Nachhaltigkeit: «Die ZHAW wird zum Real-Labor»
Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit setzt die ZHAW auf eine gemeinsame Initiative aller Zürcher Hochschulen und das Engagement aller Mitarbeitenden. Die ZHAW-Nachhaltigkeitsverantwortlichen Urs Hilber und Francesco Bortoluzzi über ein neues Wissenszentrum, Datenerhebungen, extreme Positionen und kleine Schritte.
Klimaaktivisten verlangen dringlich und laut systemische Veränderungen für eine bessere Welt. Werden die Massnahmen der ZHAW dem gerecht?
Urs Hilber: Proteste braucht es, damit die Dringlichkeit des Problems ersichtlich wird. An der Hochschule mahlen die Mühlen langsam. Die Entwicklung eines neuen Studiengangs dauert drei Jahre, ein neues Gebäude wird in zehn Jahren gebaut. Es ist nicht zu erwarten, dass wir an der ZHAW rasant vorwärtskommen. Aber es ist zu erwarten, dass unsere Lösungen einen wirksamen Beitrag leisten, weil sie wissenschaftlich fundiert sind.
Was macht die ZHAW für eine Welt ohne Plastik, mit weniger Food Waste, umweltfreundlicherem Nahrungsmittelanbau, Energieverbrauch und umweltverträglicherer Mobilität?
Hilber: Wir haben bereits an allen Departementen viele Projekte, die einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Wir müssen sie stärker und zusammenhängend sichtbar machen.
Francesco Bortoluzzi: Viele der Forderungen der Klimaaktivisten sind in unserer Nachhaltigkeitsstrategie verankert, etwa ökologisches Reisen, klimafreundliche Energieversorgung und nachhaltiges Essen. Allerdings braucht es Zeit, um in jeder Institution eine andauernde, sprich nachhaltige Transformation durchzuführen. Unter den Bedingungen des Jahres 2020 haben wir mit den Mitteln, die wir aufbringen konnten, viel erreicht. Um effizienter zu sein, brauchen wir Menschen, die sich an unseren Aktivitäten beteiligen, indem sie konkrete Ideen und Aktivitäten auf den Tisch legen. Meine Hoffnung ist, dass Klimaaktivisten Teil der Lösung werden und nicht nur die Alarmglocke läuten.
Wie schlägt der Puls der ZHAW-Angehörigen?
Hilber: Generell nehme ich die Erwartung «Tut endlich etwas» wahr. Aber auch Widerstand ist spürbar, sobald wir etwas tun, was einer individuellen Veränderung bedarf. Die Erhöhung der Parkplatzgebühren ist ein Beispiel. Widerstand ist übrigens einer der Gründe, weshalb unsere Schritte klein sind. Für diese Gangart wurde ich – vor allem von Studierenden – stark kritisiert, aber ich bin ein Freund von kleinen Schritten, nur so geht es nachhaltig vorwärts. Wir bauen auf eine dialogische Basis. Im Nachhaltigkeitsausschuss können wir differenzieren, was möglich und kulturverträglich ist und was zu weit geht.
Welche Rolle spielt der Nachhaltigkeitsausschuss?
Hilber: Nachhaltige Entwicklung kann ein emotionales Thema sein, rasch wird von Religion, Sektiererei oder Bevormundung gesprochen. Fallstricke, die es zu vermeiden gilt. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehrheitsfähig sind. Extrempositionen sind manchmal wissenschaftlich korrekt, aber (noch) nicht mehrheitsfähig, und dann droht die Gefahr, dass nichts passiert, was schlechter ist, als wenn wenig passiert. Der Nachhaltigkeitsausschuss setzt sich deshalb einerseits aus Personen zusammen, die nahe bei ihrer jeweiligen Departementsleitung positioniert sind – sie bringen die Machtlogik ein. Wir haben andererseits auch Fachspezialisten und -spezialistinnen, sie bringen die Sachlogik ein.
Bortoluzzi: Und wir haben Studierende, die uns die Sicht unserer wichtigsten Stakeholder einbringen. Die wichtigsten Ziele, die wir mit dem Ausschuss erreichen wollen, sind Transparenz, Inklusion und ein partizipatorischer Ansatz. Er funktioniert als Mikrokosmos der ZHAW.
