«Nachhaltigkeit ist positiv und macht Spass»
Statt Verzicht und Verbot zu predigen, muss die Botschaft die positiven Seiten nachhaltigen Handelns betonen. Ein Gespräch zwischen dem Nachhaltigkeitsbeauftragten, einer Ökonomin und einer Umweltpsychologin der ZHAW.
Es wird geforscht, alle finden sie gut und alle wollen mitmachen – also alles prima mit der Nachhaltigkeit?
Urs Hilber: Nein, das ist es natürlich nicht. Wir verstehen zwar rational, dass grundlegende Änderungen nötig wären, um die langfristige Existenz der Menschheit zu sichern. Zwischen diesem Wissen und dem Handeln besteht aber eine grosse Diskrepanz.
Regina Betz: Nachhaltigkeit ist ein recht schwammiger Begriff. Und das ist das Problem.
Cathérine Hartmann: Da muss ich einhaken: Für mich ist Nachhaltigkeit per Definition à la Forstwirtschaft ein klarer Begriff.
Und zwar?
Hartmann: Nachhaltig ist, wenn wir nur so viel Ressourcen verbrauchen, wie wir zur Verfügung haben. Wir verbrauchen derzeit aber sehr viel mehr. Der «Earth Overshoot Day 2021» hat gezeigt, dass wir bereits in der ersten Jahreshälfte mehr Ressourcen aufgebraucht hatten, als uns eigentlich für das ganze Jahr zustünden. Das ist das Problem. Das Ziel wäre: Footprint und Handprint zusammenzubringen. Dann wäre uns ein Stückweit geholfen.
Seit 2019 hat die ZHAW eine explizite Nachhaltigkeitsstrategie, die sich an der Agenda 2030 der UNO mit ihren 17 «Sustainable Development Goals» orientiert. Sind die gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung wirklich miteinander in Einklang zu bringen?
Betz: Ich denke nicht. Wir müssen unsere ökologischen Anstrengungen stärker gewichten als die beiden anderen Dimensionen. Denn ohne Umwelt können wir schlicht nicht leben.
Hilber: Die Hochschulleitung der ZHAW bekennt sich ganz klar zu dieser «Dreifaltigkeit» und will ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit fördern. Wir sind zwar mit dem Green Impact Book gestartet, das sehr stark ökologisch ausgerichtet ist. Je länger, je mehr versuchen wir aber bei ZHAW sustainable, alle drei Punkte zu berücksichtigen. So werden wir auch eine Stelle schaffen, die eine Brücke zu Diversity und zur Ökonomie schlagen soll.
Hartmann: Die Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen sind sehr komplex. Die Abhängigkeiten, die dort bestehen, sind noch nicht vollends erforscht. Es ist aber doch so, dass wenn wir Umwelt und Lebensgrundlagen zerstören, Arbeitslosigkeit, Armut und Flüchtlingsströme die Folgen sind. Das wird bislang aber nicht so wahrgenommen. Deshalb müssen beispielsweise die Themen Menschenrechte und Armutsbekämpfung im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ein stärkeres Gewicht bekommen.
Betz: Wir haben jetzt gerade bei der EU einen Horizon-Antrag eingereicht, wo es um «Just Sustainable Transition» geht – also um gerechten nachhaltigen Wandel. Hier soll der soziale Aspekt im Vordergrund stehen. Auch bei der CO2-Abstimmung in der Schweiz hat man gemerkt, dass es bei den Diskussionen stark um Verteilungseffekte ging – wer trägt so eine Transformation in der Gesellschaft? Wo kommen die Gelder her? Wen belastet es wie? Wenn wir in Richtung Netto Null denken, um das Klimaziel noch erreichen zu können, dann werden die Kosten noch höher ausfallen.
Im Vorfeld des Klimagipfels in Glasgow waren mahnende Worte zu hören, dass trotz Klimaschutz die Preise für Fleisch oder Benzin niedrig bleiben müssten, weil die Geringverdiener sich das sonst nicht mehr leisten können. Wie gelingt dieser Spagat zwischen Ökologie und Sozialem?
