Wo Obdachlose trotz Corona-Pandemie Hilfe bekommen
Flurin Müller macht seine Praxisausbildung im Treffpunkt City in Zürich. Der ZHAW-Student in Sozialer Arbeit erzählt, wie sozial beeinträchtigte Menschen in Zeiten des Lockdowns unterstützt wurden und wie sich seine Aufgabe veränderte.
Als ich meine Praxisausbildung am 1. März im Treffpunkt City angefangen habe, kam uns das Coronavirus noch als etwas vor, das weit weg stattfindet. Doch schon gut zwei Wochen später wurde der Lockdown auch in der Schweiz verhängt. Der Bundesrat forderte die Menschen auf, zu Hause zu bleiben – aber wie macht man das, wenn man kein festes Obdach hat? Solche Menschen bekommen bei uns Überlebenshilfe.
Das ist eine unserer Dienstleistungen. Ausserdem können normalerweise Erwachsene aus der Stadt Zürich, die soziale oder psychische Schwierigkeiten haben oder suchtmittelabhängig sind, bei uns ihren Lebensunterhalt aufbessern mit sogenannten Jobkarten. Das ist ein Integrationsprogramm, das auch in einigen anderen Betrieben der Stadt wie dem Joblade und dem Sprungbrett/Palettino angeboten wird. Maximal 300 Franken pro Monat können sie auf diese Weise dazuverdienen. Pro Tag bieten wir 12 bis 15 solcher «Jöblis» an. Unsere Klientinnen und Klienten übernehmen zum Beispiel das Kochen oder helfen bei Reinigungsarbeiten. In unserem Garten erledigen sie Aufräumarbeiten oder gehen in der näheren Umgebung «fötzelen». Dafür erhalten sie sechs Franken pro Stunde. Wegen der Corona-Krise sind die Jobkarten jedoch komplett weggefallen.
Zuerst Fieber messen
Seither stand der Treffpunkt City ausschliesslich obdachlosen Menschen offen. Wir konnten ihnen nur Leistungen der Überlebenshilfe anbieten, die es auch schon vorher gab. Das heisst, man bekam bei uns weiterhin jeden Tag am Mittag gratis eine Suppe sowie alkoholfreie Getränke. An kälteren Tagen konnte man sich tagsüber drinnen aufwärmen. Es gibt bei uns eine Dusche und eine Waschmaschine, die Leute können Zeitungen lesen, spielen, sich unterhalten, fernsehen und einen Computer mit Internetzugang nutzen. Ausserdem bieten wir durch das Fachteam Beratung für jene Klientinnen und Klienten, die den Treffpunkt im Moment nicht nutzen können, weiterhin niederschwellige Beratungsmöglichkeiten an, zurzeit telefonisch.
Das Kochen und das Putzen übernahmen die städtische Arbeitsintegration und das Personal. Insgesamt sind sieben Sozialarbeitende für den Treffpunkt City angestellt. Gleichzeitig vor Ort sind sonst drei bis vier, derzeit sind wir höchstens zu zweit. Wir müssen uns streng an die Massnahmen zum Schutz vor Covid-19 halten. Die Mitarbeitenden tragen Masken. Es hat Desinfektionsmittel, und wir erinnern alle daran, sich die Hände zu waschen und zwei Meter Mindestabstand einzuhalten. Bei allen messen wir zuerst die Körpertemperatur. Wer über 38 Grad hat, darf nicht ins Haus kommen. Wir empfehlen dann, einen Arzt zu kontaktieren.
«Der Bundesrat forderte die Menschen auf, zu Hause zu bleiben – aber wie macht man das, wenn man kein festes Obdach hat?»
Telefonisch in Kontakt bleiben
Derzeit können 80 Prozent unserer Klienten nicht mehr in den Treffpunkt City kommen. Vielen bricht dadurch die Tagesstruktur weg. Für uns stellt sich die Herausforderung, wie wir trotzdem mit den Menschen in Kontakt bleiben und die wichtige Beziehungsarbeit fortführen können. Ungefähr einmal pro Woche rufen wir unsere Stammklientel an, die wir sonst täglich sehen. Viele rufen uns auch von sich aus an.
Essen und Beratungen bekommen Obdachlose aus der Stadt Zürich auch weiterhin bei anderen Organisationen wie etwa dem Café Yucca, aber einige Angebote, unter anderem wo sie duschen oder waschen können, waren mit dem Lockdown geschlossen worden.
Viele unserer Klientinnen und Klienten haben Vorerkrankungen und gehören zur Risikogruppe. Oftmals haben sie keinen guten allgemeinen gesundheitlichen Zustand. Sie haben Respekt vor der Krankheit, und es kursieren auch immer wieder Verschwörungstheorien – so wie in der restlichen Bevölkerung auch.
Es sind natürlich besondere Umstände, unter denen ich meine siebenmonatige Praxisausbildung mache. Sie ist ein wichtiger Bestandteil meines Bachelorstudiums. Neben der Arbeit im Treffpunkt gehören ein Vertiefungsmodul, ein Seminar und eine Supervision dazu. Das lässt sich gut organisieren, mit dem vermehrten Online-Unterricht sowieso. Aber den ganzen Tag eine Maske tragen zu müssen, immer Abstand zu halten und Nähe übers Telefon herzustellen, das alles vereinfacht die Arbeit nicht gerade. Allerdings lerne ich dadurch etwas, das ich sonst nicht so schnell gelernt hätte.
Obdach und Essen trotz Corona-Krise
Der Geschäftsbereich Schutz und Prävention der Sozialen Einrichtungen und Betriebe der Stadt Zürich führt drei Treffpunkte, in denen randständige Menschen aus der Stadt Zürich die Möglichkeit bekommen, sich zu stabilisieren und ihren Alltag zu strukturieren. Das mobile Angebot «Ein Bus» betreibt nach wie vor aufsuchende Sozialarbeit, und der Treffpunkt City im Zürcher Seefeld ist weiterhin geöffnet. Der Treffpunkt t-alk in Zürich-Enge ist vorübergehend geschlossen. Die Notschlafstelle und die Nachtpension haben auf 24-Stunden-Betrieb umgestellt. So können die Bewohner diese auch tagsüber nutzen. Auf dem Strichplatz, der auf Anordnung des Bundes vorübergehend geschlossen wurde, betreibt das Sozialdepartement nun für schwerstabhängige Menschen im Rahmen einer Notlösung weiterhin eine Kontakt- und Anlaufstelle (Temporäre K&A Depotweg). Hier ist ein überwachter Konsum mit Abstand möglich. Hilfesuchende, die nicht aus der Stadt Zürich kommen, können sich an die Zentrale Abklärungs- und Vermittlungsstelle wenden.
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