«Ich habe meinen Fleischkonsum um mindestens 90 Prozent gesenkt.»
Papier ist geduldig. Gibt es ausser den Strategien auch konkrete Projekte?
Hilber: Nicht nur interne Zusammenarbeit ist uns wichtig, wir wollen auch über die ZHAW-Grenzen hinaus kooperieren. Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht zwar eine individuelle Geschichte, aber erst wenn viele Individuen beitragen, nützt es. Gemeinsam mit den Zürcher Hochschulen UZH, PHZH, ZHdK haben wir das Zurich Knowledge Center for Sustainable Development (ZKSD) geschaffen, welches dank der Hamasil Stiftung – die Projekte im Sinne der Agenda 2030 fördert – über eine Location an bester Lage in Zürich verfügt. Wir wollen, dass Angehörige aller beteiligten Hochschulen in diesem Setting gemeinsame Projekte bearbeiten und sich gegenseitig inspirieren. Die Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen – kurz DIZH – verfügt über ein ähnliches Modell. Ich denke, dass die Menschen, die im Bereich Nachhaltigkeit arbeiten, primär die Welt für die Kinder unserer Kinder erhalten wollen und deshalb der Gedanke des Miteinander stark ausgeprägt und ein solches Zentrum wichtig ist.
Bortoluzzi: Ein weiteres konkretes Projekt ist die Erarbeitung eines Nachhaltigkeits-Cockpits. Wir haben begonnen, Daten zum Thema Flugreisen zu sammeln. Die Lust, Daten zu erheben, ist aber noch klein und vielerorts wird auch die Einsicht, dass hinsichtlich Flugreisen weniger mehr ist, noch nicht uneingeschränkt geteilt. Mit der Analyse von Cockpitsdaten wollen wir intelligente Hypothesen aufstellen, Massnahmen einführen und letztlich die Hypothese überprüfen und die Resultate sichtbar machen, um die ZHAW in ein Real-Labor für nachhaltige Entwicklung zu transformieren.
Im Gegensatz zur DIZH fehlen im Bereich Nachhaltigkeit Budget und Personal. Werden Sie deswegen aktiv?
Hilber: Auch hier bevorzuge ich es, kleine Schritte zu tun. Erst müssen wir in Sachen Nachhaltigkeit etwas Substanzielles vorweisen können. Gemeinsam mit dem ZKSD-Gründungsbeirat möchten wir dann auf die Politik zugehen, wie das auch die DIZH getan hat. Auch in der Post-Corona-Zeit wird Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema bleiben.
Apropos Corona – wie hat sich das Virus auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie ausgewirkt?
Hilber: Covid-19 hat vor allem den Umsetzungsprozess des Green Impact Books verzögert. Auch der spontane Austausch kam zu kurz.
«Hochschulen sind die besten Orte, um eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten.»
Bortoluzzi: Der Lockdown hat gezeigt, dass Veränderungen schnell und effektiv umgesetzt werden können. Das ist eine gute Nachricht für die nachhaltige Entwicklung. Vor einem Jahr wären die Änderungen der Homeoffice-Richtlinien, der digitalen Prozesse und Konferenzen und ein kritisches Überdenken der Raumnutzung belächelt worden. Viele dieser Veränderungen waren in der Nachhaltigkeitsstrategie vorgesehen, da sie die ZHAW ökologischer, ökonomischer und sozial nachhaltiger machen können. Aber: Wie bauen wir eine nachhaltige Zukunft auf, auch ohne dass externe Faktoren uns zu radikalen Entscheidungen zwingen?
Die Nachhaltigkeitsstrategie basiert vorwiegend auf ökologischen Komponenten, weshalb?
Hilber: Das Green Impact Book – wie es der Name schon sagt – ist stark auf diese Aspekte ausgerichtet. Das ist aber erst der Anfang. Meines Erachtens müssen die Säulen ökologisch, ökonomisch und sozial letztlich gleichtragend sein.