Hilber: Dieser Spagat wird nicht gelingen. Wir werden um diese unangenehmen Effekte nicht herumkommen. Wenn wir nichts machen, wird es nämlich noch viel teurer. Aber man muss dann auf der anderen Seite auch sehen und betonen, dass es durch die Transformation bei uns auch neue und zwar hochwertige Arbeitsplätze geben wird. Und es werden neue Technologien eingeführt, denn in der Innovation sind wir in der Schweiz ja Weltmeister. Das sind riesige Chancen. Diese sollten wir nutzen.
Weshalb fliegen wir immer noch in die Ferien, obwohl wir dem Klima und damit den ärmsten Ländern schaden?
Hilber: Da sind wir wieder bei der kognitiven Dissonanz. Wir wissen, dass wir was ändern müssen, aber wir handeln nicht entsprechend.
«Aber Wissen allein reicht eben nicht aus, damit Leute ihr Verhalten ändern.»
Hartmann: Wir legen uns einfache Rechtfertigungsstrategien zurecht wie zum Beispiel: Ich fliege in die Ferien, weil mein Nachbar es ja auch tut. Oder: Ich mache das ja nur einmal im Jahr. Und dann schlafen wir erst einmal wieder gut.
Frau Betz, Sie sind an einem EU-Projekt SONNET beteiligt, das soziale Innovationen in der Energiewende untersucht. Was sind soziale Innovationen?
Betz: Der Begriff Social Innovation ist sehr breit gefasst. Viele denken da zuerst an Grassroot-Projekte der Gesellschaft. Das muss aber nicht sein. Es können auch Innovationen von Unternehmen sein, die neues gesellschaftliches Denken, neue Prozesse und neues Verhalten bewirken.
Worum geht es in dem Projekt?
Betz: Unter anderem um eine Typologisierung von Sozialer Innovation in der Energiewende, die viel breiter ist und nicht nur Energiegenossenschaften umfasst. Wir versuchen, über die fünf teilnehmenden Länder hinweg zu vergleichen: Welche Faktoren waren Auslöser für die Gründung von Sozial Innovativen Initiativen, was sind deren Konzepte und Entwicklung, und wie erfolgreich sind sie bei der Unterstützung der Energiewende?
Was waren die Erkenntnisse daraus?
Betz: Es hat sich gezeigt, dass alle Energiegenossenschaften keine Probleme haben, Leute zu finden, die ihren Solarstrom kaufen wollen. Das Problem ist jedoch, Dächer zu finden, die passende Rahmenbedingungen bieten. Besonders eignen würden sich die Gebäude von Gemeinden, weil Gemeinden langfristige Lieferverträge oder Pachtverträge eingehen könnten.
«Es müssen Produkte entwickelt werden, die langlebiger sind, und neue Geschäftsmodelle, die eher das Vermieten fördern.»
Hilber: Die Gemeinde Wädenswil hat schon vor Jahren sämtliche Hausdächer analysiert, um herauszufinden, welche sich für die Solarstromgewinnung eignen würden. Die Ergebnisse wurden dann relativ hartnäckig an die Eigenheimbesitzer gestreut – immer wieder. Doch erst jetzt kommt die Entwicklung in Gang und Hausbesitzer bestücken ihre Dächer.
Betz: Entscheidende Schritte, die Solarenergie in der Schweiz voranzubringen, waren die Einführung der Möglichkeit zu «Zusammenschlüssen für den Eigenverbrauch» – kurz ZEV – und die «Kostendeckende Einspeisevergütung» – kurz KEV. Basel scheint dabei eine Vorreiterrolle zu spielen. Da sind viele Solar-Genossenschaften entstanden. Daher haben wir im SONNET-Projekt Basel-Stadt als Region besonders untersucht. Das war sehr spannend, weil hier das Klima für soziale Innovationen durch die Anti-Atomkraftbewegung in der Region entstanden zu sein scheint. Die Protestbewegung verharrte dort nicht in der Antihaltung, sondern entwickelte ganz viele alternative Lösungen: Es entstanden viele Architekturbüros, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind und Quartiere mit besonderen nachhaltigen Ansprüchen umsetzen, die zum Beispiel E-Autos fördern. Experimentiert wird auch hinsichtlich Suffizienz: Zum Beispiel damit, wie viel Wohnfläche Menschen wirklich brauchen. Basel hat auch zusätzlich zum Bund eine CO2-Abgabe auf kantonaler Ebene eingeführt, mit der sie innovative Projekte unterstützen können.
