Sieben von zehn Firmen rechnen mit negativen Folgen
Viele KMU wurden von der aktuellen Konsumfreudigkeit überrascht. Doch die Krise ist mit der Aufhebung des Lockdowns nicht vorbei. Das ZHAW-Coronavirus-KMU-Panel zeigt die Lage der Betriebe auf.
Jeanine Steinegger war gerade dabei, Osterartikel in die Regale zu räumen, als Anfang März die Mitteilung des Bundesrates kam: Ab der kommenden Woche würde sie ihren Laden für unbestimmte Zeit schliessen müssen. Steinegger ist Geschäftsführerin der «Herzsache», eines Geschäfts für Geschenkartikel und Wohnaccessoires in der Rapperswiler Altstadt. «Das war schon ein Schock», erzählt die 39-Jährige, deren Laden inzwischen wieder geöffnet ist.
360 KMU wurden befragt
Die «Herzsache» ist eines von rund 360 KMU, deren wirtschaftliche Situation in der Corona-Krise die ZHAW mit einer Befragungsreihe erhoben hat. Kleine und mittlere Unternehmen in der deutschsprachigen Schweiz blicken dabei mit gemischten Gefühlen in die nähere Zukunft. Zwar sind sie für die nächsten Monate optimistischer eingestellt als auch schon. Doch auf ein ganzes Jahr hinaus bleiben ihre Aussichten eher düster, wie das Institut für Financial Management der ZHAW School of Management and Law in seiner zweiten Erhebung feststellt. So rechnet Mitte April zwar nur noch ein Drittel der rund 360 befragten Betriebe damit, in den folgenden zwölf Monaten in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, während es im März noch mehr als die Hälfte war. Sieben von zehn Unternehmen gehen jedoch nach wie vor davon aus, dass sich die Corona-Krise negativ oder sogar sehr negativ auf ihre Geschäftstätigkeit auswirken werde. Das sind fast gleich viele wie im ersten ZHAW Coronavirus-KMU-Panel. Grosse Sorgen machen sich vor allem Detail- und Grosshandel, Gastronomie-, Hotelleriebetriebe und Reisebüros, aber auch die Maschinen- und Elektroindustrie. Vielen Betrieben aus der Informations- und Kommunikationstechnologie hingegen hat die Krise auch Aufwind verliehen.
«Das Nachholbedürfnis der Konsumenten nach den ersten Lockerungen des Bundes hat viele Betriebe erstaunt und dürfte zu dieser kurzfristig positiveren Einschätzung geführt haben», erklärt Andreas Schweizer. Er ist der Initiant der Erhebung und Dozent für Corporate Finance & Corporate Banking an der ZHAW. «Gleichzeitig wird den Unternehmen mehr und mehr bewusst: Die Krise wird nach der Aufhebung des Lockdowns längst nicht so rasch vorbei sein, wie viele zu Beginn noch gedacht und vor allem gehofft haben.» Die nächsten zwei oder drei Jahre dürften für viele KMU hart werden.
Bundeskredite sind mehr als finanzielle Hilfe
Das ZHAW-Coronavirus-KMU-Panel wollte auch Licht auf die Frage werfen, wie viele Betriebe eine Unterstützung von Bund oder Kantonen in Anspruch genommen haben. 40 Prozent beziehungsweise 145 der rund 360 befragten Unternehmen aus der deutschsprachigen Schweiz haben bis Ende April einen verbürgten Kredit beantragt. In den meisten Fällen handelt es sich um einen Betrag in der Höhe von maximal 500’000 Franken, die Antragsteller sind vorwiegend Kleinst- und Kleinunternehmen. Nur wenige Betriebe erhielten eine Absage – und diese bedeutete in den meisten Fällen einfach, dass ein tieferer Kredit gewährt wurde als beantragt.
«Die Liquidität gibt den Unternehmen wieder Luft, um notwendige Schritte für die Zukunft anzudenken und einzuleiten.»
Die Kredite dienen in erster Linie dazu, Mietkosten und offene Rechnungen anderer Art zu begleichen. Für den Studienleiter geht ihr Nutzen jedoch klar über das Finanzielle hinaus: «Die Liquidität gibt den Unternehmen wieder Luft, um notwendige Schritte für die Zukunft anzudenken und einzuleiten.»
