«Offen sein für andere Kulturen ist entscheidend»
Der Leiter des ZHAW-Ressorts Internationales, Daniel Perrin, zur neuen ZHAW-Strategie International 2025, über internationale Hochschulpartnerschaften in Zeiten des Brexits und des Klimawandels und über Andersartigkeit als Chance.
Grossbritannien hat die EU verlassen. Wir wirkt sich das auf die Beziehungen zwischen den britischen und den schweizerischen Hochschulen aus?
Daniel Perrin: Das Thema ist sehr komplex. Ob die Vor- oder die Nachteile überwiegen werden, muss sich zeigen.
UK gehört für die ZHAW zu den beliebtesten Austauschländern.
Dieses Jahr bleibt erst einmal alles wie bisher. Am Tag des Brexits unterzeichneten der Dachverband der Schweizer Hochschulen swissuniversities und 35 europäische und britische universitäre Institutionen eine gemeinsame Absichtserklärung, auch künftig kooperieren zu wollen. Sie unterstrichen die Bedeutung der Beziehungen für die akademische und wissenschaftliche Zusammenarbeit. Wie dies dann konkret aussehen wird, bleibt abzuwarten.
2020 laufen sowohl das Austauschprogramm Erasmus+ als auch das EU-Forschungsförderprogramm Horizon2020 aus. Macht Ihnen das Sorgen?
Die Konsequenzen des Brexits für die nächsten EU-Rahmenprogramme Horizon Europe und Erasmus + sind offen. Aus EU-Perspektive sind zwei Szenarien möglich: Eines besagt, dass jetzt, da auch Grossbritannien nicht mehr Mitglied ist, sondern – wie die Schweiz – vermutlich als Drittstaat gelten wird, eine gute Lösung gefunden werden muss, wie mit Drittstaaten effizient und wirksam kooperiert werden kann zum Vorteil aller. Und die andere Denkrichtung ist: Bei einem kleinen Player wie der Schweiz konnte die EU tolerant sein. Mit Grossbritannien als grossem Player könnte sie versucht sein, das deutliche Zeichen zu setzen, dass eine Nichtmitgliedschaft mit Nachteilen verbunden ist.
Inwiefern haben politische Entwicklungen wie der Brexit oder grössere unvorhergesehene Ereignisse wie der Ausbruch des Coronavirus einen Einfluss auf die Arbeit des ZHAW-Ressorts Internationales?
Je weiter die ZHAW das globale Netz spannt, desto mehr kann Unvorhergesehenes Auswirkungen auf unsere Arbeit haben. Dafür müssen wir bereit sein.
Wie bereitet man sich darauf vor?
Indem man gute Beziehungen pflegt und gute Informationskanäle hat. Auch Best-Practice-Lösungen für Situationen, die sich wiederholen könnten, wie zum Beispiel bei einem Pandemie-Verdacht, müssen ausgebaut oder eingeführt werden. Nicht zuletzt ist die beste Vorbereitung jene, unser Engagement zu skalieren. Das bedeutet, dass wir in Asien zum Beispiel nicht nur einen Partner haben und uns nicht nur auf die Region Asien als wichtigen Wirtschaftsraum fokussieren, sondern in verschiedenen Grössenordnungen denken und handeln – ausgehend von Winterthur, Wädenswil und Zürich über die Schweiz, den deutschen Sprachraum, Europa und die ganze Welt. Unvorhergesehene Ereignisse können so besser aufgefangen werden. Tätigkeiten, die an einem Ort zurückgefahren werden müssen oder ganz brachliegen, könnten dann in einer anderen Region fortgesetzt oder verstärkt werden.
Mussten schon ZHAW-Angehörige aus Krisengebieten zurückgeholt werden?
Ja, aus verschiedenen Gründen.
Wie läuft so etwas ab?
Betroffene werden von den involvierten Hochschulen und vom Bund benachrichtigt und prüfen dann, wie die Rückkehr organisiert werden kann. Da haben aber andere Stellen mehr Expertise wie beispielsweise Botschaften. Für uns ist die Prävention wichtig, das heisst, dass wir die Leute vor dem Auslandsaufenthalt über Risiken informieren. Zum Beispiel darüber, dass in einem Konfliktfall der Umgang mit den Menschenrechten oder der Wert eines Individuums in Asien oder Afrika ein anderer ist als in Deutschland oder Liechtenstein.
