Mit Hanf statt Hopfen zum nachhaltigen Bier
Die Blüten von Nutzhanf werden heute einfach weggeworfen. ZHAW-Forscherin Amandine André will sie zum Bierbrauen verwenden – und so den Schweizer Brauereien zu mehr Unabhängigkeit verhelfen.
Bier wird in Europa seit Jahrhunderten aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser gebraut. In Deutschland ist die Beschränkung auf diese vier Zutaten sogar gesetzlich verankert, im sogenannten Reinheitsgebot. Wer von diesem Erfolgsrezept abweichen will, braucht gute Gründe. Und ziemlich viel Mut.
Amandine André hat beides. Die Französin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Lebensmittelchemie am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der ZHAW in Wädenswil. Ihre Idee: Sie will den Hopfen im Bier teilweise oder ganz durch Hanf ersetzen. Genauer gesagt durch getrocknete Hanfblüten. Seit 2019 tüftelt sie an der richtigen Rezeptur.
Drei gute Gründe für Hanf
Drei Gründe nennt Amandine André für ihren kühnen Ansatz. Erstens wachse Hopfen nicht besonders gut in der Schweiz: Nur zehn Prozent des Bedarfs werden durch die inländische Produktion gedeckt. «Die Brauereien sind von Importen abhängig und können sich kaum vor Produktions- und Qualitätsschwankungen schützen», sagt die Forscherin. Hanf hingegen wachse sehr gut in der Schweiz. «Fast wie Unkraut. Man steckt einen Samen in den Boden, und die Sache läuft. Die Pflanze braucht kaum Dünger, Pestizide oder Bewässerung.» Einheimischer Hanf könnte den hiesigen Bierbrauern also helfen, ihre Import-Abhängigkeit zu überwinden. Darum ist auch der Schweizer Brauerei-Verband sehr interessiert an den Wädenswiler Hanf-Experimenten.
Hopfen leidet unter Klimawandel
Zweitens hat der Hopfen zunehmend Mühe mit dem Klimawandel. Selbst in den traditionellen Hopfengebieten war der Anbau schon immer anspruchsvoll – mit der Erwärmung wird er noch schwieriger. Die Qualität leidet, und die Menge der Bitterstoffe, die das Bier würzen sollen, nimmt ab. Hanf hingegen hat kein Problem mit Wärme. «Er wächst sogar in Marokko», sagt Amandine André. «Der Klimawandel wird ihm vermutlich keine Probleme bereiten.» Überhaupt ist Hanf sehr robust, wie die Forschenden bei ihren Pflanz-Experimenten im Garten des ZHAW-Campus Grüental gesehen haben: 2019 war es warm und trocken. 2021 hingegen dominierten Regen und Unwetter. Als Hagel die Pflanzen zerstörte, schlugen diese von selbst wieder aus. Die Ernte verspätete sich, war aber nicht von schlechterer Qualität als 2019.
Drittens sind Hanfblüten eine ungenutzte Ressource. Wir sprechen hier selbstverständlich von sogenanntem Nutzhanf, der praktisch keine psychoaktiven Substanzen erhält. Sein Anbau ist in der Schweiz seit einigen Jahren wieder erlaubt. Während die Stängel etwa als Baustoff oder zur Papierherstellung verwendet und die Samen zu Öl gepresst werden, gelten die Blüten von Nutzhanf als Abfallprodukt.
«Wie kann man einen Rohstoff sinnvoll verwerten, statt ihn wegzuschmeissen?»
Das war der Ausgangspunkt von Amandine Andrés Überlegungen. «Es ist letztlich eine Frage der Nachhaltigkeit», sagt sie. «Wie kann man einen Rohstoff sinnvoll verwerten, statt ihn wegzuschmeissen?» Auf die Idee mit dem Bier kam sie einerseits, weil Hanf und Hopfen zur gleichen botanischen Familie gehören. Und anderseits, weil Hanfblüten wie Hopfen ziemlich bitter schmecken. In den meisten Lebensmitteln sind Bitterstoffe unerwünscht. Im Bier hingegen sind sie willkommen.
