«Wir benötigen deutlich mehr Know-why statt nur Know-how»
Geht uns die Arbeit aus? Drei Mitglieder der ZHAW-Hochschulleitung über das Verhältnis Mensch und Maschine, smarte Helferlein und digitale Konkurrenz sowie neue Job-Profile und gefragte Kompetenzen der Zukunft.
Geht es bei Ihnen zu Hause auch zu wie in einem Science-Fiction-Film? Roboter saugen Staub, mähen Rasen, servieren Drinks. Der smarte Kühlschrank bestellt Nachschub ...
Dirk Wilhelm: Ich weiss zwar nicht, ob das Science Fiction ist (lacht): Wir haben einen Robo-Staubsauger, der taugt aber nichts. Aber der Rasenmäher ist super.
Reto Steiner: Smarte Helfer sind bei uns zu Hause viele im Einsatz: Alexa hört auf den Musikwunsch in der Küche, das elektrische Auto manövriert recht selbstständig durch die Strassen und in den Parkplatz, der Bewegungssensor meldet, wenn die Katze in ihrem Kistchen war, und der Rasenmäher schaut zum Rasen. All dies erleichtert den Alltag und – ich geb's zu – dient mir auch als Labor, um diese Technologien zu testen.
Wo erhoffen Sie sich persönlich in Zukunft Unterstützung durch smarte Helferlein?
Reto Steiner: Persönlich und für möglichst viele Menschen erhoffe ich mir, dass smarte Tools noch mehr Routineaufgaben übernehmen werden. Automatisierungen aller Art haben noch Luft nach oben. Ich wünsche mir, dass die künstliche Intelligenz Platz schafft für die Förderung der Kreativität des Menschen, sie aber möglichst nicht ersetzt.
Dirk Wilhelm: Wirklich cool wäre künstliche Intelligenz, die E-Mails automatisch sortiert, kategorisiert und am besten noch beantwortet. Aber das liegt wohl noch in weiter Ferne.
Frank Wittmann: Bei einem automatischen E-Mail-Schreibprogramm wäre ich ebenfalls mit dabei. Auch bei einem Ideengenerator, einem Bürokratie-Detektor oder einer Impulsgeberin zur emotionalen Regulation.
Wo sehen Sie den Bedarf für Wirtschaft und Gesellschaft?
Wilhelm: Im Bereich Banking and Finance wird sich viel tun hinsichtlich Automation. Systeme wie Libra, Facebooks Kryptowährung, sind für Banken eine Herausforderung. Kommen wird auch das autonome Fahren und vielleicht auch das autonome Fliegen, denn bei Sicherheitssystemen ist der Fortschritt enorm. Brauchte man früher drei Piloten bei Langstreckenflügen, wird man bald nur noch einen benötigen und irgendwann vielleicht keinen mehr.
Steiner: Gerade in der Förderung von Mitarbeitenden besteht grosses Potenzial, wie verschiedene Projekte zeigen. Es gibt bereits Software, die Wissen im Unternehmen identifiziert und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Spezialkenntnisse Projektteams zusammenstellt. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern kommt auch der Entwicklung einzelner Personen sehr entgegen. Trotz der Digitalisierung dürfen wir den Faktor Mensch nicht vernachlässigen.
«Welches Potenzial hat die Kryptowährung nicht nur für die Transformation des Finanzsystems, sondern auch für unser Verhältnis zu und unseren Umgang mit Geld?»
Wittmann: Wir stehen nach wie vor am Anfang der Entwicklung, und verständlicherweise stehen heute noch die technologischen Fragen im Vordergrund. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass die eigentlichen Herausforderungen im Bereich der gesellschaftlichen Auswirkungen von technologischer Veränderung liegen. Um das Beispiel Libra aufzunehmen: Welches Potenzial hat die Kryptowährung nicht nur für die Transformation des Finanzsystems, sondern auch für unser Verhältnis zu und unseren Umgang mit Geld? Erhalten dadurch mehr Menschen Zugang zu Geld? Entstehen dadurch neue globale Austauschprozesse? Welche ethischen Fragen stellen sich?
Auch in der Pflege werden Roboter eingesetzt wie die Robbe Paro oder der humanoide Roboter Pepper. Pepper kann Gefühle erkennen und darauf reagieren. Ist das problematisch, wenn Menschen an dieser Stelle vielleicht getäuscht werden?
