Wenn es ums Geld geht, hapert es mit dem Wissen
Auch im Land der Banken und Versicherungen verstehen manche Leute nur Bahnhof, wenn es um ihre Finanzen geht. Welche Risiken das birgt und wie sich das ändern lässt, zeigen die Forscherinnen der ZHAW Anita Sigg, Michaela Tanner und Marlies Whitehouse.
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen schon bei grundlegenden finanzbezogenen Aufgabenstellungen scheitern. Das zeigen drei Standardfragen, mit denen die «Financial Literacy» in der Bevölkerung gemessen wird. Die erste Frage erfasst das Verständnis von Zins, die zweite jenes von Teuerung und die dritte jenes von Risikostreuung (siehe Box). Sie gehen auf einen in den USA entwickelten Fragebogen zurück. Forschungsergebnisse aus westeuropäischen Ländern zeigen: Nur etwa jede zweite erwachsene Person ist in der Lage, alle drei Fragen richtig zu beantworten. In der Deutschschweiz zum Beispiel sind es laut einer Studie der Hochschule St. Gallen 50 Prozent, in Deutschland 53 Prozent, in den Niederlanden 45 Prozent. Zum Vergleich: In den USA kannten nur 30 Prozent die richtige Antwort auf alle drei Fragen. Hinzu kommt, dass die eigenen Kenntnisse überschätzt werden.
«Wer zu wenig weiss, kann in Finanzdingen nicht so entscheiden, wie es der eigenen Situation und den eigenen Zielen entspricht.»
Eine frühere Erhebung des Instituts Banking & Finance an der ZHAW förderte zutage, dass sich die 360 Befragten im Durchschnitt für viel schlauer hielten, als sie es tatsächlich waren. Insbesondere im Bereich der Altersvorsorge waren die Wissenslücken massiv. Viele der Befragten hätten zudem elementare Zusammenhänge zwischen dem Risiko, der Rendite und der Sicherheit von Finanzprodukten «nicht genügend verstanden».
Das berge Risiken, warnt Anita Sigg, Leiterin der Fachstelle für Personal Finance & Wealth Management an der ZHAW: «Wer zu wenig weiss, kann in Finanzdingen nicht so entscheiden, wie es der eigenen Situation und den eigenen Zielen entspricht», sagt Sigg. Das kann Auswirkungen auf die finanzielle Situation der eigene Person und der Familie haben. Man verliert zum Beispiel mit risikoreichen Anlagen vielleicht geborgtes Geld, leistet sich ein zu kostspieliges Haus und läuft mit Kreditkarten- und Kleinkrediten sowie Leasingraten in die Schuldenfalle. Oder man merkt erst nach der Pensionierung, dass kaum Geld zum Leben bleibt. «Gerade Frauen sind sich oft nicht bewusst, dass sie fürs Alter zu wenig abgedeckt sind, nicht zuletzt nach einer Scheidung», sagt Sigg.
Bildungsoffensiven und ihre Grenzen
Zudem wird in der Altersvorsorge zunehmend Entscheidungsspielraum vom Kollektiv aufs Individuum verlagert – und damit auch Risiko. Gerade auch in der Schweiz ist Wissen um Zusammenhänge gefragt, wenn die Stimmberechtigten demnächst wieder über Reformen der AHV und der beruflichen Vorsorge entscheiden können.
«Sind Informationen nicht auf die aktuelle Lebenssituation einer Person zugeschnitten, werden sie schlecht aufgenommen. Vor dem Alter 50 zum Beispiel ist das Interesse am Thema Vorsorge gering.»
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit ihren 38 Mitgliedstaaten ist denn auch bestrebt, die Financial Literacy zu verbessern. Die Förderung der Finanzkompetenz in der Bevölkerung befähigt diese, bessere Entscheidungen als Anleger oder Kreditnehmer zu fällen, steigert die Effizienz und Stabilität der Finanzmärkte und verschafft in vielen Teilen der Welt den Menschen überhaupt einen Zugang zu Bankdienstleistungen. Beitragen sollen dazu auch die Schulen. Die Schweiz hat einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld als Lernziel im Lehrplan 21 verankert.
Bildungsoffensiven und ihre Grenzen
Solche Bildungsoffensiven hätten allerdings ihre Grenzen, sagt Michaela Tanner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachstelle Personal Finance & Wealth Management. Die Forschung zeige, dass der Kontext eine wichtige Rolle spiele. Seien die Informationen nicht auf die aktuelle Lebenssituation einer Person zugeschnitten, würden sie schlecht aufgenommen: «Vor dem Alter 50 zum Beispiel ist das Interesse am Thema Vorsorge gering.»