Bortoluzzi: Eines unserer Ziele ist es, die ZHAW zu einem noch besseren Arbeitsort zu machen. Das bedeutet, auch auf Diversität und neue Arbeitsformen zu setzen – der Umwelt und den Menschen zuliebe.
Welche Ziele haben Sie sich für das nächste Jahr gesetzt?
Bortoluzzi: Wir wollen die ZHAW als Hochschule profilieren, die viel Expertise im Bereich der nachhaltigen Entwicklung aufzuweisen hat. Wir wollen Kontakte, Wissensaustausch und Zusammenarbeit zwischen den Departementen fördern. Wir wollen alle Studierenden in engen Kontakt mit nachhaltiger Entwicklung bringen. Und wir möchten die Datenerfassung für die Indikatoren des Green Impact Books regeln und Massnahmen einführen, die helfen, Emissionen zu reduzieren. Erstmals soll es auch einen Nachhaltigkeitsbericht für die gesamte ZHAW geben. Dieser soll mehr als nur eine Datenerhebung sein. Er soll die Geschichte unserer Nachhaltigkeitsreise erzählen: Was sind die Prozesse, die Initiativen und vor allem die Menschen, die die ZHAW in ein Real-Labor für angewandte Nachhaltigkeit transformieren?
Was kann ich als ZHAW-Angehörige im Alltag machen, um die ZHAW nachhaltiger zu machen?
Hilber: Diese Frage höre ich häufig. Wir müssen nicht gleich die ganze Welt retten, aber wir müssen einen kleinen Betrag zur Rettung der Welt liefern. Jeder oder jede weiss doch, wo seine oder ihre Schwachstellen sind. Deshalb ist es wichtig, über das eigene Tun und dessen Sinnhaftigkeit zu reflektieren und dann einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu machen.
Bortoluzzi: Und wenn die Leute reflektiert haben und Ideen aufkommen, würden wir uns freuen, wenn sie diese Ideen an uns herantragen. Wir brauchen unsere Kolleginnen und Kollegen, die uns herausfordern und auch ihre Ideen mit uns teilen.
Hand aufs Herz: Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie?
Hilber: Bei mir braucht es viel, bis ich zufrieden bin, und im Bereich Nachhaltigkeit sollte man nie zufrieden sein. Ich bin beeindruckt vom Engagement im Bereich der Nachhaltigkeit, das ich überall an der ZHAW spüre. Daneben freue ich mich über das Vertrauen, das die Hochschulleitung in uns hat, über mein Privileg, mit Francesco Bortoluzzi zusammenzuarbeiten, bis hin zur Zusammensetzung des Nachhaltigkeitsausschusses.
Was hat die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie bei Ihnen persönlich bewirkt?
Hilber: Ich habe meinen persönlichen Fleischkonsum um mindestens 90 Prozent gesenkt. In meiner Arbeit erlebe immer wieder Aha-Momente und lerne dazu, etwa dass zahlreiche Studierende «containern», hat mich bewegt.
Bortoluzzi: Ich bin tief beeindruckt von dem Fachwissen und der Leidenschaft der ZHAW-Angehörigen für Nachhaltigkeitsthemen. Ich denke, dass Hochschulen die besten Orte sind, um eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten. Das gibt mir viel Hoffnung.
Was bisher geschah
Urs Hilber, Leiter des Departements Life Sciences und Facility Management, wurde per November 2019 von der Hochschulleitung zum ZHAW-Beauftragten für Nachhaltige Entwicklung ernannt. Er verantwortet seither die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie der ZHAW und nutzt hierfür die Kompetenzen der Departemente, des Rektorats, von Finanzen & Services und der Studierenden in Form eines Fachausschusses. Der Beauftragte beobachtet und antizipiert zusammen mit dem Fachausschuss nationale und internationale Entwicklungen und garantiert ebenfalls zusammen mit dem Fachausschuss den Informationsaustausch nach innen und aussen. Seit April 2020 wird Urs Hilber durch Francesco Bortoluzzi, der die Funktion des Leiters Nachhaltigkeitsprogramme innehat, unterstützt. Eine zentrale Komponente der Nachhaltigkeitsstrategie ist das Green Impact Book, welches Ziele im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit im Hochschulbetrieb adressiert.
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