Wilhelm: Auch ein menschlicher Betreuer könnte Gefühle vortäuschen. Und ins Verhalten von Haustieren wird auch viel hineininterpretiert. Entscheidend ist für mich die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten. Hier können Roboter einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie den menschlichen Betreuerinnen und Betreuern anstrengende, zermürbende Routinetätigkeiten abnehmen und sie so mehr Zeit für wahre menschliche Interaktion haben.
Steiner: Die Frage ist, wie man diese «Täuschung» der Roboter interpretiert: Sie wurden ja mit dem Ziel programmiert, das Leben der Nutzenden auf irgendeine Weise zu bereichern und zu erleichtern. Es ist also hoffentlich eine ernst gemeinte soziale Absicht dahinter. Ein Schwarz-Weiss-Denken hilft nicht weiter. Die Erfindung des Fernsehgeräts hat das Sozialleben der Menschen auch bereits verändert – mit Licht- und Schattenseiten. Ethisch problematisch würde es, wenn die künstliche Intelligenz die menschliche Interaktion vollständig ersetzte.
Wittmann : Angesichts der demografischen Entwicklung in der Schweiz stellt sich die ungemütliche Frage immer stärker, wie wir den steigenden Pflegebedarf zu decken gedenken. Ein Teil unserer Lösung wird in intelligenten Systemen liegen. Dieses Thema ist aber nicht nur in der Altenpflege virulent, sondern beispielsweise auch in der Kinder- und Jugendhilfe oder im Justizvollzug. Für viele Heime, Kliniken und Psychiatrien ist es bereits heute eine grosse Herausforderung, kompetentes Personal zu finden.
Wollen Kunden mit Robotern interagieren?
Steiner: Das tun sie schon, zum Beispiel mit Chatbots. Diese beantworten Kundinnen- und Kundenfragen bei Dienstleistungsunternehmen und sind bereits erstaunlich responsiv.
Wilhelm: Wir alle nutzen Geldautomaten oder Selfscanning-Kassen im Supermarkt. Bei Routineabläufen gibt es also eine grosse Bereitschaft zur Interaktion von Kunden mit Maschinen. Auch für eher intime Bereiche wie Körperhygiene oder Partnersuche gibt es viele Menschen, die sich lieber einer Maschine oder einem Softwareprogramm einer Partnervermittlung anvertrauen würden, als einem Menschen Einblick in ihre Privatsphäre zu gewähren.
Es gibt aber immer noch Teile der Bevölkerung, die nicht so selbstverständlich mit den digitalen Helfern umgehen. Und wenn die Entwicklungen so rasant weitergehen, verlieren wir selbst vielleicht auch einmal den Anschluss.
Wilhelm: Das ist garantiert so. Wenn ich da an meinen zwölfjährigen Sohn denke, so sucht er Lösungen für ein Problem immer gleich auf Youtube. Da findet man ja fast zu jedem Thema ein Video. Das machen alle so in seinem Alter. Während ich erst mal in Google, dann in Büchern suche. Als ich so alt war wie mein Sohn heute, da gab es das Internet noch nicht mal.
«Wir sind alle herausgefordert, dass durch unsere Gesellschaft keine digitale Kluft geht.»
Wittmann: Zuallererst sind die Schule und alle anderen Bildungsinstitutionen, aber natürlich auch Unternehmen und Stiftungen gefordert, die digitale Kompetenz zu fördern.
Steiner: Ja, wir sind alle herausgefordert, dass durch unsere Gesellschaft keine digitale Kluft geht. Hochschulen müssen deshalb den Bildungsauftrag des lebenslangen Lehrens und Lernens ernst nehmen. Zudem ist der intergenerationelle Dialog essenziell.
Wenn man die Entwicklung weiterdenkt: Werden Roboter einmal das Kommando übernehmen?
Wilhelm: Das glaube ich nicht.
«Roboter sind keine intelligenten Systeme und werden es auch nicht werden.»
