Wird Wasserstoff das neue Erdgas?

06.12.2022
4/2022

Alternative Brennstoffe wie Wasserstoff und Ammoniak könnten dabei helfen, Stromlücken zu schliessen. Wie das funktionieren kann, erforscht Mirko Bothien am Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering. 

In der Gemeinde Birr im Kanton Aargau soll ein Notkraftwerk, bestehend aus acht mobilen Gasturbinen des Herstellers General Electric (GE), bei einer drohenden Stromlücke im Winter 250 Megawatt Strom produzieren können. Damit soll die Stromversorgung im Land für den Ernstfall gesichert werden. Die Turbinen können mit Gas und Öl betrieben werden, informiert ein Beitrag kürzlich in der «Aargauer Zeitung».

Wie Gasturbinen künftig eine noch wichtigere Rolle für die Stabilität des Stromnetzes einnehmen sollen, erforscht Mirko Bothien, Leiter der Forschungsgruppe Dezentrale Thermische Energiesysteme am Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering (IEFE) an der ZHAW School of Engineering. Dabei sind die Gasturbinen jedoch nicht als primärer Stromerzeuger geplant, sondern eher als Gehilfen, um kurzzeitige Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Ausserdem sollen diese Gasturbinen mit CO₂-neutralem, also grünem Wasserstoff (siehe Box am Ende des Textes) oder Ammoniak betrieben werden. «Wir werden durch den grossflächigen Ausbau von erneuerbaren Energiesystemen künftig vermehrt saisonale Fluktuationen bei der Stromproduktion haben», erklärt Bothien.

Die Probleme mit dem Wasserstoff

Durch den massiven Ausbau von Solarenergie wird während der sonnenreichen Monate ein Überangebot an Strom produziert. Diesem Überangebot steht eine Stromlücke im Winter, wenn die Sonne weniger scheint, gegenüber. Zwar lässt sich durch Batterien eine gewisse Menge an Strom speichern, «doch Batteriespeicher sind eher für kurzfristige und kleinere Energieleistungen einsetzbar», erklärt Bothien. «Grössere und langfristige Energiemengen lassen sich am besten chemisch speichern, etwa in Form von Wasserstoff.» Die Idee der Forschenden wie Mirko Bothien besteht nun darin, mit dem überschüssigen Strom aus den Sommermonaten Wasserstoff zu generieren, der dann als Brennstoff für Gasturbinen genutzt werden kann. Der dadurch grün erzeugte Strom ist verfügbar, wenn er benötigt wird, und soll somit die Energielücken im Winter füllen.  

«Da Wasserstoff viel reaktiver als Erdgas ist, könnte es beim Verbrennungsvorgang im schlimmsten Fall zu einem Flammenrückschlag kommen und der Brenner zerstört werden.»

Mirko Bothien, Leiter der Forschungsgruppe Dezentrale Thermische Energiesysteme

Doch genau in dem Bereich, bei der Verbrennung von Wasserstoff in einer Gasturbine, gibt es gleich mehrere Probleme zu lösen. Zunächst einmal müsste die Brennkammer einer Gasturbine für die Wasserstoffverbrennung anders konstruiert werden. «Da Wasserstoff viel reaktiver als Erdgas ist, könnte es beim Verbrennungsvorgang im schlimmsten Fall zu einem Flammenrückschlag kommen und der Brenner zerstört werden», beschreibt Bothien die Problematik. Zudem steigen durch die Verbrennung von Wasserstoff die Stickoxid-Emissionen an, diese aber sind extrem gesundheitsschädlich und entsprechend niedrig liegen die Grenzwerte für deren Ausstoss – der Stickoxid-Ausstoss müsste also gesenkt werden.