Geldanlagen und Ethik
Das bedeutet: Gefordert ist auch die Finanzindustrie, indem sie situationsgerechte und gut verständliche Informationen bereitstellt. Eine Herausforderung stellt dabei die immer grösser werdende Vielfalt von Anlagemöglichkeiten dar. Derzeit gewinnt zum Beispiel der Trend zu nachhaltigen Anlagen stark an Breite. Die Abkürzung ESG steht für Anlagen, die mit besonderen Anforderungen in den Bereichen Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) aufwarten. Anlegerinnen und Anleger seien zusätzlich gefordert, sagt Michaela Tanner. Wer in ESG-Produkte investiere, müsse sich über die eigenen Werte und die beabsichtigte Wirkung Gedanken machen. Sollen Bildungsprojekte für Frauen gefördert werden? Oder eher neue Umwelttechnologien? Und nicht zuletzt: Wie lassen sich echt nachhaltige Produkte von bloss vordergründig auf Grün getrimmten Anlagen unterscheiden?
Transparente Beratung
Hinzu kommen finanztechnische Aspekte: «Vielleicht erzielt eine Anlage eine starke Nachhaltigkeitswirkung, ist aber weniger liquid.» Das heisst, ein Vorhaben dauert lange, das Geld bleibt über Jahre gebunden. Eine Bank könne punkten, wenn sie Investorinnen und Investoren präzise, transparente und gut verständliche Antworten liefere, ist Tanner überzeugt. Sie und Anita Sigg sind Teil eines Projektteams , welches sich mit diesem Thema auseinandersetzt.
«Manchmal verstand der Analyst aus der einen Abteilung nicht, was seine Kollegin aus der anderen Abteilung eigentlich genau hatte ausdrücken wollen.»
Banken produzieren zwar vielfältige Informationen für die Kundschaft, doch ein grosser Teil davon bleibt unverstanden. Das hat Marlies Whitehouse festgestellt, eine Spezialistin für Kommunikation im Finanzsektor. Die Germanistin, Anglistin, Japanologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZHAW-Departement Angewandte Linguistik untersuchte über mehrere Jahre, wie Banken ihre Kundschaft informieren, und fasst die Erkenntnisse nun in ihrer Dissertation zusammen. Frappierend war zum Beispiel das Resultat einer Erhebung, wie die Texte von regelmässig publizierten Marktinformationen beim Zielpublikum ankommen. Von rund 1800 Kundinnen und Kunden bemängelte die Mehrzahl, das Geschriebene sei schlecht oder gar nicht verständlich.
Fachausdrücke und Abkürzungen schrecken ab
Dieser Eindruck bestätigte sich, als Whitehouse die sprachliche Qualität der Empfehlungen von Analysten von Universal- und Kantonalbanken unter die Lupe nahm. Die Auswertung umfasst rund 2100 solche Berichte in Deutsch, Englisch und Japanisch. Zwar waren alle nötigen Informationen vorhanden, doch häufig verdarben Abkürzungen und problematische Fachausdrücke die Lektüre: «Da steigen beim Lesen viele Leute bald aus.» Und, gravierender: Oft war die Argumentation nicht schlüssig und deshalb nicht nachvollziehbar – selbst für Fachleute nicht. Diese Erfahrung machte Marlies Whitehouse in bankinternen Workshops: «Manchmal verstand der Analyst aus der einen Abteilung nicht, was seine Kollegin aus der anderen Abteilung eigentlich genau hatte ausdrücken wollen.»
Schreibcoaching für Finanzberatende
Das Problem ist keineswegs unlösbar, wie Schreibcoachings in verschiedenen Banken zeigten. Dabei erhielten die Analystinnen und Analysten konkrete Tipps, wie sie – trotz des stets grossen Zeitdrucks – ihre Texte verständlicher schreiben können. Im Abstand von drei und sechs Monaten überprüfte Whitehouse die Wirkung. Die Lesbarkeit war deutlich gestiegen. Ihr Fazit: «Es handelt sich also um einen lohnenden Ansatzpunkt, nicht zuletzt, weil man mit massgeschneiderten, verständlichen Informationen der Kundschaft in Zeiten wachsender Konkurrenz einen Mehrwert gegenüber oft zwielichtigen Gratisangeboten im Internet bieten kann.»
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