Steiner : Ich hoffe es nicht – und das formuliere ich bewusst normativ. Wir dürfen vor lauter Euphorie die Risiken für unsere Gesellschaft nicht einfach beiseiteschieben. Die technologische Innovationsrate ist sehr hoch und die künstliche Intelligenz macht bedeutende Fortschritte. Langfristig besteht unter Umständen die Tendenz einer Konvergenz zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz.
Werden Roboter und Computerprogramme einmal intelligenter sein als wir?
Wilhelm: Roboter sind keine intelligenten Systeme und werden es auch nicht werden.
Dann ist «Künstliche Intelligenz» nur ein Schlagwort?
Wilhelm: Die KI-Forschung ist derzeit zwar wieder in aller Munde und macht, getrieben von den immer höheren Rechenleistungen, lernenden Algorithmen und neuronalen Netzen, immense Fortschritte. Die Experten sind sich aber sehr uneinig darin, ob überhaupt und wenn ja, wann, Roboter intelligenter als Menschen sein werden. Aber Intelligenz ist viel mehr als schnell rechnen und in nahezu Echtzeit das Internet nach allen möglichen Informationen absuchen zu können. Es gibt zwar keine Menschen, die Schachcomputer schlagen können. Computer haben auch die weltbesten Go-Spieler besiegt. Aber die Computer können dann eben nur Schach oder nur Go.
Was können wir Menschen heute noch besser als Maschinen?
Wilhelm: Das menschliche Gehirn kann ganz viele Bereiche abdecken. Vor allem kann ein Roboter nicht die menschliche Kreativität erreichen. Diese aber braucht es für Erfindungen oder in der Musik, der Kunst und vielen anderen Bereichen.
Wir brauchen also keine Angst vor Künstlicher Intelligenz zu haben?
Wilhelm: Man muss sich im Klaren sein, dass die Evolution Jahrmillionen gebraucht hat, um intelligentes Leben hervorzubringen. Die heutigen technischen Systeme befinden sich vielleicht auf dem Intelligenzlevel einer Spitzmaus, was schon immens ist, aber noch weit entfernt von dem, was Menschen zu leisten vermögen. Viele Menschen glauben zwar, dass allein schon die Ähnlichkeit humanoider Roboter mit uns ein Zeichen von Intelligenz ist.
Wo sehen Sie die Risiken dieser Entwicklungen?
Wilhelm: Die Risiken liegen wie bei allen technischen Entwicklungen darin, was der Mensch damit anstellt. Man kann KI dazu benutzen, dem Menschen zu helfen, indem zum Beispiel industrielle Prozesse sicherer gemacht und automatisiert werden. Man kann die Energienutzung effizienter machen, den Umweltschutz verbessern und den Klimawandel stoppen. Man kann KI aber auch in militärischen Drohnen, Waffensystemen und Spionagesoftware oder im sogenannten Cyberwar verwenden. Grundsätzlich sind dem keine Grenzen gesetzt.
Wittmann: Fragen der Verantwortung, der Ethik und des Datenschutzes sind von immenser Bedeutung für uns alle und besonders auch im Hinblick auf vulnerable gesellschaftliche Gruppen. Ich hoffe, dass es unserem Departement für Soziale Arbeit gelingen wird, eine Stimme im öffentlichen Diskurs einzunehmen und so auch Impulse für technologische Weiterentwicklungen zu geben.
Steiner: Den technologischen Fortschritt zu verbieten, funktioniert nicht und wäre meines Erachtens auch der falsche Ansatz. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass Technologien in der Geschichte der Menschheit immer wieder missbraucht wurden. Es braucht eine gewisse Regulation und insbesondere einen frühzeitigen Diskurs, wie wir mit künstlicher Intelligenz umgehen, die der menschlichen langfristig immer ähnlicher wird. Der Mensch kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Aber was ist, wenn die Maschine – durch Menschen gezielt programmiert – nur noch das Böse zulässt? An der School of Management and Law sind wir zur Behandlung solcher Themen gut aufgestellt, indem wir die zwei Disziplinen Managementlehre und Recht verknüpfen. Die ZHAW hat grosse Potenziale, wenn sie die Zusammenarbeit zwischen den natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen bewusst pflegt. Nur gemeinsam finden wir Antworten auf die drängenden Fragen der Menschen.
Laut OECD sind 700'000 Stellen mit einem «hohen Automatisierungsrisiko» behaftet. Welche Berufe werden künftig von Maschinen ausgeführt?
