Thermochemische Netze

Sommerwärme in Salzlösung speichern

06.12.2022
4/2022

Strom zum Heizen zu verwenden, ist keine gute Idee, findet der ZHAW-Forscher Thomas Bergmann. Sein Gegenentwurf: thermochemische Netze, welche Wärme praktisch verlustlos transportieren und speichern können.

Eine Alltagsbeobachtung: Kommt Salz mit Luft in Berührung, so wird es feucht. An der Oberfläche der Salzkörner bildet sich eine Lösung aus Wasser, das der Luft entzogen wurde, und Salz. Bei diesem Prozess wird Wärme frei, denn das Wasser gerät durch den Einbau des Salzes in seine Struktur in einen stabileren Zustand. Darum kann man Salz auch benutzen, um im Winter das Eis auf den Strassen aufzutauen. Umgekehrt muss man aber Energie zuführen, wenn man das Wasser wieder vom Salz trennen will. Deshalb liegt etwa der Siedepunkt von Salzwasser höher als jener von Süsswasser.

«Der grosse Vorteil dieses Ansatzes ist, dass sich die Wärmeerzeugung und -nutzung zeitlich und örtlich trennen lassen.»

Thomas Bergmann, Leiter der Fachgruppe Thermische Speicher

Aus diesen Beobachtungen lässt sich die Grundidee ableiten, die hinter einer neuartigen, raffinierten Form der Wärmeversorgung steckt, wie sie Thomas Bergmann vorschwebt, dem Leiter der Fachgruppe Thermische Speicher an der ZHAW School of Engineering. Es braucht dazu nicht mehr als eine beliebige Wärmequelle und eine Salzlösung. Die Wärme wird genutzt, um Wasser zu verdampfen, sodass der Salzgehalt der Lösung steigt. In der konzentrierten Salzlösung steckt nun Energie oder, genauer gesagt, chemisches Potenzial, mit dem sich wieder Wärme erzeugen lässt. Und zwar, indem man der Lösung neues Wasser zuführt, sie also verdünnt.

Praktisch verlustfrei transportieren

«Der grosse Vorteil dieses Ansatzes ist, dass sich die Wärmeerzeugung und -nutzung zeitlich und örtlich trennen lassen», sagt Thomas Bergmann. Statt Wärme zu transportieren, was stets mit Verlusten verbunden ist, genügt es hier, die Salzlösung an den Ort des Verbrauchs zu leiten. Diese kann praktisch verlustfrei transportiert und gespeichert werden – in einem thermochemischen Netz müssen daher, im Gegensatz zu einem herkömmlichen Fernwärmenetz, keine Leitungen und Tanks isoliert werden. «Der Transportaufwand reduziert sich um etwa den Faktor hundert», sagt Bergmann.

Ein Gewächshaus gezielt beheizen

Dass der Ansatz prinzipiell funktioniert, hat Bergmanns Team mit einer Demonstrationsanlage im Rahmen des EU-Forschungsprojekts H-DisNet bewiesen. Beheizt wird in diesem Fall das Gewächshaus einer Gärtnerei. Dazu saugt man Innenluft an und lässt sie durch die Salzlösung strömen. Die Lösung entzieht der Luft Wasserdampf, gibt Energie ab und erwärmt so den Luftstrom. Statt aber das ganze Gewächshaus zu beheizen, wird die nunmehr warme Luft gezielt zu den Pflanzentischen geleitet, was Energie spart. Der Gesamtenergieverbrauch des Betriebs lässt sich auf diese Weise halbieren. Das Gewächshaus-Projekt bekam 2020 die Auszeichnung «Watt d’Or» des Bundesamts für Energie (BFE). In einem BFE-Folgeprojekt wird die Anlage nun automatisiert. Läuft sie stabil, ist geplant, sie durch Leitungen mit einem nahen Gewerbegebiet zu verbinden. Dorthin soll jeweils die ausgedünnte Salzlösung fliessen und durch Abwärme oder Solarthermie regeneriert werden. Die konzentrierte Lösung fliesst dann wieder zurück in die Gärtnerei.

«Auch das Pflanzenwachstum verbessert sich und der Schädlingsbefall geht zurück.»

Thomas Bergmann, Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering

Die neue Methode hat noch weitere Vorteile: «In Zusammenarbeit mit dem Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen in Wädenswil konnten wir zeigen, dass sich auch das Pflanzenwachstum verbessert und der Schädlingsbefall zurückgeht», sagt Bergmann. Weil sich die Luft beim Durchströmen der Salzlösung nicht nur erwärmt, sondern auch austrocknet, kann man dasselbe Prinzip auch zum Trocknen von Kräutern verwenden – ein weiteres Projekt von Bergmann. «Die Temperatur lässt sich genauer einstellen als mit herkömmlichen Trocknern. Dadurch erreicht man Energieeinsparungen und eine bessere Qualität der Endprodukte.»

Auch dies ist aber nur ein Puzzleteil eines neuen Energieversorgungssystems, das Thomas Bergmann anstrebt. «Die Wärme zum Heizen und Trocknen macht etwa vierzig Prozent des Schweizer Energiebedarfs aus», sagt er. Diesen Bereich zu elektrifizieren, wie es derzeit mit Wärmepumpen geschieht, hält er für keine gute Idee: «Dabei verwandelt man hochwertige Energie, nämlich Strom, in niedrigwertige Energie, eben Wärme, was mit Aufwand und Verlusten verbunden ist.» Hätten wir zum Heizen ein thermochemisches Netz, so könnte man den wertvollen Strom für andere Anwendungen benutzen. Gleichzeitig würde das Problem der Winterenergielücke gelöst, denn Sommerwärme liesse sich in Salzlösungen speichern und im Winter zum Heizen verwenden.

Businessmodelle gesucht

So überzeugend das alles klingt: Im Moment befindet man sich im Pionierstadium. Während Wärmepumpen gerade zu Zehntausenden verbaut werden, ist Bergmanns Ansatz noch weitgehend unbekannt. «Die Anwendungen funktionieren, das haben wir gezeigt», sagt er. «Ich sehe es jetzt als unsere Hauptaufgabe, das System ins Gespräch zu bringen.» Es braucht Industriepartner, Businessmodelle, auch neue Ausbildungen für Ingenieure, welche die Anlagen dereinst installieren sollen. An all diesen Aspekten arbeitet Bergmann. Aber der Weg bis zur grossflächigen Umsetzung ist noch weit.

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