Studieren allein zu Hause
Für Tausende Studierende hat sich seit März 2020 die Welt verändert: Statt Campusleben und Auslandssemester ist Studieren allein zu Hause angesagt. Fehlende Nebenjobs oder Praktika sorgen für Unsicherheiten. Die drei Studierenden Sarah, Mitch und Alina geben einen Einblick in ihre neue Normalität.
Dezember 2020. Sarah sitzt an ihrem Küchentisch. Aus dem WG-Radio spricht Alain Berset, Gesundheitsminister der Schweiz. Man müsse sich nun mit der neuen Realität abfinden – eine Welt, wie wir sie vor Corona kannten, werde es so nicht mehr geben. Sarah seufzt und widmet sich wieder ihrem Laptop.
Sarah studiert Soziale Arbeit an der ZHAW und finanziert ihr Bachelorstudium selbst. Sie kämpft mit der aktuellen Situation – wie viele andere Studierende, deren Leben plötzlich zu Hause stattfindet. Wegen der Corona-Massnahmen unterrichten Dozierende schweizweit aus dem Homeoffice, Studierende lernen allein am Bildschirm, Reisemöglichkeiten fallen weg und Freizeitmöglichkeiten sind beschränkt.
Leben im Standby-Modus
In einer Umfrage der Forschungsabteilung der ZHAW gaben 40 Prozent der Teilnehmenden an, sich aktuell eingesperrt zu fühlen. Für die Mehrzahl der Studierenden seien die Veränderungen in der Tagesstruktur erheblich.
«Viele Betriebe wissen nicht, ob und wann sie Praktikanten einstellen können.»
Auch die psychologische Beratungsstelle für Studierende und Mitarbeitende der ZHAW verzeichnet, gemäss ihrer Leiterin Imke Knafla, in der aktuellen Situation eine deutlich höhere Nachfrage.
Sarah besuchte zwar schon vor Corona eine Naturheilärztin, seit März spricht jedoch auch sie in jeder Sitzung kurz über die Covid-Situation. «Ich denke, viele beschäftigen die Ungewissheit und die soziale Abkapselung.»
Für Alina, Bachelorstudentin Kommunikation an der ZHAW, ist die momentane Situation vor allem psychisch belastend. Einschränkungen und Veränderungen im Studium oder im Arbeitsalltag seien weniger das Problem. Sie belastet mehr, dass sich das Leben nur noch um Corona dreht. Sie wünscht sich Gespräche «mit aufgestellten Menschen», über deren Interessen und Zukunftspläne.
Alina versteht zwar, dass Corona das Gesprächsthema Nummer eins ist, findet jedoch, dass sich das echte Leben im Standby-Modus befindet. Bei ihr habe das Social Distancing bereits Spuren hinterlassen: «Viele Menschen gleichzeitig zu treffen, beispielsweise beim Einkaufen, überfordert mich mittlerweile.»
«Ich werde faul und fett»
Dass die Freizeitaktivitäten durch die Corona-Massnahmen so stark eingeschränkt sind, schmerzt die jungen Studierenden. Wer Reisen plant, plant ins Ungewisse, da sich die Liste der quarantänepflichtigen Länder stetig verändert.
Mitch, Bachelorstudent Kommunikation, hat all seine Hobbys auf Eis legen müssen. Mannschaftssportarten seien aktuell nicht gerade die beste Wahl. Deshalb spielt er jetzt Tennis, um sich fit zu halten. Vergleichbar mit der Bewegung, die er vor Corona hatte, ist es für ihn jedoch nicht, wie er sagt: «Im Gegenteil, ich werde langsam faul und fett.»
Abschalten unmöglich
Der veränderte Tagesablauf hat bei Alina dazu geführt, dass sie nicht mehr wirklich abschalten kann. Sie vergisst, tagsüber Pausen einzulegen. Zwischen den Vorlesungen bereitet sie Arbeiten für andere Fächer vor oder erledigt private Angelegenheiten am PC. So gibt es immer etwas zu tun, und plötzlich ist es 23:00 Uhr – Zeit, um schlafen zu gehen. Vor Corona hätten die Dozierenden dafür gesorgt, dass Pausen eingehalten werden.