«Ein spannendes Konzept ist eine Nachbarschaftsaktion: Dabei helfen die Nachbarn aktiv mit, die Solaranlage zu bauen.»
Nicht zuletzt ist mir bei SONNET aufgefallen: Soziale Innovation scheint ein eher weibliches Thema zu sein (lacht). Ist die Ökonomen- oder die Energiewelt sonst eher männlich geprägt, so besteht dieses Projekt zu 90 Prozent aus Forscherinnen.
Was für das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Sozialem gilt, gilt erst recht für Ökologie und Ökonomie – es sind Gegenpole. Sie, Frau Betz, sind Co-Präsidentin des Nationalen Forschungsprogramms 73, bei dem es um nachhaltige Wirtschaft geht. Was ist das Ziel dieses Förderprogramms des Bundes?
Betz: Wollen wir die Wende schaffen, brauchen wir technologische Lösungen, wirtschaftliche Anreize, geeignete politische und rechtliche Rahmenbedingungen sowie vorbildliche Praxisbeispiele. Die Projekte in dem Forschungsprogramm stammen deshalb aus ganz unterschiedlichen Bereichen und reichen von neuartigen Lieferketten, grünen Finanzprodukten, nachhaltiger Landwirtschaft, umweltfreundlicher Mobilität, Förderung von nachhaltigem Verhalten durch Unternehmen bis hin zur Kreislaufwirtschaft. Gerade bei dieser zeigt sich zum Beispiel, dass Wirtschaft ganz neu gedacht werden muss, und zwar vom Ende her.
Was bedeutet das?
Betz: Nehmen wir mal das Beispiel aus dem NFP-73-Programm, bei dem es darum geht, die Recyclingquoten der Baubranche für Isolationsmaterialien zu erhöhen. Derzeit wandern viele Materialien auf die Mülldeponie oder werden verbrannt. Will man die Quote erhöhen, muss man schon bei der Herstellung ansetzen, damit die Produkte besser in die Einzelteile zerlegt und sortiert werden können. Deshalb müssen Produkte entwickelt werden, die langlebiger sind. An der ZHAW untersuchen Forschende im Rahmen dieses Förderprogramms zum Beispiel, wie der Lebenszyklus von Mobiltelefonen verlängert werden könnte. Aber auch für viele andere Konsumprodukte bräuchte es neuartige und nachhaltigere Geschäftsmodelle.
Wie könnte das aussehen?
Betz: Eine Möglichkeit könnten Geschäftsmodelle sein, die dazu führen, dass weniger Produkte verkauft, dafür eher vermietet werden – zum Beispiel Waschmaschinen. Statt das Gerät kaufe ich quasi Waschleistung. Der Hersteller würde mir eine Mietwaschmaschine in den Keller stellen und sich um den ganzen Service drum herum kümmern. Er hätte dann einen viel grösseren Anreiz, dass die Waschmaschine sehr lange hält und gut zu reparieren ist.
Angesichts dessen, dass alles teurer und komplexer wird, neigen Menschen zu Resignation statt Engagement. Wie kann man sie motivieren?
Hartmann: Zunächst einmal müssen alle verstehen, dass der Klimawandel auch vor unserer Tür angekommen ist. Dazu braucht es viel Aufklärung und Wissensvermittlung. Das ist ja unsere Aufgabe als Hochschule. Aber Wissen allein reicht eben nicht aus, damit Leute ihr Verhalten ändern. Das haben verschiedene Studien gezeigt.
Was empfehlen Sie als Umweltpsychologin?