«Zwischen gar nicht mehr reisen und bewusst und nachhaltig reisen geht vieles.»
Die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Bildung ist ein Erfolgsfaktor für den Schweizer Wissenschaftsstandort. Wie pflegt man Beziehungen in Zeiten des Klimawandels?
Für eine lebendige Beziehung braucht es Enthusiasmus, Zuverlässigkeit, gemeinsame Ideen und ab und zu Besuche. Die kann man aber bündeln, indem man bei einem Besuch mehrere Projekte weiterbringt. Man kann etwa mit einem Besuch in Asien oder Lateinamerika gleich mehrere Destinationen und Vorhaben abdecken.
Ist es eine Option, auf Reisen zu verzichten und ganz auf die Digitalisierung zu setzen?
Zwischen gar nicht mehr reisen und bewusst und nachhaltig reisen gibt es viele Möglichkeiten. Am Anfang einer Beziehung oder in heiklen Momenten braucht es sicher das persönliche Treffen. Dabei bekommt man das Atmosphärische besser mit. Für die Nachhaltigkeit ist es wichtig, dass man strategische Partnerschaften auf mehreren Ebenen pflegt, also sowohl beim Austausch der Dozierenden und Studierenden kooperiert als auch bei gemeinsamen Projekten in Forschung und Hochschulentwicklung. Dann kann man mit einer einzigen Reise ganz viel bewegen. Zwischendurch bearbeitet jeder seinen Part des Projekts, und falls nötig, trifft man sich virtuell. Die ZHAW-Strategie International 2025 setzt auf strategische Partnerschaften und ist in diesem Punkt der Nachhaltigkeit förderlich.
Inwiefern?
Unsere Absolventinnen und Absolventen müssen fit sein für die Arbeits- und Forschungsmärkte in der ganzen Welt. Das kann man nicht nur dadurch erreichen, dass man Studierende möglichst viel und weit reisen lässt. Die Strategie stärkt deshalb die Interkulturalität «at home» – interkulturelles Kommunizieren und Handeln lässt sich auch hier üben.
Seit zwei Jahren gibt es an der ZHAW gemeinsame Standards für internationale Profile. Im Herbst startet das departementsübergreifende Modul Intercultural Competence for Outgoing Students. Wie geht es da voran?
Wir haben uns als ZHAW auf eine gemeinsame Vorstellung geeinigt, wie internationale Studienprofile aussehen sollen. Jetzt entwickeln wir die entsprechenden Ausbildungsmodule. Das wird zu unserer internationalen Attraktivität beitragen. Unsere acht Departemente sind da noch unterschiedlich weit. Aber wir werden nächstes Jahr starten können mit dem ZHAW International Profile, bei dem es am Ende auch ein ZHAW-Zertifikat als Leistungsnachweis geben wird.
Die neue Strategie International 2025 soll die ZHAW international sichtbarer machen. Wie soll das erreicht werden?
Die Strategie geht von drei Räumen aus, in denen die ZHAW strategische Partnerschaften aufbauen will: im deutschen Sprachraum, in Europa und weltweit. Zurzeit hat die ZHAW mit INUAS – dem Verbund mit der FH Campus Wien und der Hochschule München – nur im deutschsprachigen Raum strategische Partnerschaften. Wir spannen also jetzt das Netz weiter, und zwar mit Taten, mit denen wir uns sehen lassen können.
Was kennzeichnet eine strategische Partnerschaft?
Eine Partnerschaft ist dann strategisch, wenn sie den gesamten Leistungsauftrag der Fachhochschulen abdeckt: Forschung, Ausbildung, Weiterbildung und Dienstleistung. Zudem sind an strategischen Partnerschaften immer mehrere Departemente beteiligt. Aus solchen Partnerschaften baut die ZHAW nun Hubs in Europa und der Welt. Mit Hub meinen wir ein intensives Zusammenspiel von drei oder vier Hochschulen, die sehr gut zusammenpassen und die in ihrem Bereich exzellent sind. Je nach Projekt, kann dieser Hub dann Praxispartner aus den beteiligten Ländern und Regionen einbeziehen.