«Viele Menschen gleichzeitig zu treffen, beispielsweise beim Einkaufen, überfordert mich mittlerweile»
Bei Mitch ist das ähnlich. Das Homeschooling habe dazu geführt, dass man immer erreichbar sei. «Den Dozierenden geht es gleich. Wenn ich ihnen spätabends noch eine E-Mail schicke, kriege ich sehr wahrscheinlich noch eine Antwort.»
Die Situation ist eben auch für Dozierende eine Herausforderung. Auf so etwas sei man nicht vorbereitet gewesen, sagt Helga Kessler, Dozierende für Journalismus am Departement Angewandte Linguistik. Technische Pannen gehören deshalb zu ihrem neuen Alltag. Am meisten bedauert sie jedoch, dass sie ihre Studierenden nur virtuell zu Gesicht bekommt.
Kessler kann ihren Studierenden nachempfinden, dass sie mit dem Fernunterricht Mühe haben. Auch für sie sei es teilweise schwierig, online Probleme zu erkennen und die Studierenden zur Lösung zu navigieren. «Onlineunterricht ist definitiv anstrengender als Präsenzunterricht», sagt Kessler. «Wir schauen den ganzen Tag in den Computer. Sind wir fertig, ist es dunkel.» Für einen Ausgleich zu sorgen, sei zwar machbar, aber schwierig.
Run auf Stipendien
Erste Ergebnisse der Studie zur Gesundheit von Studierenden in Zeiten der Corona-Pandemie des Forschungsteams der ZHAW ergaben, dass fast die Hälfte der Studierenden, welche einer Erwerbstätigkeit nachgehen, diese aufgeben oder reduzieren mussten. Dies deckt sich mit den Beobachtungen, die David Stamm, Studienfinanzierungsberater der ZHAW, macht: «Ich erhalte viel mehr Anfragen von Studierenden, die auf Stipendien angewiesen sind.» (Siehe Interview unten.)
«Vielleicht verkaufe ich mein Auto, um etwas Geld beiseitezulegen.»
Existenzielle Ängste haben Sarah, Mitch und Alina bisher nicht. «Irgendwie hat es noch immer geklappt, und da kann auch Corona nichts ändern», sagt Alina, bewusst optimistisch. Sie arbeitet im Service, im Stundenlohn. Obwohl sie in diesem Jahr weniger Schichten gearbeitet hat, erhält sie dank der Kurzarbeit ihren Lohn. Und im Notfall kann sie auf ihre Familie zurückgreifen – genau wie Sarah.
Ausserdem hat Sarah noch Erspartes aus der Zeit, als sie noch berufstätig war. Dennoch belastet sie das Thema Arbeit – für ihr Studium muss sie im nächsten Semester ein Praktikum absolvieren. Obwohl sie gute Arbeitszeugnisse vorweisen kann, erhält sie seit Monaten nur Absagen auf ihre Bewerbungen. «Viele Betriebe wissen nicht, ob und wann sie Praktikanten einstellen können.»
Auch Mitch macht sich Gedanken über die Finanzierung seines Studiums. «Vielleicht verkaufe ich mein Auto, um etwas Geld beiseitezulegen.» Man wisse ja nicht, wie lange diese Situation noch anhalte.
«Manche wollen am Montag wissen, wie sie bis Freitag zu Geld kommen»
David Stamm, Sie beraten Studierende der ZHAW, wenn es finanziell eng wird. Wie viele Studierende melden sich aktuell bei Ihnen aus einer Corona-Notlage heraus?
David Stamm: Da gab es tatsächlich nur vereinzelt Fälle. Die Mehrheit der hilfesuchenden Studierenden, die sich coronabedingt melden, haben Anliegen, die das nächste Semester betreffen. Sie wissen, dass sie wegen Corona keinen Job mehr haben werden, und fragen sich, wie es nun weitergeht.
Ist das immer so, dass sich Studierende frühzeitig melden?
