Piktogramme für Beipackzettel

19.06.2019
2/2019

«Zweimal täglich eine Tablette einnehmen» oder «Ausser Reichweite von Kindern aufbewahren» – wie stellt man diese Botschaften bildlich dar? Ein interdisziplinäres und hochschulübergreifendes Forschungsprojekt der ZHAW und der ZHdK arbeitet an dieser komplexen Aufgabe.

Die Schrift ist viel zu klein, der Inhalt schwer verständlich. So lautet die häufige Kritik an Beipackzetteln von Arzneimitteln. Nicht nur ältere oder fremdsprachige Menschen tun sich damit schwer. Auch gut ausgebildete Muttersprachler haben ihre Mühe mit den Informationen, wie Umfragen zeigen. Weshalb dieses Problem nicht visuell angehen?, fragte sich Ester Reijnen Kognitionspsychologin am Departement Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und ­initiierte vor fünf Jahren ein hochschulübergreifendes Projekt unter der Federführung der ZHAW, welche  es auch finanziert. Das Ziel: die Patientensicherheit verbessern und den Medikamentenverbrauch reduzieren. Das bisherige Resultat sind 37 Piktogramme, die laufend getestet und verbessert werden.

«Die Grundlagenforschung zeigt, dass Farben sehr effektiv sein können.»

Ester Reijnen

«Wir möchten, dass die Zeichen für alle verständlich sind – unabhängig von der Alphabetisierung, dem kulturellen Hintergrund und dem Bildungsgrad der Empfänger», sagt Kognitionspsychologin Ester Reijnen von der ZHAW. «Visuelle Zeichen sind weniger länder- oder sprachabhängig», ergänzt Ulrich Binder, bildender Künstler und wissenschaftlicher Mitarbeiter der ZHdK. So habe sich das Symbol eines Mannes oder einer Frau auf einer Toilettentüre beispielsweise international durchgesetzt. «Auf diesen Lerneffekt hoffen wir auch.»

Zeitintervalle der Einnahme visualisieren

Zu Beginn ging es darum, Prototypen zu entwickeln, beispielsweise von einer Pille oder einer Uhr. Ulrich Binder skizzierte die Entwürfe von Hand, und sein ZHdK-Kollege und Grafiker Thomas Gfeller zeichnete sie ins Reine.

Die Bildkombination aus zwei Tabletten und einer Uhr steht nun für die Aussage: «Zweimal täglich eine Tablette einnehmen.» Bis man dahin gelangt, braucht es wissenschaftliche Untersuchungen darüber, welche Symbole oder Farben welche Assoziationen hervorrufen und welche Konventionen sich bewährt haben. Diese wissenschaftliche Einbettung war unter anderem der Part von Ester Reijnen vom ZHAW-Departement Angewandte Psychologie: «Die Grundlagenforschung zeigt, dass Farben sehr effektiv sein können.»

Oberstes Ziel Verständlichkeit

Nach jeder kreativen Phase testen die Psychologie-Forscherinnen Ester Reijnen und Lea Laasner die Piktogramme an Testpersonen im Labor – teilweise mit solchen, die einen medizinischen Fachhintergrund haben, teilweise mit Studierenden. So evaluieren sie, wie schnell und korrekt die Botschaften ankommen, und damit, wie verständlich sie sind. Es kristallisierte sich bald heraus, was besonders schwierig war: die Details zugunsten einer raschen Lesbarkeit zu reduzieren und gleichzeitig die Komplexität der Information zu erhalten. «Hier gibt es auch Hinweise aus der Literatur, dass zu viele Details eher ablenken», so Reijnen.

«Visuelle Zeichen sind weniger länder- oder sprachabhängig.»

Ulrich Binder, ZHdK

In Zusammenarbeit mit Apothekern im Projekt tauchten plötzlich neue Fragen auf: Ist die abgebildete Pipette zum Thema Augentropfen noch zeitgemäss? Spielt es eine Rolle, wo der Tropfen aufs Auge trifft? Wie stellt man das Thema Essen dar: mit Teller und Besteck oder Schale und Stäbchen?

Da ein Missverständnis der Informationen schwere Folgen haben kann, weil ein Arzneimittel nicht wirkt oder sogar schadet, wenn es falsch angewendet wird, ist es ganz entscheidend, dass die Piktogramme eindeutige Botschaften aussenden. Nur jene Zeichen bleiben nach dem Praxistest in der Auswahl, die wirklich verstanden worden sind. Besonders schwierig umzusetzen war zum Beispiel die Anweisung: «Nur bei Bedarf einnehmen.» Ein Piktogramm mit einem Kopf, über dem eine Comic-Gedankenblase schwebt, die eine Tablette zeigt, soll diese nun verdeutlichen. «Schon jetzt sind unsere Piktogramme verständlicher als eine Serie, die in den achtziger Jahren in den USA auf den Markt kam und immer noch im Umlauf ist», sagt Ester Reijnen.

Knacknüsse souverän gemeistert

Die Piktogramme sollen den Text der Beipackzettel oder eine Beratung durch medizinische Fachpersonen nicht ersetzen, sondern ergänzen, wie die Forschenden betonen. Deshalb setzen sie alles daran, die abstraktesten Hinweise verständlich umzusetzen. Bei Bedarf kann die Apothekerin die Symbole auch als Kleber auf der Medikamentenpackung anbringen.

Auch wenn schon einige Knacknüsse gelöst werden konnten: Es werden noch einige Testrunden nötig sein, stellen die Forschenden übereinstimmend fest. Geplant ist, dass die Piktogramme in ihrer definitiven Form ISO-zertifiziert werden. Ulrich Binder zieht ein positives Fazit: «Die unterschiedlichen Denkweisen und Arten von Wissensproduktionen der Fachbereiche ergaben eine sehr spannende interdisziplinäre Zusammenarbeit.»

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