Auf der Suche nach den richtigen Hanfsorten
Bei den Pflanz-Experimenten von 2019 ging es darum, herauszufinden, welche Hanfsorten besonders viele Bitterstoffe und hopfenähnliche Aromen hervorbringen. Die Versuche brachten zwei Favoriten hervor. Seither fahndet die Forscherin mit ihrem Team nach dem richtigen Rezept für Hanfbier – und versucht gleichzeitig, jene Moleküle ausfindig zu machen, die den bitteren Geschmack erzeugen. Beides ist Pionierarbeit. Finanziert wird das Vorhaben mit gut 97'000 Franken durch das Förderprogramm Spark. Mit diesem neuen Instrument unterstützt der Schweizerische Nationalfonds explizit vielversprechende Projekte, die unkonventionelle Ansätze verfolgen. Passt also genau.
Bitterstoffe unterscheiden sich
Die Analyse der Hanf-Bitterstoffe ist noch im Gang. Amandine André nutzt dabei die geballte Kraft der modernen Chemie, etwa die Massenspektrometrie und die sogenannte Hochleistungs- Flüssigkeitschromatographie. Das vielleicht erstaunlichste Ergebnis bisher ist, dass die Bitterstoffe des Hanfs nicht dieselben sind wie jene des Hopfens. «Vermutlich erzeugen zwei Klassen von Molekülen die Bitterkeit des Hanfs, Alkaloide und Flavonoide», sagt die Forscherin. Zu den Alkaloiden gehört etwa auch das Koffein. Flavonoide wiederum sind Stoffe, mit denen sich Pflanzen beispielsweise vor der Sonneneinstrahlung schützen. Sie gelten als gesund für den Menschen.
Suche nach dem richtigen Rezept
Die Suche nach dem richtigen Rezept läuft über Ausprobieren und Degustieren. «Wir sind vielen Fragen nachgegangen», sagt André. «Wie viele Hanfblüten braucht es? Soll man sie rösten? Wann gibt man sie bei?» Drei Bachelorstudenten haben diese Arbeiten mit Versuchen unterstützt. Das vorläufige Ergebnis: Für ein gutes Bier braucht es viel mehr Hanf als Hopfen. Beigeben soll man ihn aber nicht wie Hopfen schon eine Stunde, sondern erst zehn Minuten vor Ende des Kochprozesses.
«Unser Ziel ist vielmehr ein Produkt, das genau gleich schmeckt wie ein herkömmliches Hopfenbier.»
Im Handel findet man heute schon Getränke mit dem Label «Hanfbier». Dabei wird der Hanf aber nicht als Ersatz, sondern zusätzlich zum Hopfen beigesetzt. Meist haben diese Biere einen typischen Hanfgeschmack. «Genau dies wollen wir bei unserem Projekt nicht», sagt Amandine André. «Unser Ziel ist vielmehr ein Produkt, das genau gleich schmeckt wie ein herkömmliches Hopfenbier.» Dies auch im Wissen um den oft konservativen Geschmack vieler Biertrinker.
Drei Biere gebraut
Ob das Vorhaben gelingt, wird sich bald weisen. An einem Brautag im November hat Andrés Team mit Unterstützung der Forschungsgruppe Lebensmittel-Prozessentwicklung drei verschiedene Biere hergestellt: ein herkömmliches Pils, ein reines Hanfbier und ein Bier, bei dem drei Viertel des Hopfens durch Hanf ersetzt wurden. Nach Wochen des Gärens und Lagerns sollen die Biere Mitte Dezember mit Unterstützung der Forschungsgruppe Lebensmittelsensorik blind degustiert werden. Gelungen wäre das Experiment dann, wenn die Probanden befänden, die beiden neuen Varianten unterschieden sich kaum vom klassischen Pils.
Degustation im Dezember
In diesem Fall möchte Amandine André ihr Projekt weiterverfolgen. Die Analytik abschliessen, das Rezept verfeinern. Und möglichst eine Brauerei finden, mit der sie das Hanfbier bis zur Marktreife entwickeln kann. «Ich hoffe sehr, dass es weitergeht», sagt sie. Der Hanf, diese reichhaltige, gesunde und nachhaltige Pflanze, ist ihr ein Anliegen. Von der Menschheit seit Jahrtausenden genutzt, geriet er erst vor wenigen Jahrzehnten wegen des Fokus auf Drogen in Verruf. «Zwar verliert er sein schlechtes Image allmählich, und in den letzten Jahren entdeckt man seine Vielseitigkeit wieder», sagt André. «Aber noch immer wird der Hanf ein wenig unterschätzt.»
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