Wilhelm: Wenn man sich die Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in der Schweiz bzw. auch in den Nachbarländern in den vergangenen 200 Jahren anschaut, so ist eindeutig zu erkennen, dass rein physische Fähigkeiten wie Muskelkraft und Ausdauer, welche man in der Zeit der Landwirtschaft und der Massenproduktion noch benötigte, zunehmend in den Hintergrund rücken. Stattdessen nehmen Anforderungen an kognitive und kommunikative Kompetenzen immer mehr zu. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen.
Steiner: Es geht weniger um Berufe als um Jobprofile. Vor allem die Automatisierung von Routine- bzw. Repetitivaufgaben wird viele Stellenprofile bis 2030 nachhaltig verändern. Bessere und spezifischere Qualifikationen mindern zwar das Risiko, dass ein Grossteil des eigenen Aufgabengebiets wegfällt, sind aber dennoch kein Garant für eine gesicherte Stelle.
Geht uns irgendwann die Arbeit aus?
Wittmann: Wenn man die Frage so zuspitzt, dann lautet die Antwort vermutlich Nein. Für mich ist die Frage interessanter, welche neue Tätigkeitsfelder, Bedürfnisse und Umweltbedingungen entstehen und wie wir mit ihnen künftig umgehen.
Wilhelm: Vielleicht erinnern sich einige, als in den 80er Jahren der Begriff des Computer Integrated Manufacturing geprägt wurde. Da kam sehr schnell das Horrorszenario von der menschenleeren Fabrik auf. Heute können wir sagen, dass diese Befürchtungen nicht eingetreten sind. Im Gegenteil: Mit den wichtigen technologischen Entwicklungen ist die Beschäftigung in den Industrieländern sogar angestiegen.
Wird das auch in Zukunft so sein?
Wilhelm: Mit grosser Sicherheit kann man davon ausgehen, dass sich dies fortsetzen wird. Allerdings wird es eine deutliche Verschiebung geben. In der Produktionshalle der Zukunft wird der Mensch eben nicht mehr der Maschinenbediener sein, sondern er wird seine kognitiven Fähigkeiten einsetzen, um Prozesse zu steuern und um Verantwortung für grössere Zusammenhänge zu übernehmen, er wird Roboter anlernen und bei der Arbeit beaufsichtigen.
McKinsey erwartet, dass bis 2030 eine Million Stellen in der Schweiz wegfallen – gleichzeitig sollen dank des Technologieschubs 800'000 neuartige entstehen. Wo werden neue entstehen und welche Kompetenzen braucht es da?
Steiner: In so gut wie allen Branchen werden neue Berufsbilder entstehen. Es werden insbesondere erhöhte Kompetenzen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien gefordert sein. Wer in diesen Bereichen fit ist, hat gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird der Bedarf an reflexiven und analytischen Skills zunehmen. In Managementpositionen ist zudem ein hohes ethisches Bewusstsein gefordert, das in multirationalen Situationen ein verlässlicher Navigator ist. Wir benötigen deutlich mehr Know-why statt nur Know-how.
Kreativität und soziale Intelligenz, Problemsensitivität und Problemlösungsorientierung erhöhen die Berufschancen von Studienabgängerinnen und -abgängern.
Wilhelm: Es ist bereits heute absehbar, dass in der Zukunft Jobs gefragt sind, in denen ausgeprägte mathematische, technische und naturwissenschaftliche Kompetenzen vor allem im Dienstleistungs-, Produktions- und ICT-Bereich erforderlich sind. Auch im Bereich der Ausbildung, Gesundheit und Kommunikation werden neue Stellen entstehen. Generell kann man sagen, dass dort neue Stellen entstehen werden, wo Menschen aufgrund ihrer kognitiven und motorischen Fähigkeiten Vorteile gegenüber Maschinen haben. Das trifft aber nicht nur für Hochschulabgängerinnen und -abgänger zu, sondern auch für Personen mit einem tieferen Bildungsstand, wenn sie über besondere handwerkliche oder anderweitige motorische Fähigkeiten, gepaart mit sozialer Kompetenz, verfügen. Kreativität und soziale Intelligenz, Problemsensitivität und Problemlösungsorientierung erhöhen die Berufschancen von Studienabgängerinnen und -abgängern.
