Richti Wallisellen: Die urbane Insel
Ins Richti-Areal in Wallisellen strömen jeden Tag Tausende von Pendlern. Der neue Stadtteil hat eine Verbindung vom Bahnhof zum Einkaufszentrum Glatt geschaffen, dem bisherigen Wahrzeichen der Agglomerations-Gemeinde.
Der rege Betrieb am Bahnhof um acht Uhr morgens veranschaulicht den Stellenwert des neuen Stadtteils in der 15‘000-Seelen-Gemeinde Wallisellen: Wer aus der S-Bahn steigt, geht selten nordwärts, wo Einfamilienhäuser das Bild prägen. Etwa drei Viertel der Pendler nehmen die Unterführung zur Südseite ins Richti-Areal, schätzt der Architekt Urs Primas, Dozent im ZHAW-Institut Urban Landscape.
Das Areal zwischen Bahnlinie und Autobahn ist verkehrstechnisch bestens erschlossen. Dennoch war hier zwanzig Jahre lang eine Industriebrache, nachdem die Zementröhrenfabrik ihren Betrieb eingestellt hatte. «Verschiedene Projekte scheiterten, darunter eine monofunktionale Büroüberbauung, die wegen ihrer hohen Parkplatzzahl mit Kritik überzogen wurde», erzählt Primas. 2007 setzte die Immobilienfirma Allreal als Alleineigentümerin auf eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde, um ein Quartier mit gemischter Nutzung zu entwickeln. 2014 war der moderne Stadtteil fertiggestellt.
Die «Richti» sei ein Ufo, zufällig in Wallisellen gelandet, spotten manche. Natürlich weiss Urs Primas um solche Vorbehalte. Die städtische Blockrandbebauung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat mit der Umgebung tatsächlich nichts gemein. Der Konradhof, der uns am Eingang prominent empfängt, knüpft nicht an Architekturtraditionen an, die man in Wallisellen kennt: Durch 4,5 Meter hohe Arkaden gehen zielstrebig Menschen zu ihren Arbeitsplätzen. Das Erdgeschoss ist für Verkaufslokale und Gewerbe reserviert. Darüber liegen vier Wohngeschosse, wie sich an den dunkelgrünen Läden vor den schlanken, raumhohen Fenstern ablesen lässt. Die Ausstrahlung des Gebäudes ist grossstädtisch elegant. Es verströmt einen Hauch Italianità.
«Die gelungene Mischung aus Arbeiten und Wohnen ist eine grosse Qualität.»
Der neue Stadtteil implementiert Räume, Häuser und Bepflanzungen, die man in der Zürcher Agglo-Gemeinde so noch nicht gesehen hat. Urs Primas betrachtet das Resultat mit gemischten Gefühlen: «Ist es Nostalgie, wenn historische Vorbilder derart wörtlich herbeizitiert werden? Fehlt es uns heute an eigenständigen Stadtvorstellungen für solche Orte?» Wenn er dann allerdings die Nutzungen betrachte, falle es ihm schwer zu sagen, was daran nicht gut sein soll. Die gelungene Mischung von Arbeiten und Wohnen bezeichnet er als eine grosse Qualität. 40 Prozent Wohnen, 50 Prozent Büros, 10 Prozent Verkauf: Der Masterplan definiert auch die Strassen und weitere öffentliche Räume. Finanziert vom Grundeigentümer, gingen sie anschliessend an die Gemeinde über. Damit ist die Grundstruktur für die Zukunft gesichert.
Wir folgen nicht der Strasse, die eine langersehnte Verbindung vom Bahnhof zum Glattzentrum schafft. Stattdessen nehmen wir einen kleinen Umweg durch den grossen Hof. Alle Innenhöfe sind öffentlich zugänglich und als sekundäre Wegverbindungen nutzbar.
Schon stehen wir vor der glatten Fassade eines fünfgeschossigen Bürogebäudes. Hof, Gasse, Platz – das Prinzip des städtischen Blocks fügt völlig verschiedene Baukörper zu einem stimmigen Ganzen. Der Masterplan verlangte steinerne Fassaden mit klar ablesbarer Fensterstruktur. In einer Art «Trotzreaktion», so Primas, erfüllten die Architekten diese Vorgabe, indem sie das Foto einer Marmorwand auf die Glasfassade aufdrucken liessen. Im Zusammenspiel mit der Bepflanzung – rotblättriger Japan-Ahorn – entsteht im bekiesten Hof eine fast schon surreale Wirkung. Sind wir in Paris, Rotterdam oder Wallisellen?
Der Hof wird gern als Weg zum Richtiplatz benutzt. Dort ist der Büroklotz über spektakuläre Passerellen mit einem 18-geschossigen Büroturm verbunden. Er markiert den Schweizer Hauptsitz des Versicherungskonzerns Allianz. Am zentralen Richtiplatz liegt auch der zweite grosse Bürokomplex, der Sitz des Kabelnetzbetreibers UPC.
Zwischen Richti und Glattzentrum knattern Presslufthämmer. Die Bushaltestellen erhalten einen breiten Mittelstreifen, Fussgänger einen breiteren Weg. Primas blickt ins Rund. Bus, Tram, angrenzende Wohnblöcke, dahinter Gewerbebauten, «hier ist offensichtlich, wie die Welten aufeinanderprallen». Es braucht Zeit, bis ein neues Quartier mit der Umgebung zusammenwächst. Nachdem jahrelang Infrastruktur irgendwo in der Landschaft auf Randflächen hingeklatscht wurde, sind zusammenhängende Gebiete die Ausnahme, Inseln die Regel – oft auch durch Gemeindegrenzen voneinander getrennt. «Verbindungen zwischen solchen Inseln zu schaffen ist heute die grosse Herausforderung», stellt Primas fest.
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