Schallwellen könnten die Brennkammer zerstören

Dazu kommt ein drittes Problem, womit gleichzeitig Mirko Bothiens Fachgebiet beschrieben ist, nämlich die Verbrennungsdynamik, auch Thermoakustik genannt. Da durch den turbulenten Verbrennungsvorgang Schallwellen entstehen, die durch die Brennkammerwand reflektiert werden und somit erneut gegen Schallwellen stossen, können sich die akustischen Wellen so stark verstärken, dass sich grosser Druck aufbauen kann. «Diese aus diesem Teufelskreis entstehenden Druckschwankungen können so hoch werden, dass dadurch die Brennkammer zerstört werden kann», beschreibt Mirko Bothien den Vorgang. «Das ist ein riesiges Problem. Nicht nur bei Turbinen, sondern auch bei Raketen, Flugzeugtriebwerken und sogar in privaten Haushaltsboilern. Überall dort, wo eine Flamme in einem Raum brennt», betont Bothien.

Bisher gibt es zur Thermoakustik von mageren Wasserstoffflammen jedoch noch viel zu lernen, da sich die aktuelle Forschung erst seit relativ kurzer Zeit damit beschäftigt. «Man weiss auf jeden Fall, dass bei der Verbrennung von Wasserstoff die Flamme instabil wird. Klar ist auch, dass die Methodik, stabile Brenner für Wasserstoff zu entwickeln, gegenüber jener von Erdgasbrennern angepasst werden muss», fasst Bothien zusammen.

Schwierigkeiten beim Transport

Bei der Lösung der Probleme, die bislang noch bei der Verbrennung von Wasserstoff bestehen, zeigt sich Mirko Bothien optimistisch. Die grössere Problematik, die sich für den ZHAW-Forscher bei der Stromgewinnung durch Wasserstoff ergibt, ist die Frage nach der Herstellung und Verteilung des Energieträgers. «Wir brauchen künftig enorme Mengen an Wasserstoff, wenn wir grosse Kraftwerke damit betreiben wollen», gibt Bothien zu bedenken. Derzeit laufen zwar mehrere Projekte in Spanien, Saudi-Arabien und in anderen südlichen Ländern, bei denen mit riesigen Solarfarmen Wasserstoff hergestellt und als neues Erdgas exportiert werden soll. Doch bis von dort relevante Mengen transportiert werden können, wird noch viel Zeit vergehen. Denn gerade der Transport ist bislang noch recht komplex. Da Wasserstoff extrem flüchtig ist, eignet er sich nicht für die Verteilung in bestehenden Pipelines, sondern muss in Tanks verschifft oder via Lkw transportiert werden. Möglich ist hier aber die Umwandlung in ein anderes Trägermedium wie etwa Methanol oder Ammoniak – womit der Transport vereinfacht würde. 

«Da Ammoniak zu schlecht brennt, Wasserstoff jedoch zu gut, untersuchen wir, ob man nicht auch eine Mischung aus den beiden verbrennen kann.»

Mirko Bothien, Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering

Mirko Bothien sieht daher für die Schweiz eine dezentrale Herstellung von Wasserkraft durch Sonnen- und Windenergie direkt in kleineren Kraftwerken und Industrieanlagen als zunächst realisierbares Szenario. Überschüssiger Strom würde dann direkt vor Ort als Wasserstoff gespeichert und bei Bedarf mithilfe einer Gasturbine wieder ins Stromnetz eingespeist werden. Wie schnell diese Form der Energiespeicherung und Erzeugung eine relevante Rolle in der Energieversorgung einnimmt, ist aber nicht nur vom Erfolg der Forschung abhängig: «Am Ende ist es wie immer auch eine Frage des Geldes. Innerhalb der nächsten zehn Jahre geht man aber davon aus, dass aus Solar- oder Windenergie hergestellter grüner Wasserstoff preislich mit Erdgas konkurrieren kann», ergänzt Bothien.