Wittmann: Ich unterschreibe diese Einschätzung und möchte noch die konzeptionellen Fähigkeiten hervorheben. Ich glaube allerdings, dass wir soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz ausdifferenzieren und konkretisieren sollten.
«Ich finde es faszinierend, zu sehen, dass sich unser Blick auf das menschlich Einzigartige und Wertvolle nun wieder schärft.»
Weshalb?
Wittmann: Viel zu häufig werden soziale Fähigkeiten immer noch als ein Sammelsurium an unterschiedlichen Nice-to-have-Skills betrachtet. Dabei handelt es sich bei der Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Kooperation, zum geschickten Navigieren in verschiedenen sozialen Settings und zum Selbstmanagement um ganz verschiedene Ressourcen. Auch wäre es wünschenswert, wenn wir eines Tages über allgemein anerkannte Kriterien für unterschiedliche Niveaus bei den Sozialkompetenzen verfügten.
Ist die Soziale Arbeit der Gewinner der Entwicklungen oder sehen Sie da auch bedrohte Tätigkeiten?
Wittmann: Der technologische Fortschritt verstärkt die Bedeutung der menschlichen Kernkompetenzen und dazu gehören auch soziale Fähigkeiten. Ich finde es faszinierend, zu sehen, dass sich unser Blick auf das menschlich Einzigartige und Wertvolle nun wieder schärft. Es ist gut für die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Soziale Arbeit im Besonderen, dass sich neue virulente Fragen stellen. Ich habe allerdings bei der Sozialen Arbeit nicht das Bild eines relativ sicheren Berufhafens im Kopf.
«Unternehmen sollten ihre Mitarbeitenden für Weiterbildung sensibilisieren und sie dabei unterstützen.»
Sondern?
Wittmann: Sondern dasjenige einer Profession und Disziplin, die nun die Gelegenheit erhält, Antworten auf neue Fragen zu entwickeln. Die brennenden Probleme unserer Zeit lassen sich nur kooperativ, transdiziplinär und interprofessionell lösen. Darin liegt eine einmalige Chance für uns. Dass allerdings manche Berufe – man denke nur an die Kassierinnen und Kassierer in Supermärkten und Warenhäusern – vermutlich verschwinden werden, stellt eine grosse Herausforderung für uns alle dar. Die Arbeitsintegration ist bereits heute mit der Tatsache konfrontiert, dass nicht alle Menschen im arbeitsfähigen Alter einen Platz im ersten Arbeitsmarkt finden, und sie bereitet sich intensiv auf die Situation vor, dass zukünftig ganz neue Berufsgruppen ihre Unterstützung brauchen werden.
Eine neue Studie der ETH hat gezeigt, dass es in den vergangenen Jahren nur bei den Gutausgebildeten ein Stellenwachstum gab. Bei den Übrigen sank die Beschäftigung, wobei die Abnahme bei den Mittelqualifizierten doppelt so hoch ausfiel wie bei den Geringqualifizierten. Hier gibt es also ein grosses Potenzial für die ZHAW, aus Berufsleuten mit mittlerer Qualifikation hochqualifizierte Arbeitnehmende zu machen.
Wilhelm: Das ist so. An der School of Engineering haben wir auch gezielte Weiterbildungen in Industrie 4.0, in Blockchain oder Data Science – also in diesen ganzen Bereichen, in denen die Fachleute sehr gesucht sind. Allerdings sind wir auch auf die Mitwirkung der Unternehmen angewiesen, welche Mitarbeitende verstärkt für die Weiterbildung sensibilisieren müssen. Und sie müssen ihre Mitarbeitenden auch beim lebenslangen Lernen unterstützen. Nur dadurch wird der Wandel erst möglich und nachhaltig und auch von der Gesellschaft insgesamt akzeptiert und getragen.
«Die Schweizer Hochschulen sind führend im Bereich Robotik und Automatisierung. Unternehmen wie Microsoft, Google und Facebook, aber auch Schweizer Firmen streiten sich um unsere besten Absolventen.»
