Zwischen Senioren und Babygeschrei – so wohnen Studierende
Den meisten Studenten im Raum Zürich fällt die Suche nach einem WG-Zimmer schwer. In solchen Fällen sind Alternativen gefragt. Entsprechende Angebote gibt es – doch sie verlangen Kompromisse.
Endlich raus aus dem Elternhaus – viele Studentinnen und Studenten wollen unbedingt ausziehen. Sie erhoffen sich in einer WG mehr Freiheit und Unterhaltung. Ein paar Klicks im Internet, eine entspannte Vorstellungsrunde, und schon hält man den Zimmerschlüssel in der Hand. Jeder Student hat eine klare Vorstellung vom perfekten WG-Zimmer. Die Realität sieht jedoch oftmals anders aus als die Wunschvorstellung.
Umfrage unter Studenten zur Wohnsituation
Laut dem Bundesamt für Statistik ist es im Raum Zürich überdurchschnittlich schwierig, ein WG-Zimmer zu finden. Im Jahr 2016 gaben 53 Prozent der Hochschulstudenten an, dass sie bei der Suche Mühe hatten. Im Schweizer Durchschnitt fiel dies 45 Prozent der Studenten schwer. Wenn man nicht fündig wird, bleibt eine Lösung: das Elternhaus. 40 Prozent haben angegeben, noch bei den Eltern zu wohnen (siehe Infografik). Sobald die Studenten von daheim bis zur Fachhochschule oder Universität lange pendeln müssen, suchen sie lieber nach Alternativen.
Wohnangebote für 3500 Studenten
Fündig werden Studierende beispielsweise bei der Studentischen Wohngenossenschaft Woko. «Wir haben Studios für Einzelpersonen bis zu ganzen Studentenhäusern», sagt Pascal Wyrsch, Leiter Wohnen. In Winterthur und Zürich beherbergt die Genossenschaft über 3500 Studenten.
In Zürich Altstetten betreibt die Woko ein Studentenhaus mit 169 Zimmern, wo sich die Studierenden eine Grossküche und mehrere Nasszellen teilen. Die Studenten, die im Haus wohnen, seien aus dem Ausland. «Jedes Semester gibt es deshalb einen grossen Wechsel», sagt er. Allgemein gelte für Studierende, dass sie maximal acht Jahre in einem Haus der Woko wohnen dürften.
Rollstuhlgängig und mit Lift
Die Woko arbeite stetig daran, das Angebot auszubauen. Gegenüber dem Vorjahr sei die Anzahl der Zimmer um 14 Prozent angestiegen. So auch für Menschen mit Beeinträchtigungen. «Wir bieten Wohnräume an, welche als IV-Zimmer ausgebaut und somit rollstuhlgängig sind», sagt Wyrsch. Viele Liegenschaften hätten zudem einen Lift.
In Winterthur wohne eine Mieterin, die blind sei. «Für sie wurden Markierungen angebracht, damit sie sich im Haus orientieren kann», sagt Wyrsch. Eigentlich seien Haustiere nicht erlaubt, aber bei Blindenhunden mache die Woko eine Ausnahme.
Senioren und Studenten unter einem Dach
Eine Wohnform der ungewöhnlichen Art bietet die Pro Senectute im Kanton Zürich an. Im Rahmen des Projekts «Wohnen für Hilfe» wohnen ältere Leute mit Studentinnen und Studenten zusammen. «Die Studierenden müssen keine Miete zahlen, aber dafür die Seniorin oder den Senior im Alltag unterstützen», sagt Andrea Ziegler, Koordinatorin des Projekts. Als Tauschregel gelte: eine Stunde Hilfe pro Monat und Quadratmeter Wohnraum.
