Virtueller Mehrwert für die reale Welt
Die Technik der virtuellen Realität wurde ursprünglich für Unterhaltungszwecke entwickelt. Nun zeichnen sich neue Disziplinen ab, in denen sie eingesetzt werden kann. Potenzial sehen Fachleute in den Bereichen Fitness, Medizin oder Bildung.
Auf der Aussichtsplattform des Eiffelturms ist kein einziger Tourist zu sehen – und das nicht wegen der Corona-Pandemie. Es wirkt so, als hätte jemand Paris auf stumm geschaltet. Trotz der 300 Meter Höhe weht kein Wind. Die Umgebung erscheint surreal. Es ist auch nicht Realität. Vor einem Monitor sitzt Peter Hug. Er ist auf Google Earth unterwegs. Sein Gesicht wird von einer Virtual-Reality-Brille verdeckt. Der ZHAW-Experte für 3D-Experience befasst sich seit vielen Jahren mit der virtuellen Produktentwicklung im Maschinenbau. So musste er sich auch beruflich mit der Virtual Reality (VR) auseinandersetzen. Sie ist zu Hugs Leidenschaft geworden. «Wenn man plötzlich die Möglichkeit hat, durch VR in die Szene einzutauchen und nicht einfach nur vor dem Bildschirm zu sitzen, ist das schon spannend.» Dieses Eintauchen wird in der Fachsprache als Immersion bezeichnet. «Die Immersion, mit der man die Realität ausblenden kann, ist eine Stärke von VR», sagt die VR-Expertin Stephanie Grubenmann, die früher im Bereich VR geforscht hat und nun ihr Know-how als Kommunikationsberaterin einbringt.
Unbewusste Fitnessübungen
In der Corona-Krise scheinen einige Menschen diese vielfältigen Möglichkeiten für sich entdeckt zu haben. So waren die VR-Brillen bereits zu Beginn der Krise an den meisten Vertriebsorten restlos ausverkauft. Virtual Reality verspricht Alltagsflucht und Unterhaltung zugleich. Peter Hug geniesst diese Unterhaltung mittels VR nicht nur auf Google Earth. Der Dozent für Produktentwicklung und Industriedesign an der ZHAW spielt auch gerne mal ein gutes Game. In diesem Bereich sieht er das grosse Potenzial der VR. Aber auch für den Fitnessbereich sieht er gute Einsatzmöglichkeiten. Virtual Reality könne eine unterhaltsame Alternative zum Fitnessstudio sein, so Hug. «Durch die Integration von Körperbewegungen in VR macht man Sport, ohne dass man es als Anstrengung wahrnimmt. Beispielsweise trainiert man den Rücken, indem man wie ein Vogel über die Landschaft fliegt.» Eine entsprechende Lösung hat die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) entwickelt.
Eine Brille, die befähigt
Für Peter Hug steht die Frage nach dem Nutzen von Virtual und Augmented Reality (AR) (siehe Info-Box) im Zentrum. Er sieht weitere Anwendungsbereiche unter anderem in der Kommunikation, der Aus- und Weiterbildung (siehe Beitrag «Studieren im virtuellen Klassenzimmer») sowie in der Arbeitswelt. In der Kommunikation könne beispielsweise ein Experte einer Person, die sich an einem anderen Ort befindet, mittels AR-Brille eine Montage oder eine Anwendung eines Produkts erklären. Dabei sieht die Person mit dem Fachwissen dasselbe wie die andere Person und kann so nicht nur sprachlich, sondern auch visuell assistieren.
Jonas Christen arbeitet an der ZHdK im Bereich Knowledge Visualization und auch er sieht im Bereich der Telekommunikation eine grosse Chance für VR und AR. Facebook arbeite aktuell an entsprechenden Projekten. So zum Beispiel an der VR-Plattform «Horizon» für den sozialen Austausch in der virtuellen Welt. Für Thomas Keller, Professor für Wirtschaftsinformatik an der ZHAW, fehlen der VR für die Kommunikation aber noch die paraverbalen (die individuellen Eigenschaften der sprechenden Person) und nonverbalen Elemente. Sensoren in der Brille, die Mimik erfassen können, befänden sich erst in Entwicklung. Ein Meeting in Virtual Reality macht heutzutage also nur dann Sinn, wenn ein dreidimensionales Objekt und nicht einzig der menschliche Austausch im Mittelpunkt steht. So eignet sich beispielsweise die Besprechung eines Produkt-Prototyps besser als eine psychologische Sprechstunde mit einem Klienten.
«Gerade bei Objekten, die sehr klein, sehr gross oder sehr weit weg sind, bringt die VR einen deutlichen Mehrwert.»
Mirjam West, Mitarbeiterin an diversen VR-Projekten an der ZHAW, sieht noch einen weiteren Anwendungsbereich: «Mit Virtual-Reality-Games können die Nutzer für Inhalte sensibilisiert und für Taten motiviert werden.» Dieser Effekt nennt sich Gamification und zeige sich in ihrem aktuellen VR-Nachhaltigkeitsprojekt an der ZHAW. Womöglich könnten so auch Schülern auf unterhaltsame Weise Lernstoffe vermittelt werden. Sie hätten beispielsweise die Möglichkeit, in einen Chloroplasten, den Ort in der Pflanze, der Photosynthese betreibt, hineinzusteigen und diesen von innen zu erkunden.