Steiner: Hochschulausbildung wird wohl künftig eher noch anspruchsvoller werden und von den Studierenden hohen Einsatz und ein bewusstes Eintauchen in die Herausforderungen der Menschheit und die Schaffung von Lösungen für die entdeckten Probleme einfordern. Akademisierung ist für mich deshalb kein Schimpfwort, sondern eine Denkhaltung, die von den Studierenden erwartet wird. Denn akademisches Denken schafft die Grundlage für die Lösung gesellschaftlicher Probleme, und an diesem Beitrag werden wir als Hochschule für angewandte Wissenschaften gemessen.
Ist die Forschung und Bildung in der Schweiz und insbesondere an der ZHAW gut aufgestellt in den Bereichen der Robotik und Automation sowie im Bereich Interaktion Mensch–Maschine?
Wilhelm: Die Schweizer Hochschulen sind führend im Bereich Robotik und Automatisierung. Internationale Unternehmen wie Microsoft, Google und Facebook, aber auch Schweizer Firmen streiten sich mittlerweile um unsere besten Absolventinnen und Absolventen. An der School of Engineering beschäftigen wir uns schon seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Mensch-Roboter-Kollaboration und seit rund fünf Jahren mit den Themen Industrie 4.0 und Digitalisierung. Unser Engagement in nationalen und internationalen Forschungsprojekten hat zu wichtigen Entwicklungen geführt. Das weltweit erste industriell einsetzbare Exoskelett Robo-Mate wurde in einem von der ZHAW koordinierten EU-Projekt entwickelt und wird jetzt von einem Startup-Unternehmen vermarktet und weiterentwickelt. Unsere Industrie-4.0-Lernfabrik ist einzigartig in der Schweiz und wird zurzeit in mehreren nationalen und internationalen Projekten mit Industrieunternehmen für Forschung und Entwicklung genutzt. Auch unsere Weiterbildung ist mit dem CAS Industrie 4.0 bestens aufgestellt.
«Studierende können Lehrbücher auch zu Hause lesen, bei uns sollen die Studierenden dabei sein, wenn neue Horizonte entdeckt werden.»
Steiner: Wir forschen zum Beispiel am digitalen Wandel in der Verwaltung und in der Bankenwelt – Stichwort: FinTech –, an der digitalen Transformation in Kunst und Kultur sowie im Bereich Digital Health. Dank der digitalen Transformation entstehen neue Unternehmen, die Produkte und Leistungen anbieten, an welche man bislang noch gar nicht gedacht hat. So hat Airbnb das Konzept des Hotelzimmers komplett neu interpretiert. Der Wandel in der Wirtschaft verändert Strukturen, Prozesse und Arbeitsbeziehungen. Als Kompetenzzentrum für Wirtschaft und Recht richtet die School of Management and Law ihre Lehre darauf aus, Agilität und Flexibilität in allen diesen Bereichen zu diskutieren und künftige Fach- und Führungspersönlichkeiten möglichst optimal auf diese Veränderungsprozesse vorzubereiten.
«Wir möchten uns künftig noch viel stärker mit den sozialen Implikationen von technologischen Transformationen beschäftigen.»
Wittmann: Wir möchten uns künftig noch viel stärker mit den sozialen Implikationen von technologischen Transformationen beschäftigen. Hier bestehen grosse Zusammenarbeitsmöglichkeiten innerhalb der ZHAW, gerade zwischen unseren drei Departementen. In unserem neuen «CAS Culture Change – Mindset für neue Arbeitswelten» gehen wir ansatzweise in diese Richtung. Die ZHAW-Departemente Soziale Arbeit und School of Management and Law und das Departement Design der Zürcher Hochschule der Künste kooperieren hier ganz eng.
Wenn es künftig Berufe geben wird, die wir heute noch nicht kennen, wie richten Ihre Departemente ihre Bildungsangebote aus?
Wilhelm: Zunächst einmal muss man sagen, dass die ZHAW in allen Departementen grossen Wert legt auf eine gute Grundlagenausbildung. Diese ist auch in künftigen, neuen Berufen immer das beste Fundament. Die physikalischen Gesetze werden sich nicht ändern, genauso wenig wie mathematische und ingenieurwissenschaftliche Grundlagen. Neu hinzukommen werden aber Fähigkeiten, diese Grundlagen verstärkt fächerübergreifend in komplexen technischen Systemen anzuwenden und nicht nur spezialisiert, sondern vor allem auch vernetzt denken zu können. Unseren Absolventen kognitive Kompetenz zusammen mit Fachwissen und kreativer sozialer Kompetenz mitzugeben, wird die Herausforderung der Zukunft für die Fachhochschulen und andere Bildungseinrichtungen sein. Wir arbeiten daran unter anderem mit praxisorientiertem, gleichzeitig aber wissenschaftlich fundiertem Unterricht, neuen Lernmethoden und Digitalisierung. Das lebenslange Lernen durch unsere Weiterbildungen ist die zweite zentrale Säule unserer Ausbildung.