Vorteile von Ammoniak nutzen

Der andere Energieträger, der für die Speicherung und Wiederzuführung von Strom genutzt werden kann, ist das giftige Gas Ammoniak. An dessen Nutzung als Stromerzeuger forscht Mirko Bothien ebenfalls: «Hier haben wir aber die zum Wasserstoff gegenteilige Problematik: Ammoniak verbrennt nur sehr schwer», erklärt Bothien. Auch die Verbrennungsdynamik ist bei Ammoniak noch kaum erforscht. Ausserdem entsteht bei der Verbrennung des aus Stickstoff und Wasserstoff bestehenden Gases zusätzlich Stickoxid aus brennstoffgebundenem Stickstoff, und damit resultiert ein erhöhter Schadstoffausstoss – «genau das, was man bei der Verbrennung nicht haben möchte», fügt Bothien an. Ammoniak ist ausserdem giftig, was bei einem Tankleck zusätzliche Gefahren birgt. Ein Vorteil, den Ammoniak jedoch bietet, ist dessen weltweiter Einsatz als Düngemittel. Die benötigte Verteilungsinfrastruktur besteht bereits. 

Drei Projekte zu Wasserstoff

So ergeben sich sowohl bei Ammoniak als auch bei Wasserstoff bei ihrer Verwendung als Speichermedien für Strom Vor- und Nachteile. Eine Lösung dabei könnte eine Mischung aus beidem sein. «Da Ammoniak zu schlecht brennt, Wasserstoff jedoch zu gut, untersuchen wir, ob man nicht auch eine Mischung aus den beiden verbrennen kann», erklärt Mirko Bothien. Da der Transport von Ammoniak zudem leichter zu realisieren ist als der von Wasserstoff, könnte ein Teil des Ammoniaks direkt am Kraftwerk in Wasserstoff umgewandelt werden. Untersucht wird das in dem im Frühjahr startenden Projekt «ADONIS» (Ammonia-Hydrogen Combustion in Micro Gas Turbines), bei dem die Eigenschaften unterschiedlicher Mischungsverhältnisse von Ammoniak-Wasserstoff analysiert werden sollen. «Ziel ist es, am Ende die Nachteile beider Gase auszugleichen», fasst es Bothien zusammen. Bei zwei weiteren Projekten (ein EU- sowie ein durch das Bundesamt für Energie finanziertes Projekt) sollen ausserdem Gasturbinen-Brenner speziell für die Wasserstoffnutzung entwickelt werden. 

Ein Baustein von vielen

Für Mirko Bothien, der vor seiner Arbeit an der ZHAW als Forscher bei Energieunternehmen wie Alstom Power und Ansaldo Energia tätig war, ist die chemische Speicherung von Energie jedoch nur einer von mehreren Bausteinen, die für eine sichere und saubere Energieversorgung zu erforschen sind. «Wir müssen daneben auch viele andere Aspekte anschauen. Zum Beispiel, inwiefern Stromnetze für diese Art von Energieerzeugung konstruiert sein müssen und welche Speichermöglichkeiten es noch gibt, etwa Batterien und thermische Speicher.» Für Mirko Bothien gibt es nicht «den heiligen Gral», mit dem die Energiewende gelingt. «Daher bin ich froh, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen hier am IEFE an unterschiedlichen Lösungen arbeiten kann, die dabei helfen, unsere Energieversorgung CO₂-neutral zu gestalten », sagt Mirko Bothien.

Grüner oder grauer Wasserstoff?

Wasserstoff kann durch unterschiedliche Verfahren und Rohstoffe gewonnen werden, daher wird Wasserstoff nach Farben eingeteilt. Wasserstoff, der für die Speicherung von überschüssigem Strom genutzt werden kann, wird durch die sogenannte Elektrolyse von Wasser hergestellt. Mithilfe von Strom wird hierbei aus Wasser Wasserstoff und Sauerstoff. Von grünem Wasserstoff spricht man dann, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen kommt. Neben grünem gibt es unter anderem auch grauen Wasserstoff, der mit Hilfe von Erdgas, Kohle oder Erdöl hergestellt wird und bei dessen Produktion daher CO₂ ausgestossen wird. Der blaue Wasserstoff unterscheidet sich davon, dass das ausgestossene CO₂ gespeichert oder industriell weiterverarbeitet wird. «Noch ist grauer Wasserstoff der meistgebräuchliche und billigste Wasserstoff, für die Zukunft jedoch soll dieser durch grünen Wasserstoff abgelöst werden», erklärt ZHAW-Forscher Mirko Bothien.

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