es aber auch nicht darum, die Kohlen aus dem Feuer zu holen, sondern gesetzliche Bestimmungen mitzuprägen. So sollte etwa im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) evaluiert werden, ob intensive Interventionsmethoden bei frühkindlichem Autismus wirksam sind. In einem Pilotprojekt werden betroffene Kinder mit einer in der Schweiz noch nicht anerkannten Methode behandelt. Sollte sie sich bewähren, würden die Kosten dafür künftig von der öffentlichen Hand übernommen. Das ISM und die weiteren Forschungspartner kamen zum Schluss, dass die Methode wirksam ist. Darauf entwickelten sie einen Vorschlag für ein Kosten- und ein Wirkungsmodell. Weil davon sowohl die IV als auch die Schulen betroffen sind, musste nicht nur das BSV, sondern auch die Kantone überzeugt werden. Dazu musste das Team von Liesen die Tragweite der Therapie deutlich machen. «Ohne die Sicht auf das grosse Ganze sehen viele Beteiligte nur die kurzfristigen Kosten und gehen in Abwehrhaltung. Wir haben deshalb aufgezeigt, wie sich eine frühe Investition in späteren Jahren auszahlt.» Das Pilotprojekt wurde daraufhin verlängert, eine definitive Entscheidung, ob die Therapie anerkannt wird, steht noch aus.
«Wenn es bei einer Lösung keinen Zielkonflikt zu geben scheint, sollte man misstrauisch werden.»
So unterschiedlich solche Mandate von aussen scheinen – der Problemlösung liegt immer dasselbe Muster zugrunde. «Bei Ressourcen gibt es immer Zielkonflikte. Diese gilt es zu eruieren und bewusst zu gestalten. Wenn es bei einer Lösung keinen Zielkonflikt zu geben scheint, sollte man misstrauisch werden», meint Liesen. Eine Organisation sollte sich darauf besinnen, wofür sie steht, und ihre Mittel so einsetzen, dass ihre Klientinnen und Klienten den grösstmöglichen Nutzen haben. Denn gerade im Sozialbereich sei die Gefahr gross, dass eine Organisation sich mehr auf ihre wirtschaftlichen Indikatoren konzentriere als auf die Bedürfnisse ihrer Klienten – weil diese einfacher zu steuern sind. «Man kühlt das Fieberthermometer, statt das Fieber zu senken», sagt Liesen schmunzelnd.
Spielräume aufstöbern
Das ISM analysiert deshalb zusammen mit seinen Auftraggebern, wo der Schuh drückt, und erarbeitet weitsichtige Lösungsvorschläge. Dabei sei die transdisziplinäre Zusammensetzung des Projektteams der Schlüssel zum Erfolg. «Es ist schlichtweg nicht möglich, dass eine oder zwei Personen ein komplexes Anliegen von allen Seiten richtig durchdenken. Breit gefächertes Know-how ist gefragt.»
«Ich will verstehen, was mein Gegenüber sagt, aber auch die noch unformulierten Spielräume aufstöbern.»
Die Auseinandersetzung mit allen Beteiligten erfordere zudem Sensibilität und Sozialkompetenz. «Was mir dabei hilft, ist meine unerbittliche Neugier», sagt Liesen. «Ich will verstehen, was mein Gegenüber sagt, aber auch die noch unformulierten Spielräume aufstöbern.» Die Kooperation sei meist sehr gut, weil die Beteiligten merken, dass er ein ehrliches Interesse daran hat, eine ganzheitliche Lösung zu finden. Dass er seine Arbeit liebt, hört man aus seinen Erzählungen heraus. Und er bestätigt: «Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen. Zu wissen, dass ich mit meiner Arbeit, wenn sie gelingt, das Leben von Menschen massgeblich verbessern kann, motiviert mich ungemein.»
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