«Bereits heute lässt sich beobachten, dass Weiterbildungsteilnehmende an spezifischen Skill-Kombinationen interessiert sind, die sich nicht an disziplinären Grenzen orientieren.»
Wittmann: Wenn man den Gedanken des lebenslangen Lernens konsequent zu Ende denkt, kommt man zur Einsicht, dass für die Aneignung und Vertiefung von fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen eine hohe thematische und auch disziplinäre Durchlässigkeit gefragt sein wird. Bereits heute lässt sich beobachten, dass zum Beispiel Weiterbildungsteilnehmende an spezifischen Skill-Kombinationen interessiert sind, die sich nicht an disziplinären Grenzen orientieren. Auch die ZHAW in ihrer aktuellen Organisationsform wird von der grossen Transformation erfasst.
Steiner: Wir setzen uns mit der Zukunft auseinander und überarbeiten unsere Studiengänge und Weiterbildungsangebote laufend. Der «MAS in Business Innovation Engineering for Financial Services» ist ein gutes Beispiel dafür. Dabei berücksichtigen wir sowohl die curricularen Inhalte, die eingesetzte Didaktik als auch den Einsatz von Technologien zur Optimierung des Lehrprozesses. Zudem soll unsere Lehre durchwegs forschungsbasiert sein. Studierende können Lehrbücher auch zu Hause lesen, bei uns sollen die Studierenden dabei sein, wenn neue Horizonte entdeckt werden.
Was passiert mit den Verlierern?
Wittmann: Es gehört zu meiner Grundhaltung, den Fokus bei Transformationsprozessen auf die sich bietenden Chancen zu richten. Ich bin überzeugt davon, dass wir über die Möglichkeiten verfügen, Lösungen für die sich ergebenden Herausforderungen zu finden. Hinsichtlich der kurzfristigen Verlierer der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt braucht es die Einsicht, dass wir alle einen Preis für zunehmende Ungleichheit zahlen. Anstatt betroffene Menschen und Gruppen alleine zu lassen, ist es gesamtgesellschaftlich sinnvoller, die soziale Innovation und Kohäsion zu fördern.
Braucht es einen neuen Arbeitsbegriff, neue Identifikationsmöglichkeiten für Menschen, wenn Maschinen unsere Arbeit immer mehr übernehmen?
Wilhelm: Ich denke das ist mehr ein kulturelles Problem, vielleicht auch eine Generationenfrage: Wenn ich unsere Studierenden anschaue, da sind typische Karrierewege nicht mehr so gefragt.
«Ich bin überzeugt, der Mensch arbeitet grundsätzlich gerne und hat dies in seiner DNA. Der Sinn der Arbeit ist die notwendige Energiezufuhr!»
Steiner: Wenn wir unser Handeln und damit auch unsere Arbeit rein utilitaristisch verstehen, ganz nach dem Motto: «Hauptsache, es nützt», dann kann dies tatsächlich zu einer Identifikationskrise führen. Ich glaube, dem Sinn von Arbeit muss vermehrt eine zentrale Rolle zukommen. Geld und Lohn sowie Auftragserfüllung sind zentrale Treiber in der Arbeitswelt und das ist auch nicht einfach schlecht. Ein Zug muss das Ziel erreichen und Passagiere von A nach B transportieren. Die Lokomotive benötigt für diese utilitaristische Zielerfüllung aber eine Energiezufuhr. Genauso verhält es sich mit der Arbeit des Menschen. Ich bin überzeugt, der Mensch arbeitet grundsätzlich gerne und hat dies in seiner DNA. Der Sinn der Arbeit ist die notwendige Energiezufuhr! Wir müssen diesen thematisieren.