Das Unfallrisiko reduzieren
Zudem eignet sich Virtual Reality gemäss Stephanie Grubenmann aber vor allem auch für Darstellungen von Dingen, die in der Realität zu gefährlich wären. So können Sachverhalte ortsunabhängig geübt werden. Auch Daniel Gremli, Gründer der VR- und AR-Agentur Bandara, kennt Projekte, bei denen Tätigkeiten mit erhöhtem Unfallrisiko zuvor in VR trainiert werden. Er hat mit seiner Firma bereits viele solche VR-Projekte umgesetzt. Eines davon ist das VR-Verkehrsunterricht-Projekt mit der Stadt Zürich. Aber auch die Arbeit mit Prototypen von Objekten ist für Thomas Keller ein sinnvolles Anwendungsgebiet. «Gerade bei Objekten, die sehr klein, sehr gross oder sehr weit weg sind, bringt die VR einen deutlichen Mehrwert.» So kann VR ausserdem in der Chemie oder Medizin angewendet werden. Das Coronavirus beispielsweise wurde bereits in der virtuellen Realität genauer untersucht und erforscht.
«Wir sollten uns also trotz der intensiven Entwicklung von Virtual Reality auch um eine schöne Realität in der echten Welt bemühen.»
Gemäss Yannick Rothacher, Assistent am Psychologischen Institut der Universität Zürich, dient die virtuelle Realität auch als Hilfswerkzeug in der psychologischen Forschung. «Das Hirn ist visuell dominiert und somit bereit, auf Illusionen reinzufallen.» Diese Eigenschaft dürfte nicht nur für psychologische Experimente, sondern auch für den Ausbruch aus dem Alltag hilfreich sein. «Wenn wir in einer schönen Realität leben, können wir uns einen Ausflug in virtuelle Welten erlauben», sagt Peter Hug. Zugleich warnt er: «Eine virtuelle Welt sollte nie zu einem Ersatz der echten Welt werden. Wir sollten uns also trotz der intensiven Entwicklung von Virtual Reality auch um eine schöne Realität in der echten Welt bemühen.»
Studieren im virtuellen Klassenzimmer
Nachhaltigkeit, Journalismus und Produktentwicklung sollen an der ZHAW innovativ studiert werden. Virtual Reality (VR) spielt in den verschiedensten Departementen eine Rolle.
Im Aus- und Weiterbildungsbereich sieht Peter Hug, Experte für 3D-Experience an der ZHAW, grosses Potenzial für Virtual Reality. An der ZHAW gibt es bereits diverse Anwendungen. Verschiedene Departemente befassen sich mit der virtuellen Realität und entwickeln diese weiter. Im Audio geben verschiedene Personen über die Anwendungsbereiche von VR an der ZHAW Auskunft.
Die Unzufriedenheit eines jungen Bastlers
Die Menschheit sucht seit über hundert Jahren nach Wegen, um virtuelle Realitäten herzustellen. Das Verlangen, die eigene Realität zu erweitern, führte über neue Apparaturen, neue Brillen und neue Rechner zum heutigen Stand. Im Video nehmen wir Sie mit auf eine Zeitreise:
Die Entwicklung der Virtual Reality ist sehr stark abhängig von der Leistungsfähigkeit der Rechner. Heute bekommt man mehr Prozessorleistung für weniger Geld und die Chips sind erst noch kleiner. Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende: «Es ist eine Reise», sagt Peter Hug, Gründer der VR-Interessengruppe an der ZHAW. Das gilt auch für die Entwicklung des wichtigsten VR-Zubehör: der VR-Brille. Sie wurde während dieser Entwicklungsreise immer kleiner, leichter und technisch versierter.
VR-Brillen im Laufe der Zeit
Lange Zeit banden fehlende VR-Headsets die Entwicklung der Virtual-Reality-Inhalte zurück. «Seit die grossen Headsets im Jahr 2015 erschienen sind, liegt der Ball mehr auf der Seite des Contents», sagt Jonas Christen. Er befasst sich an der ZHdK stark mit den Inhalten für VR. Die Technik könne mittlerweile trotz ihrer laufenden Weiterentwicklung ein spannendes Erlebnis bieten. Nun gehe es eher darum, den richtigen Inhalt für die virtuelle Realität zu produzieren. Auch Stephanie Grubenmann hat sich als Forscherin mit ihnen befasst. Sie hat Erfahrung mit der komplexen Herstellung von computergenerierten VR-Welten. «Die Inhalte sollten auf verschiedenen Endgeräten angewendet werden können. Augmented Reality wäre deshalb optimaler.»
Virtual Reality, Augmented Realtiy und Mixed Reality
Tobias Matsch studiert Journalismus im Bachelorstudiengang Kommunikation am Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM. Diese Beiträge entstanden in der Werkstatt «Multimediales Storytelling» im fünften Semester. In dieser Werkstatt erarbeiten die Studierenden Beiträge für die Praxis, unter Bedingungen und in Abläufen, wie sie im Journalismus üblich sind.
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