Nicht immer, nein. Es gibt jene, welche ihre Probleme für ein nächstes Semester schon anmelden, und dann gibt es aber auch welche, die am Montag wissen wollen, wie sie bis Freitag zu Geld kommen, um ihre Semestergebühren bezahlen zu können. Tendenziell kommen die Studierenden eher spät als früh.
Können Sie innerhalb von einer Woche Hilfe anbieten?
Studierende können sich zwar sehr kurzfristig an uns wenden, aber eine Woche ist wirklich zu kurz. Zwei bis drei Wochen brauchen wir mindestens für den administrativen Aufwand, damit wir finanzielle Hilfe anbieten können.
Und wie sieht diese Hilfe aus?
Die ZHAW bietet zinslose Darlehen an. Das bedeutet, Studierende können einen Kredit aufnehmen und diesen dann zinslos zurückzahlen. Vom Einreichen des Gesuchs bis zur Auszahlung des Geldes geht es dann eben diese zwei bis drei Wochen.
Wie gehen Sie bei einem Gesuch vor?
Als Erstes muss geklärt werden, ob die Studierenden Anrecht auf ein kantonales Stipendium haben. Viele Studierende wissen gar nicht, dass diese Möglichkeit besteht. Falls dieser kantonale Antrag bereits abgelehnt wurde, beraten wir die Studierenden, ob sich ein Rekurs lohnen würde. Ansonsten geben wir Tipps zu Stiftungen und Anlaufstellen, wo sich die Hilfesuchenden bewerben können.
Wird Ihr Angebot rege genutzt?
Ja, wir kommen gerade so durch mit der Bearbeitung aller Anfragen.
Dieses Jahr mehr als sonst?
Wir haben nicht unbedingt viel mehr Anfragen, aber Anfragen anderer Art. Noch nie gab es so viele Bewerbungen um Stipendien wie zu Zeiten der Corona-Pandemie.
Könnte der Lockdown Vorteile für die finanzielle Situation der Studierenden haben?
Man kann vielleicht einen gewissen Betrag sparen, da Zugabonnements und auswärts essen ausfallen. Auf der anderen Seite können gewisse Studierendenjobs nicht mehr ausgeführt werden. Schlussendlich sehe ich nicht wirklich finanzielle Vorteile für Studierende.
Wie sieht es mit neuen Berufsmöglichkeiten aus?
In der Pflege und auch in Schulen können Studierende häufiger aushelfen und so etwas dazuverdienen. Das kann sowohl gut als auch, im Falle der Pflege, belastend sein. Jedoch höre ich auch das Gegenteil häufig – Praktika werden abgesagt und Studierende finden kein Ersatzpraktikum.
Springen Sie dann als Berufsberater ein?
Grundsätzlich nicht. Aber wenn ich von einer Möglichkeit erfahre und weiss, dass jemand auf der Suche ist, verweise ich die Studierenden auf diese Jobangebote.
Welchen Rat geben Sie Studierenden mit?
Überlegen Sie sich früh genug, wie Ihre nächsten sechs Monate finanziell aussehen. Es gibt immer Unvorhergesehenes – siehe Corona –, daher ist es wichtig, sich frühzeitig Rat bei uns zu holen. Dafür ist unser Angebot da.
Beraten Sie auch zu den Folgen eines verschwenderischen Lebensstils?
Natürlich. Wer bei uns Hilfe sucht, muss einen Budgetplan vorlegen. Dann können wir einschätzen und beraten, wo die Studierenden mit weniger Geld auskommen müssen. Um das Studium finanziell meistern zu können, muss das Budget gut eingeplant werden und je nachdem auf Luxus verzichtet werden. Ferien für 5000 Franken liegen dann nicht mehr drin.
Lisa Crescionini
Die Autorin Lisa Crescionini studiert Journalismus im Bachelorstudiengang Kommunikation am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft. Diese Beiträge entstanden in der Werkstatt «Multimediales Storytelling» im fünften Semester. Dort erarbeiten die Studierenden Beiträge für die Praxis, unter Bedingungen und in Abläufen, wie sie im Journalismus üblich sind.
0 Kommentare
Sei der Erste der kommentiert!