Hartmann: Wir müssen aufzeigen, dass man auch mit kleinen Schritten wirkungsvoll vorankommen kann. Es braucht Anreize und auch ein gewisses Anstupsen – Fachleute sprechen dann von Nudging. Anstupsen zum nachhaltigen Verhalten kann man zum Beispiel dadurch, dass man infrastrukturelle Anpassungen vornimmt, sodass es einfacher wird, erneuerbare Energien oder den ÖV zu nutzen oder dass man nicht zum Pappbecher greift, sondern neuerdings zum Kooky-Becher. Solche wirksamen Interventionsprogramme können auch Community-Ansätze beinhalten, dann misst man sich spielerisch in der Gruppe – mit Nachbarn, innerhalb der Hochschule oder mit anderen Hochschulen. Wer messbar nachhaltiger handelt, gewinnt. Solche Challenges versuchen wir auch noch stärker an der ZHAW einzusetzen.
Sollte man durch Gesetze das Verhalten steuern?
Betz: Allein mit Verzichtsbotschaften und Verboten kommt man nicht weiter. Studien, die nach der abgelehnten CO2-Abstimmung in der Schweiz publiziert wurden, haben gezeigt, dass man klimagerechtes Verhalten nur erreichen kann, wenn man stärker die positiven Effekte der notwendigen Veränderungen und Reglementierungen herausstreicht. Dann wäre so eine positive Botschaft: Ohne Ölheizung bist du nicht mehr so abhängig von den ölexportierenden Ländern, Arbeitsplätze werden hier vor Ort geschaffen, die Luft wird weniger verschmutzt, was positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Umweltschutz und Nachhaltigkeit machen Spass, muss das Motto sein. Und der Community-Geist funktioniert auch bei den Energiegenossenschaften.
Ein ganz spannendes Konzept ist eine Nachbarschaftsaktion: Helfen die Nachbarn aktiv mit, die Solaranlage zu bauen, spart ein Hausbesitzer ca. 20 Prozent der Kosten. Neben den Kosteneinsparungen hofft man auf den Nachahmer-Effekt. Wenn die Nachbarn sehen, dass es kein Hexenwerk ist, eine Photovoltaik-Anlage zu bauen, dann würden sie sich auch dafür entscheiden, um nicht hinter den anderen Nachbarn zurückzustehen.
Herr Hilber, das ist ja eigentlich auch Ihr Motto: Nachhaltigkeit muss Spass machen.
Hilber: Regina Betz spricht mir aus dem Herzen. Und wie wirksam das ist, zeigt sich auch in meinem Bekanntenkreis. Kollegen zeigen mir ihre Apps und was sie mit denen an Neuem erfahren oder welche Tipps sie erhalten haben und was sie dadurch ändern konnten. Ein Kollege, der Hausarzt ist, erzählte mir: «Manchmal, wenn so richtig die Sonne scheint, dann fahre ich mein E-Auto nach Hause, hänge es an die Steckdose und radle mit dem Velo zurück in die Praxis. Oder eine andere Bekannte berichtete, dass sie nur noch Wäsche wasche, wenn die Sonne scheint. Das sind Anstupser durch coole Apps, die zeigen, was man tun kann, welche Auswirkungen das hat – und zwar auf eine spielerische Art.
«Ein wichtiger Meilenstein ist die Gründung des Zurich Knowledge Center for Sustainable Development aller kantonalen Hochschulen.»
Betz: Enerjoy des Basler Energieerzeugers IWB entwickelte auch so eine App, mit deren Hilfe man seinen persönlichen CO2-Fussabdruck verbessern kann. Wir haben diese im Rahmen des EU-Projekts SONNET mit unseren Studierenden evaluiert und wollten verstehen, wie sich deren Verhalten verändert. Überraschend war, dass sich die signifikantesten Veränderungen bei Milchprodukten zeigten, nicht beim Fleischkonsum, wie wir ursprünglich angenommen hatten. Das kommt vielleicht daher, dass viele schon weniger Fleisch essen, weil ihnen bewusst ist, wie viele Treibhausgase bei der Viehzucht entstehen. Dass das aber auch für Milch und Käse gilt, nahmen viele vor der App nicht so wahr.