Die Aufgaben der Studenten variieren laut Ziegler: «Meistens sind es Arbeiten im Haushalt oder im Garten.» Im Fall des Seniors Hermann Marti und der Studentin Melanie Gottier geht es weniger um häusliche Arbeiten, dafür mehr darum, Zeit zusammen zu verbringen (siehe Video). Die Studenten können im Voraus angeben, welche Aufgaben sie bereit wären zu erledigen. Dass der Wohnraum kostenlos sei, solle nicht im Vordergrund stehen, so Ziegler: «Wenn ich einen Studenten kennenlerne und merke, dass es ihm nur ums Geld geht, lehne ich ihn ab.»
Über 120 Studierende vermittelt
Seit dem Beginn des Projekts im Jahr 2009 hat die Pro Senectute im Kanton Zürich über 120 Studenten vermittelt. Sobald das Studium vorbei ist, müssen sie ausziehen. Die meisten bekämen schnell einen Nachfolger: «Wir erhalten viel mehr Anfragen, als dass wir Senioren haben, die ein Zimmer anbieten.» Viele Senioren, die einmal Teil des Projekts waren, nehmen erneut jemanden auf, solange das Alter und die Gesundheit es erlauben.
Wohnen mit zwei kleinen Kindern
«Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer normalen WG zu wohnen», sagt Frida Schlegel. Mit «normal» meint sie, wie die meisten Studenten wohnen, mit zwei oder drei Mitbewohnern. Die 26-Jährige hat sich für eine spezielle WG entschieden. Sie wohnt zusammen mit sechs Erwachsenen und zwei kleinen Kindern im Alter von drei und sechs Jahren in einem Haus.
Frida sitzt im Sessel in ihrem Zimmer im obersten Stock des Hauses. Das Gebäude ist hellhörig, im Erdgeschoss ist Kindergeschrei zu hören. Daran habe sie sich schon gewöhnt. «Unter der Woche habe ich kein Problem, das Kindergeplapper zu hören, an einem Samstagmorgen dafür eher», sagt sie und lacht. Seit dem Beginn ihres Ergotherapiestudiums vor fünf Jahren wohnt sie hier.
Eine Dusche für neun
Oft werde sie gefragt, wie es möglich sei, dass sich neun Bewohner ein Badezimmer mit Dusche teilen. «Dabei klappt das erstaunlich gut», sagt Frida. Man müsse halt sehr aufeinander achten. So sei es auch in der Küche. «Wir teilen uns alle den Kühlschrankinhalt», sagt sie. Es funktioniere, weil das Haus schon jahrelang eine WG sei. Wenn man dazuziehe, seien die Regeln von Anfang an klar.
Einmal im Monat gibt es eine WG-Sitzung mit gemeinsamem Nachtessen. Dort werden Probleme oder Wünsche angesprochen, wie die geplante Dachrenovation. «Weil wir das Haus selber verwalten, müssen wir uns um alles kümmern», sagt sie. Der Grund dafür sei, dass ihre WG ein Genossenschaftshaus sei und alle Mitbewohner somit Genossenschafter.
«Es darf einen nicht stören, dass es mal laut ist»
Diese Wohnform ist laut Frida nur etwas für Leute, die mit ihren Mitbewohnern viel Kontakt haben wollen. «Es darf einen nicht stören, dass, wenn du am Essen bist, jemand anders kocht, auf dem Boden ein Baby rumkrabbelt und es mal laut ist.» Manchmal sei es aber auch erstaunlich ruhig. Wenn jemand seine Zimmertüre schliesse und seine Ruhe haben wolle, respektierten das alle. «Es gibt sogar Abende, an denen ich um neun Uhr heimkomme und alles im Haus schon dunkel ist.»
*Lisa Wickart studiert Journalismus im Bachelorstudiengang Kommunikation am Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM. Die Beiträge entstanden in der Werkstatt «Konvergente und Multimediale Produktion» im fünften Semester. In dieser Werkstatt erarbeiten die Studierenden Beiträge für die Praxis, unter Bedingungen und in Abläufen, wie sie im Journalismus üblich sind.
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