Warum so grob, lieber Leser?
Weshalb beschimpfen und beleidigen Menschen andere ausgerechnet in Leserkommentaren so häufig? Und bei welchen politischen Themen geht es besonders heftig zu?
Der Umgangston in den Kommentarspalten von Newsportalen lässt einen manchmal sprachlos zurück. Warum wird gerade dort so heftig ausgeteilt, und zu welchen Zeitungsthemen findet man am meisten böse Kommentare? Der ZHAW-Absolvent Luca Passerini hat sich in seiner Bachelorarbeit «Hass im Netz – Eine Analyse von Online-Kommentaren zu News-Artikeln» im Studiengang Kommunikation am Departement Angewandte Linguistik mit diesen Fragen auseinandergesetzt und stiess auf überraschende Antworten.
Ausgangsthesen
Ursprünglich ging er von folgenden Hypothesen aus: Erstens, zu Zeitungsbeiträgen über Migration gibt es viel mehr Hasskommentare, als wenn es etwa um Gesundheitskosten, Klimawandel oder Altersvorsorge geht. Dies liegt, zweitens, vor allem daran, dass Leserinnen und Leser die Folgen der Migrationspolitik als besonders schwerwiegend einstufen.
Kriterien für Hate Speech
Für seine Studie zählt Passerini zur sogenannten Hate Speech nicht nur Kommentare, in denen Menschen ihrer Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung wegen diskriminiert werden – sondern auch Postings, in denen eine Person aufgrund individueller Merkmale beschimpft wird. Als Datengrundlage hat der 25-Jährige vergangenen Frühling drei Tage lang Zeitungsartikel und Leserkommentare zu aktuellen Politthemen in der Schweiz zusammengetragen.
Hasskommentare gegen Politiker
Die knapp 40 online publizierten Zeitungsbeiträge beziehungsweise mehr als 3300 Kommentare aus verschiedenen nationalen und regionalen Newsportalen förderten Erstaunliches zutage: So traf Passerini nicht etwa bei den Migrationsthemen am häufigsten auf Hasskommentare – sondern in der Kategorie «Politiker als Personen», zu der neben Interviews mit Politikern auch Artikel über neu besetzte politische Ämter gehörten. Wurde bei den Beiträgen über Migration und Asyl jeweils in einem von fünf Kommentaren wüst ausgeteilt, war es bei den Artikeln zu Politikern jedes vierte Posting. Die Aussagekraft des Ergebnisses wird jedoch etwas eingeschränkt dadurch, dass letztere Kategorie lediglich drei Beiträge beziehungsweise 70 Kommentare umfasste.
Kommentarschreiber befragt
Mit der zweiten Hypothese scheint Passerini dennoch richtig zu liegen: Wenn es um Migration geht, werden die Folgen politischer Entscheidungen als besonders gravierend betrachtet, wie eine anschliessende Befragung mehrerer Kommentarschreibender zeigte.
Leser wettern über Leser
Doch noch etwas überraschte den Kommunikationsfachmann, dessen Studie als beste Bachelorarbeit im Bereich Journalismus ausgezeichnet wurde: Zwar scheint das Thema ausschlaggebend dafür zu sein, wie häufig ein Zeitungsartikel ganz grundsätzlich kommentiert wird. Wie häufig es in Kommentaren aber zu Beschimpfungen, Beleidigungen oder gar Drohungen kommt, hängt vor allem von den Meinungen und Ansichten anderer Kommentarschreibender ab. Leser wettern also in erster Linie – übereinander.
Hate Speech (Hassrede) …
- … alle Ausdrucksformen, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von auf Intoleranz beruhendem Hass verbreiten, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen (Ministerkomitee des Europarats)
- … sprachlicher Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen […], insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen (Meibauer 2013)
- … Hassrede unterscheidet sich vom alltagssprachlichen Begriff der Beleidigung dadurch, dass Letztere dann gegeben ist, wenn jemand als Individuum verunglimpft oder herabgewürdigt wird, also nicht als Mitglied einer Gruppe oder über seine Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (Stefanowitsch, n.d.).
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