Die positive Wirkung der verbürgten Kredite zeichnet sich für den Ökonomen auch in der Panelfrage zu den Konkursen ab: So beurteilen in der aktuellen Erhebung deutlich weniger Befragte – jeder achte statt jeder sechste – das Risiko für einen Konkurs in den kommenden zwölf Monaten als gross. Noch klarer habe jedoch die Zahl derjenigen Betriebe abgenommen, die aus Unsicherheit überhaupt keine Einschätzung vornähmen, sagt Schweizer. «Die Massnahmen des Bundes tragen dazu bei, Ängste der Unternehmer zu zerstreuen und Klarheit zu schaffen.»
Nicht alle beurteilen die finanziellen Massnahmen des Bundes derart positiv. Während einige der befragten Unternehmen solche Kredite als dringend notwendig erachten, halten andere diese Form der Hilfe für wenig sinnvoll oder sogar gefährlich: Schliesslich steht der Betrieb damit in der Schuld des Kreditgebers und muss das geliehene Geld innerhalb von fünf Jahren zurückzahlen.
Entgangener Umsatz lässt sich kaum kompensieren
Der Bundeskredit ist für Betriebe nur ein Weg von mehreren, einigermassen heil durch die Corona-Krise zu kommen. Mehr als die Hälfte der befragten KMU hat bis Mitte April bereits Kurzarbeit eingeführt, deutlich mehr als noch in der ersten Erhebung. Zudem hält es über ein Drittel der Betriebe für wahrscheinlich, dass auch Entlassungen notwendig sein werden. Tatsächliche Kündigungen gab es zu diesem Zeitpunkt allerdings erst in sieben der rund 360 Betriebe.
Jedes dritte Unternehmen hat sein Geschäftsmodell zudem vorübergehend oder teilweise angepasst. Dazu gehören vor allem die Umstellung auf den Onlinehandel und neue Liefermodelle. (Rund 80 der befragten Betriebe mussten aufgrund der Verordnungen des Bundesrates zeitweilig schliessen.) «Der entgangene Umsatz lässt sich mit solchen Anpassungen jedoch kaum kompensieren», gibt Schweizer zu bedenken. Mehr als die Hälfte der befragten Betriebe konnte so gerade einmal maximal 20 Prozent des Umsatzes wettmachen. «Eine Website einzurichten, bekannt zu machen und alle Produkte dort aufzuführen, dauert mehr als nur ein paar Wochen», sagt Schweizer, der Mitte Juni eine dritte Erhebung durchgeführt hat. (Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor).
Jeanine Steinegger hat damals rasch auf die Krise reagiert: Sie beantragte Kurzarbeit für ihre vier Mitarbeiterinnen und begann, Geschenksets zusammenzustellen und in den sozialen Medien zu bewerben. Eine Followerin bot ihr ausserdem an, die Produkte für den Onlineshop zu digitalisieren. Zwar habe sich der verlorene Umsatz so nicht wettmachen lassen, erzählt Steinegger. «Doch es war zumindest genug, um die Mietkosten zu begleichen.» Auf Geschenksets wird die Jonerin auch in Zukunft setzen; diese hätten ihr auch Kundschaft aus anderen Regionen der Schweiz gebracht. Ebenso soll die Onlinepräsenz weiter verstärkt werden. Steinegger hat zu diesem Zweck sogar eine neue Mitarbeiterin eingestellt: Die Followerin, die ihr während der Corona-Krise aus Solidarität mit ihrer Website geholfen hatte.
ZHAW Managers Survey
Auch eine weitere Studie hat ergeben: Die Verunsicherung ist vielerorts gross, und für nicht wenige Unternehmen geht es ums Überleben. Das Center for EMEA Business und das International Management Institute haben dies in ihrer ersten ZHAW-Manager-Survey-Studie gezeigt. Das neue Projekt soll eine unregelmässig wiederkehrende Umfrage unter Weiterbildungsabsolventinnen und -absolventen der ZHAW School of Management and Law zu aktuellen Themen sein. Die erste Umfrage im April untersuchte die Auswirkung der Covid-19-Krise auf Schweizer Unternehmen, um zu einem besseren Verständnis der Krise beizutragen.
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