ZHAW-Forschende bauen weltweit  stärkste Neutronenquelle mit auf

05.12.2023
4/2023

Im schwedischen Lund entsteht mit der European Spallation Source die stärkste Neutronenquelle weltweit. Die Grossforschungsanlage dient zur Untersuchung von Materialeigenschaften und Prozessen auf atomarer Ebene unter anderem in Medizin, erneuerbaren Energien bis hin zu Quantencomputing.

2014 startete der Bau der European Spallation Source (ESS) im schwedischen Lund. Die Forschungseinrichtung ist ein Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC), dem neben Schweden und der Schweiz elf weitere europäische Länder angehören. Aus der Schweiz ist neben der ZHAW auch das Paul Scherrer Institut (PSI) massgeblich am Aufbau des ESS beteiligt. 2025 soll die Grossforschungsanlage zum ersten Mal Spallationsneutronen generieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus vielen unterschiedlichen Forschungsbereichen versprechen sich durch den sehr intensiven und gepulsten Neutronenstrahl eine effizientere Erforschung von Materialeigenschaften. Die Anwendungen reichen von der Optimierung von Festplatten über die Untersuchung von Strukturen im Quantencomputing bis hin zur Weiterentwicklung von Solarzellen und zur Aufschlüsselung von Molekülstrukturen. «Die Neutronen-Physik ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die etwas über die Materialstruktur erfahren wollen, sehr interessant. Neutronen durchdringen dichtere Materialien besser als zum Beispiel Röntgenstrahlen. Dadurch ermöglichen sie die Untersuchung der inneren Strukturen von Objekten», erklärt Christian Hilbes. Der ZHAW-Forscher ist stellvertretender Leiter des Instituts für Angewandte Mathematik und Physik (IAMP) und forscht im Bereich sicherheitskritische Systeme. «Unsere Aufgabe beim Aufbau der ESS bestand darin, die Konzepte für das Machine-Protection-System zu entwickeln sowie auch konkrete Teilsysteme davon zu realisieren. Zudem haben wir die ESS bei der Entwicklung verschiedener Personnel-Safety-Systeme unterstützt», sagt Hilbes.

Protonenstrahl muss innerhalb kürzester Zeit stoppen

Der 600 Meter lange Protonenbeschleuniger sowie die daran anschliessende, rotierende Neutronenquelle wurden eigens für die ESS entwickelt. Viele der Komponenten des Beschleunigers sind aufwendig realisierte Einzelanfertigungen. Wenn der Strahl Eigenschaften wie Ausdehnung oder Richtung stark ändert, können die Protonen diese Komponenten treffen, die daraufhin reagieren, etwa mit einem schnellen Alterungsprozess. Bei einer Fehlleitung des Strahls kann sogar ein Loch im Strahlrohr entstehen. «Die Folgen davon sind Schäden, die unter Umständen eine lange Abschaltung der Anlage nach sich ziehen können, was auf jeden Fall vermieden werden sollte», erklärt Christian Hilbes. Das Machine-Protection-System hat die Aufgabe zu reagieren, bevor es zu einem Schaden an der Anlage kommt. Dazu überwacht das System unzählige Parameter, die entlang des ganzen Beschleunigers gemessen werden. Überschreiten die Parameter festgelegte Toleranzen, wird innerhalb kürzester Zeit eine Strahlabschaltung durchgeführt.

Schnelles Interlock-System ist zentral

Die Herausforderung für das Team der ZHAW, das aus zehn Forschenden des IAMP bestand, war, ein Konzept für die ESS zu entwickeln, wie das Machine-Protection-System mit all seinen Subsystemen aufgebaut werden soll. «Hier haben wir die ESS von Beginn an mit unserem breiten Know-how unterstützt», sagt Christian Hilbes. Auf einige der Ereignisse, die am Beschleuniger auftreten können, muss extrem schnell reagiert werden. Für diese Kategorie von Ereignissen hat das ZHAW-Team das sogenannte Fast-Beam-Interlock-System (FBIS) entwickelt. «Die sehr spezifischen Anforderungen an das FBIS hatten zur Folge, dass dieses System von Grund auf entwickelt werden musste. «Es gab kein kommerziell erhältliches System, das die Anforderungen erfüllt hätte; lediglich technische Vorbilder an anderen Beschleunigern, auf denen aufgebaut werden konnte», ordnet Hilbes ein. «Das FBIS muss Innerhalb von einigen 10 bis 100 Mikrosekunden reagieren, und dies während 24 Stunden am Tag, möglichst ohne Fehlabschaltungen zu generieren», erklärt Martin Rejzek, stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs Sicherheitskritische Systeme und beim ESS-Projekt zuständig für die Spezifikation und Entwicklung des kompletten FBIS und für dessen Integration in die ESS-Architektur.

Mitwirkung an Schutzkonzept für ESS-Personal

Auch an der Auslegung, Realisierung und bei der Nachweisführung verschiedener Personnel-Safety-Systeme der ESS war das Team der ZHAW massgeblich beteiligt. «Da es um Personenschutz geht, primär um den Schutz vor Strahlung, müssen für diesen Bereich sehr strenge Vorgaben der Behörden eingehalten werden», erklärt Christian Hilbes. Dazu gehören Freigabe-Regelungen, etwa zur Frage, wann sich eine Person in welchem Bereich aufhalten darf. Die ZHAW hat hier die ESS beim Konzept, der Entwicklung sowie bei der Validierung verschiedener Personnel-Safety-Systeme unterstützt. Befasst hat sich damit von ZHAW-Seite primär Joanna Weng, die grosse Expertise auf dem Gebiet der Bewertung von funktionaler Sicherheit besitzt.

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