Weiterbildung bringt mehr als eine Imam-Ausbildung
Seit Jahren wird eine Ausbildung für Imame nach hiesigen Standards gefordert. Meistens dann, wenn es zu negativen Medienberichten kommt wie nach Auftritten sogenannter Hassprediger. Doch wie praktikabel und sinnvoll ist das? Und wäre das überhaupt rechtens?
Anders als christliche Geistliche können islamische Prediger sich nicht in der Schweiz ausbilden lassen. Dennoch wird seit Jahren immer wieder eine Ausbildung für Imame nach hiesigen Standards gefordert. Genauer gesagt: Meistens dann, wenn es zu negativen Medienberichten kommt wie nach Auftritten sogenannter Hassprediger. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall der An’Nur-Moschee in Winterthur, die als Treffpunkt radikaler Islamisten galt. Wäre eine staatliche Imam-Ausbildung ein zweckmässiger Ansatz, um extremistische Prediger und die von ihnen ausgehende Radikalisierung zu verhindern?
Zu viele Ausrichtungen und Sprachkreise
Das Bundesamt für Justiz und das Staatssekretariat für Migration beauftragten uns – ein Forschungsteam des Instituts für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe – damit, dies herauszufinden. Das Ergebnis unserer Studie in Kürze: Es wäre schlichtweg nicht möglich, hierzulande gute Ausbildungsgänge für Imame anzubieten. Die Nachfrage pro Ausbildungsgang wäre ganz einfach zu gering, weil es zu viele Ausrichtungen innerhalb des Islams gibt. Das sehen wir in Deutschland und Frankreich, wo es solche Angebote gibt. Dazu kommen die vielen verschiedenen Sprachkreise. Für alle etwas anzubieten, ist unmöglich.
Hassprediger sind meist Wanderprediger
Radikale Prediger sind zwar ein Problem. Aber weder sind ihre Auftritte repräsentativ für die Situation im ganzen Land, noch sind Moscheen grundsätzlich Horte der Radikalisierung. Die überwiegende Mehrheit der Imame in der Schweiz vertritt einen gemässigten Islam. In Bezug auf die Radikalisierung wird ihre Rolle jedoch überschätzt. Diese kann genauso gut anderswo stattfinden, zum Beispiel im Kampfsportzentrum, im Café und vor allem im Internet. Ausserdem handelte es sich bei Hasspredigern meistens um Wanderprediger, die in die Schweiz einreisen und sich hier nur für kurze Zeit aufhalten. Sie würden sowieso nicht unter eine solche Ausbildungspflicht fallen.
Wege zur Prävention
Eine Ausbildung ist also nicht die Lösung. Was unsere Untersuchung hingegen klar zeigte: Es mangelt in der Schweiz an muslimischen Betreuungspersonen im Allgemeinen, also etwa in der Seelsorge und anderen Bereichen der Sozialen Arbeit. Das ist insofern ein Problem, als sie hinsichtlich der Radikalisierungsgefahr eine wichtige Präventionsfunktion einnehmen können, gerade in der Jugendarbeit, in Spitälern und im Strafvollzug, aber auch durch Religions- oder Nachhilfeunterricht für Kinder, Integrationsförderung von Frauen und anderen Zielgruppen oder die Einrichtung demokratischer Strukturen und die Administration von Moscheevereinen. Anders als viele Imame sind sie gut integriert. Sie sind potenzielle Ansprech- und Schlüsselpersonen nachhaltiger Integration sowie institutioneller und gesellschaftlicher Öffnung und Weiterentwicklung.
Weiterbildungsangebote
Statt auf eine Imam-Ausbildung zu fokussieren, wäre es zielführender, wenn man die Weiterbildungsangebote für solche Betreuungspersonen ausbauen würde. An verschiedenen Orten in der Schweiz ist man daran, das zu tun. Seit 2017 gibt es den CAS «Religious Care im Migrationskontext» an der Universität Bern, seit 2018 den Weiterbildungslehrgang «Muslimische Seelsorge und Beratung im interreligiösen Kontext» an der Universität Fribourg und seit 2019 ein Weiterbildungsangebot für muslimische Betreuungspersonen im Kanton Zürich im Rahmen des Projekts «Zürich-Kompetenz». Hier ist man also auf gutem Weg.
Grundsätzlich wären Weiterbildungsangebote bezüglich Religions- und Gemeindepädagogik sowie gesellschaftsbezogene Kompetenzen wie Kenntnisse über Politik, Recht und Institutionen oder Medienarbeit denkbar, damit soziale und religiöse Begleitung in den westlichen Kontext übersetzt werden können. Neben Wissensvermittlung geht es in solchen Weiterbildungskursen um vertiefte Auseinandersetzung und Diskussion, welche gerade auch in gemischten Kursen mit Teilnehmenden anderer Glaubensrichtungen gewinnbringend sind.
Rechtliches Gegenargument
Es gibt aber nicht nur ein praktisches, sondern auch ein rechtliches Argument gegen eine Imam-Ausbildungspflicht nach Schweizer Standard: Der Bundesrat hat das Postulat mitunter deshalb abgelehnt, weil er es als verfassungswidrig einstufte. Unser Staat ist gemäss Verfassung zu religiöser Neutralität verpflichtet. Das heisst, er darf keine Massnahmen ergreifen oder Vorschriften machen, die eine spezifische Religionsgemeinschaft betreffen.
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