Hilber: In diese Richtung muss es gehen. Es müsste nur einfach noch viel schneller vorangehen. Das Tempo ist das Problem im Moment. Wir in den sehr reichen, hochtechnologisierten Gesellschaften haben technische Lösungen zu Verfügung und damit unglaubliches Glück. Aber in einem Schwellen- oder Entwicklungsland stellen sich ganz andere Problematiken, und es braucht andere Lösungen.
Was wurde denn an der ZHAW seit der Einführung der Nachhaltigkeitsstrategie 2019 erreicht?
Hilber: Wir haben unsere globalen Oberziele definiert, die da sind: mehr Visibilität, ein Green Impact Book, Student Experience und dass die ZHAW eine Community für Nachhaltigkeit aufbaut. Als erste Massnahmen haben wir einen Nachhaltigkeitsauschuss eingeführt mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Departementen. Wir haben das Sustainable Impact Program geschaffen, ein Förderinstrument für studentische Ideen sowie Lehr- und Forschungsprojekte von Mitarbeitenden. Und wir haben einen U-Change-Antrag gewonnen, sodass wir mit Drittmitteln studentische Aktivitäten für Nachhaltigkeit unterstützen können.
Hartmann: Wir haben uns auch im WWF-Ranking für nachhaltige Hochschulen massiv verbessert.
Hilber: Doch nicht nur intern haben wir uns vernetzt, sondern auch extern vor allem durch die Gründung des Zurich Knowledge Center for Sustainable Development – kurz ZKSD – zusammen mit den drei anderen kantonalen Hochschulen: der Universität Zürich, der PH Zürich und der Züricher Hochschule der Künste. Das ist ein wichtiger Meilenstein. Wir sind auch dem Netzwerk Sustainable International Campus beigetreten. Nicht zuletzt haben wir eine Suchmaschine entwickelt, mit der wir sämtliche Datenbanken an der ZHAW nach den Kriterien der Sustainable Development Goals durchsuchen und verschlagworten. So versprechen wir uns einen guten Überblick darüber, wo wir bereits besonders aktiv und gut sind und wo wir noch etwas stärker werden könnten.
Was verspricht man sich vom Zürich Knowledge Center for Sustainable Development?
Hartmann: Das ZKSD ist eine forschungsorientierte Kooperationsplattform für den Wissenstransfer. Am ersten November war die feierliche Eröffnung. Wir wollen hier Forschende und Studierende zusammenbringen aus Disziplinen, die bisher vielleicht noch nicht so eng verbunden waren, aber die zusammen Mehrwert schaffen und einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Daraus könnten ungewöhnliche Ideen mit grossem Potenzial für eine bessere Welt entstehen.
Hilber: Interessant wird es dann, wenn man sich Neuem annähert, von dem man bisher noch gar nicht wusste, dass man es noch nicht weiss.
Hochschulen haben ja einen dreifachen Impact: Sie sollen Vorbild sein, bilden die Fach- und Führungskräfte aus und sind Orte, an denen Ideen für die Zukunft entstehen sollen. Tut da die ZHAW schon genug?
Hilber: Was die Führungsausbildung anbelangt, da macht die School of Management and Law einen ausgezeichneten Job mit PRME, den Prinzipien der nachhaltigen Managementausbildung, die in Bildung und Forschung einfliessen. Das ist systematisch durchdacht und international eingebettet – das ist genial.
«Verbesserungspotenzial liegt aber noch bei der Verankerung der SDGs in der Lehre.»
Hartmann: Also ich glaube, wir können schon sagen, dass wir ein Vorbild sind. Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Entwicklung. Verbesserungspotenzial liegt aber noch – und das diskutieren wir auch im Nachhaltigkeitsausschuss – bei der Verankerung der SDGs in der Lehre, um den Fachkräften von morgen das Handwerkszeug mit auf den Weg zu geben, um die Zukunft ein Stückchen besser zu machen. Die jungen Leuten, die gerade mit ihren Forderungen auf die Strasse gehen, stellen auch Forderungen an uns – nämlich dass wir keine alten Theorien mehr unterrichten sollen, sondern neue Modelle und Theorien in den Unterricht einfliessen lassen. Das finde ich spannend und wichtig. Als Hochschulpersonal müssen wir da tatsächlich noch stärker werden und uns weiterbilden.