«Der Begriff der «Work-Life-Balance» wird verschwinden, denn Work und Life gehören in der Arbeitswelt 4.0 untrennbar zusammen.»
Wittmann: Auf absehbare Zeit wird es so bleiben, dass Arbeit eines von mehreren sinnstiftenden Elementen ist. Individuen konstruieren Sinn durch individuelle Kombinationen von Überzeugungen, Tätigkeiten und Lebensformen. Neue berufliche Handlungsfelder inklusive Mensch-Maschine-Interaktionen und altbewährte Betätigungsfelder wie ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Engagements werden in diese Kombinationsmuster eingewoben.
Welche Kompetenzen und Modelle müssen Organisationen künftig entwickeln, um den Arbeitsplatz der Zukunft produktiv, motivierend und gesund zu gestalten?
Steiner: Zum Beispiel das Modell des flexiblen Arbeitsplatzes oder die Schaffung neuer Anreizsysteme – individuelle Boni sind sehr hinderlich in der Zusammenarbeit. Der Begriff der «Work-Life-Balance» wird ausserdem verschwinden, denn Work und Life gehören in der Arbeitswelt 4.0 untrennbar zusammen. Vielmehr sollte sich die Arbeit individuell in Richtung Work-Life-Fit gestalten.
Wittmann: Organisationen mit einer hohen Sinnorientierung, einer effektiven Personalentwicklung sowie einer kollaborativen und partizipativen Kultur ziehen gute Mitarbeitende an und vermögen sie an sich zu binden. Sie verfügen über eine gute Grundlage, erfolgreich zu sein.
Im Science-Fiction-Film endet die Interaktion von Maschinen und Menschen meist in der Katastrophe. Und in der Realität – wird es ein Happy End geben?
Wilhelm: Ich habe null Angst vor intelligenten Robotern. Ich weiss auch nicht, ob es überhaupt ein Ende gibt. Das ist wohl nur im Film so.
Steiner: Die Eisenbahn wurde auch einst verteufelt. Die Angst vor neuer Technik ist so alt wie die Menschheit – Fortschritts-Skeptiker bedeuten aber nicht das Ende. Heute profitieren wir von Errungenschaften wie der Eisenbahn. Wir dürfen aber auch nicht blind alles als Fortschritt bejubeln. Es braucht ein differenziertes Einbetten der Technologien in unsere Gesellschaft.
Wittmann: Doch, ein Ende wird es schon geben. Aber wir werden es nicht miterleben (lacht).
Roboter am Bankschalter und neue Technologien für Drohnenpiloten
Wie viel Maschine, wie viel Mensch soll es in Zukunft sein? Zum Beispiel im Kundenverkehr mit der Bank oder beim Steuern von Drohnen? Im Rahmen des Städtefestivals «Zürich meets Seoul» treffen Forschende der School of Engineering und der School of Management and Law der ZHAW auf Expertinnen und Experten aus Korea, wo die Digitalisierung weit fortgeschritten ist.
ZHAW mit vier Projekten am Städtefestival «Zürich meets Seoul»
Vom 28. September bis zum 5. Oktober 2019 findet das Festival «Zürich meets Seoul» statt. Zürcher und Seouler Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur kommen zusammen, um den Austausch zwischen den beiden Metropolen auszubauen. Seine Hightech-Industrie, sein rasantes Wirtschaftswachstum sowie eine Bevölkerung, die Bildung hoch gewichtet, machen Südkorea und die Metropole Seoul für schweizerische Institutionen zu einem attraktiven Partner. Wie die ETH, die Universität Zürich (UZH) und die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK ist die ZHAW am Städtefestival präsent, mit vier innovativen Projekten: Das IAM Medialab entwickelt ein Virtual Reality Game, das Frauen in die Gestaltung von Smart Cities weltweit einbinden soll. Das Coffee Excellence Center der ZHAW veranstaltet ein binationales Coffee Festival, während Forschende der School of Engineering und der School of Management and Law zusammen mit koreanischen ExpertInnen die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine im Kundenverkehr mit der Bank oder beim Steuern von Drohnen erforschen. Der Austausch zwischen schweizerischer und koreanischer Perspektive steht auch im Zentrum des Events zu Modern Public Accounting der Forschenden der School of Management and Law.
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