«Wir wollen den Erfolg einer Hochschulpartnerschaft nicht mehr nur in Flugkilometern oder Fördermillionen messen.»
Wie viele Hubs sind das Ziel?
Ein bis zwei pro Raum – deutscher Sprachraum, Europa, Welt – sind ideal. Das zeigen Vergleiche mit anderen führenden Hochschulen. Mehr Kooperationen kann man gar nicht seriös pflegen. Mit diesen ausgewählten Partnern werden wir Themen angehen, die für die gesamte Hochschule interessant sind, wie etwa jene unserer strategischen Forschungsschwerpunkte, Energie und Gesellschaftliche Integration. INUAS zum Beispiel soll als Hochschulverbund mit Expertise im Bereich Lebensqualität in urbanen Räumen wahrgenommen werden. Die Partnersuche bringt uns auch als ZHAW näher zusammen; die Verbindung nach aussen stärkt die Verbindung nach innen.
Die Departemente der ZHAW pflegen zusammengenommen über 400 Partnerschaften weltweit. Von welchen dieser Partnerschaften profitiert die ZHAW am meisten?
Bis jetzt vor allem vom Prinzip, dass Partnerschaften von unten her entstehen. Es ist eine Stärke, dass einzelne Mitarbeitende und Organisationseinheiten in ihren Arbeitsbereichen, Zentren, Instituten und in ihren Departementen Partnerschaften aufbauen und pflegen können, die intrinsisch von den Leuten getragen werden, die sie initiiert haben. Davon profitieren wir als ZHAW. Aber die hochschulübergreifenden Partnerschaften der ZHAW als Ganzes haben wir bisher vernachlässigt. Das soll sich ändern.
Wie misst man den Erfolg einer Partnerschaft?
Wir haben mit der neuen Strategie entschieden, dass man den Erfolg solcher Partnerschaften nicht mehr nur in Flugmeilen oder Fördermillionen messen will. Neu soll auch gemessen werden, wie sich unsere internationale Präsenz im öffentlichen Diskurs spiegelt: Wie und von wem werden wir wahrgenommen als international aktive und attraktive Hochschule?
Sind wir attraktiv für Studierende, Dozierende und Forschende aus dem Ausland?
Wir müssen noch mehr unternehmen und dafür sorgen, dass unsere Hochschule im internationalen Vergleich als interessanter Ort wahrgenommen wird. Wo wir kein Problem haben, ist beim Austausch von Dozierenden. Das liegt vor allem an den Löhnen. Das hilft. Wir werden diesbezüglich regelrecht überrannt. Damit aber auch mehr Menschen aus anderen Gegenden der Welt bei uns studieren wollen, müssen wir unser Profil schärfen und die Vorteile, die wir als Schweizer Fachhochschule am Wirtschaftsstandort Zürich international bieten können, verstärken und verstärkt mitteilen. Unsere ersten Massnahmen diesbezüglich haben gute Ergebnisse gezeigt: Das Departement Angewandte Linguistik hat zum Beispiel Videos mit Incomings gedreht, die an der ZHAW studiert haben. Sie geben dabei sehr persönlich und nahbar Einblick, warum sie begeistert sind davon, in Winterthur, Wädenswil oder Zürich zu studieren.
«Interkulturelle Awareness bedeutet auch, dass man es als Chance sieht, wenn der andere anders tickt.»
Die Zahl der Outgoings, also jener Studierenden und Mitarbeitenden, die im Ausland studieren, forschen oder lehren, steigt. Weshalb?
Unternehmen, Institutionen und Organisationen suchen Leute, die international aufgestellt sind. Und wir als ZHAW fördern den Austausch von Studierenden und Mitarbeitenden. Heutzutage ist es nichts Exotisches mehr, im Ausland zu studieren oder zu forschen. Es ist für viele Branchen bereits ein Muss.
Mit einem übergreifenden Kurs will die ZHAW ihren Studierenden interkulturelle Skills vermitteln. Inwiefern kann ein Kurs allen Destinationen gerecht werden?