Gibt es beispielsweise in der Psychologie neue Unterrichtsmodule in nachhaltiger Entwicklung oder Umweltpsychologie?
Hartmann: Ja, definitiv. Wobei das in der Psychologie nicht ganz so einfach ist wie in anderen Studiengängen, weil wir dem Psychologieberufsgesetz unterliegen. Aber wir haben das Masterstudium revidiert und umweltpsychologische Module integriert. Aber auch interdisziplinär in anderen Studiengängen bieten wir Umweltpsychologie an. Das grosse Thema dabei: Wie kann man Verhaltensveränderungen erreichen? Auch ein Ingenieur sollte wissen, wie entsprechende Interventionen aussehen müssen und was er oder sie beachten muss, um umweltfreundliches Verhalten zu fördern. Es soll ja nicht bei smarten Technologien bleiben, sondern diese sollen eingesetzt und von den Nutzerinnen und Nutzern bedient werden.
«Als Biologe weiss ich, dass auch ein Evolutionsprozess nicht linear verläuft.»
Hilber: Ich denke, wir haben an der ZHAW ein gutes Fundament, auf dem wir aufbauen können. Vielleicht müssen wir uns in der Lehre auch von der Idee verabschieden, dass es immer neue Module geben muss. Jetzt schauen wir erst einmal bei den Modulbeschreibungen, wie viel Nachhaltigkeit da schon drinsteckt und wo man es vielleicht besser deklarieren oder inhaltlich noch ein bisschen besser darstellen könnte.
Hartmann: Dann werden auch die tatsächlichen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung sichtbar, nicht nur die ökologischen.
Erreicht man das Klimaziel durch Revolution oder Evolution?
Hartmann: Ich finde, es braucht beides. Wir müssen die Generationen zusammenbringen – also die Generation Greta, die für grundlegende und sofortige Änderungen auf die Strasse geht, und die Generation der Babyboomer, die Erfahrung und Know-how mitbringt, wie man ganz real Verbesserungen erzielt.
Hilber: Aus meinem Geschichtsunterricht am Gymnasium blieb mir ein Satz in Zusammenhang mit der Französischen Revolution: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder auf. Und das wollen wir eigentlich nicht, sondern wir wollen, dass unsere Kinder und deren Kinder die gleich guten Bedingungen haben wie wir. Ich bevorzuge deshalb eine Evolution. Aber als Biologe weiss ich, dass auch ein Evolutionsprozess nicht linear verläuft, wie viele meinen, oder dass es sogar so ist, dass extrem optimierte und hoch entwickelte Organismen oftmals in einer Sackgasse enden und es stattdessen an weniger entwickelten Stellen weitergeht. Mal sehen, wie das bei der Nachhaltigkeit rauskommt.
Glossar
Nachhaltigkeitsstrategie ZHAW: Mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ZHAW setzt die Hochschulleitung ein klares Zeichen und verankert die Nachhaltige Entwicklung auf höchster Ebene. Die Nachhaltigkeitsstrategie bezieht sich auf alle Leistungsbereiche.
Zurich Knowledge Center for Sustainable Development: Die vier Hochschulen des Kantons Zürich und die Hamasil Stiftung haben mit dem ZKSD eine Drehscheibe für Nachhaltigkeitsprojekte geschaffen, die Wege vom Wissen zum engagierten Handeln aufzeigen und den Austausch unter Forschenden, Dozierenden und Studierenden der vier Hochschulen fördern.
Sustainable Development Goals (SDG): Um global nachhaltige Strukturen zu schaffen, haben sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 17 Ziele in der Agenda 2030 gesetzt.
U Change: Förderprogramm für studentische Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung.
NFP 73: Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ» hat zum Ziel die Erarbeitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer nachhaltigen Wirtschaft mit schonender Nutzung natürlicher Ressourcen, mehr Wohlfahrt und erhöhter Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz.
0 Kommentare
Sei der Erste der kommentiert!