Indem wir die interkulturelle Awareness fördern: das Bewusstsein und die Offenheit dafür, dass Menschen anders ticken. Wir wollen die Freude und das Interesse wecken, zu beobachten, wie wir Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund erreichen können. Das bedeutet, dazuzulernen und zu erkennen, dass nicht die eigenen Gewohnheiten als Massstab für die ganze Welt gelten. Das ist etwas vom Wichtigsten: die Fähigkeit, sich in eine andere Kultur einzufühlen, einzudenken und sich darauf einzulassen. Dies wollen wir vermitteln. Den Fokus auf nur eine Kultur zu legen und dort starre Verhaltensregeln zu vermitteln, würde zu kurz greifen. Man kann nicht davon ausgehen, dass, wenn man Verhaltensregeln auswendig lernt, auch alles funktioniert. Deshalb wollen wir die Offenheit für das Unvorbereitete und das Unerwartete fördern – also die Fähigkeit überhaupt, sich auf andere einzulassen und mit ihnen zusammen zu wirken.
«Man sollte sich einfach natürlich verhalten – aber wach sein fürs Unerwartete.»
Richtet man den Blick mehr auf die Andersartigkeit oder die Gemeinsamkeit?
Beides ist wichtig. Ich muss schauen, wo die anderen durch ihre Kultur andere Lösungen entwickelt haben, wie sie diese begründen – und was uns das nutzen könnte. Interkulturelle Awareness bedeutet auch, dass man es als Chance sieht, wenn der andere anders tickt. Ich muss das Visitenkärtchen in Japan oder China nicht so übergeben, wie die das dort machen. Die wissen ja, dass ich ein Fremder bin.
Ihnen ist es auf einer Chinareise also egal, dass Sie die Visitenkarte dort mit beiden Händen übergeben sollten?
Kulturelles Imitieren muss scheitern. Japanische Höflichkeit zum Beispiel bringe ich nie hin. Das wirkt bei mir immer aufgesetzt und lächerlich. Darum erwarte ich von den Leuten, die hierherkommen, auch nicht, dass sie genau so sind wie wir. Übrigens: Andere Kulturen sind oft viel selbstbewusster, wenn sie hier auftreten. Sie übergeben die Geschenke in indischer Manier und bewegen sich hier entsprechend ihrer Verhaltensmuster. Von unserer Seite erwarten sie ein gewisses Entgegenkommen und Verständnis. Das dürfen wir auch für uns in Anspruch nehmen, wenn wir in ihrem Land sind. Man sollte sich einfach natürlich verhalten – aber sensibel. Das finde ich wichtig.
Sie selbst sind ja viel unterwegs. Erinnern Sie sich an eine Situation in jüngster Zeit, wo diese Offenheit für die Andersartigkeit geholfen hat?
Letzten Herbst bin ich über Peking geflogen für die Veranstaltung «Zürich meets Seoul». Auch wenn man dort nur umsteigt, muss man das ganze Ein- und Ausreise-Prozedere über sich ergehen lassen. Da wird man gefilzt in einer Art, die man bei uns als Schikane bezeichnen würde. Aber dort entspricht es den Sicherheitsbestimmungen. Konkret hatte ich Tropfen gegen Stirnhöhlenentzündung dabei. Beim Sicherheitscheck wurden diese in meinem Handgepäck entdeckt. Danach wurde mir der Pass weggenommen. Man wollte wissen, was das für Tropfen sind. Keiner der Sicherheitsleute sprach Englisch. Ich habe es dennoch versucht mit «Doctor», «Medicine», «Headache», «Aua» und an meinen Kopf gedeutet. Dann hat die Sicherheitsbeamtin irgendwie verstanden, was ich meinte, und hat begonnen, mit der Zunge an der Flasche zu lecken. Dann hat sie gelacht, mir die Flasche wieder überreicht und ebenso den Pass. Das braucht dann eine ziemliche Toleranz und Offenheit für das Unerwartete. Das Medikament war mit dem Ablecken der Flasche unbrauchbar geworden. Würde mir das in der Schweiz passieren, würde ich mich in aller Form beschweren. Aber mir war klar, das läuft dort offensichtlich so, und die Beamtin war bemüht, ihre Aufgabe wirklich gründlich zu erledigen.
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