Künstliche Intelligenz wird die Gesellschaft umkrempeln

22.06.2021
2/2021

Die wissenschaftliche Expertise rund um Künstliche Intelligenz ist auch an der ZHAW immer mehr gefragt. Auf Initiative von Thilo Stadelmann und Mark Cieliebak nimmt sie innerhalb der Hochschule eine neue Position ein und wird damit noch sichtbarer.

Junge Pflanzen werden zunächst unter Glas gehalten, bis sie stark genug sind, um sie ins Gartenbeet zu setzen. So ähnlich erging es dem Forschungsfeld Künstliche Intelligenz (KI) an der ZHAW School of Engineering. Im April dieses Jahres hat das Centre for Artificial Intelligence (CAI) seinen operativen Betrieb mit rund 20 Mitarbeitenden aufgenommen – ausgegliedert aus dem Institut für angewandte Informationstechnologie. Die Zentrumsgründung ist nicht auf der grünen Wiese erfolgt, sondern steht dank der bereits langjährigen Expertise im Bereich Machine Learning auf einer etablierten Basis. Das automatische juristische Prüfen von Verträgen, digitales Notenlesen oder die optische Qualitätskontrolle medizinischer Implantate: Dies sind nur drei von vielen Anwendungsbeispielen auf Grundlage von KI, die in den letzten Jahren von ZHAW-Forschenden entwickelt wurden. Hauptinitianten des CAI sind die beiden Forscher Thilo Stadelmann und Mark Cieliebak. «Durch die Gründung eines eigenen Forschungszentrums haben wir den imaginären Glasdeckel gelüftet und schaffen damit Raum für weiteres Wachstum», so Stadelmann. «Das ist schon jetzt, wenige Wochen nach der Gründung, spürbar in Gesprächen mit Partnern oder auch ZHAW-Forschenden in angrenzenden Gebieten, die ebenfalls mit KI experimentieren oder beabsichtigen, dies zu tun.»

Mit KI sehen und sprechen

Für CAI-Interimsleiter Thilo Stadelmann ist Deep Learning mit neuronalen Netzen eines der Hauptforschungsfelder. Aber was bedeutet das überhaupt? Vereinfacht ausgedrückt geht es um Systeme, die aus vielen Beispielen von Inputs und dazu passenden Outputs den zugrunde liegenden Zusammenhang erkennen lernen, sodass sie für künftige Inputs den entsprechenden Output generieren können. «Nehmen wir Rohdaten wie Fotos oder Ähnliches, wählt das System am Ende selbstständig diejenigen Merkmale oder Kriterien aus, die es zur Erkennung von Gesichtern, Knochenbrüchen oder sogar Krebs braucht», so Stadelmann. «Was wir Menschen gewöhnlich mit unseren Augen machen, das kann diese Art KI heute oft mindestens gleich gut oder sogar besser.»

Neben der nötigen Hardware und Rechenleistung braucht es für solche KI-Anwendungen vor allem Unmengen an Daten, um die Algorithmen zu trainieren. So auch im Bereich Natural Language Processing, wo Mark Cieliebak das maschinelle Verstehen von menschlicher Sprache in gesprochener und schriftlicher Form untersucht. «In Deutsch und Englisch geht das inzwischen schon relativ gut», sagt der Forscher. Zwei Beispiele: Verträge können von einer Software nach juristischen Kriterien geprüft werden und Aufnahmen von Sitzungen lassen sich automatisch transkribieren.

Forschung und Lehre gehen Hand in Hand

Als Fachhochschule bietet die ZHAW eine einzigartige Nähe zwischen Grundlagenentwicklungen und deren Anwendungen. Für Mark Cieliebak sind diese Rahmenbedingungen eine besondere Motivation: «Am Anfang eines Projekts hat man zwar eine Idee davon, was man erreichen möchte, aber ob das geht und wie man da hinkommt, ist völlig offen», so der Forscher. «Dann analysiert man das Problem, entwickelt Prototypen, sammelt Daten, macht die ersten Experimente, verbessert und verfeinert – bis irgendwann der Moment kommt, wo man merkt: es funktioniert.» Plötzlich seien die Resultate brauchbar und man habe Gewissheit, dass man damit wirklich eine Lösung bauen kann.

«Am Anfang eines Projekts hat man zwar eine Idee davon, was man erreichen möchte, aber ob das geht und wie man da hinkommt, ist völlig offen.»

Mark Cieliebak, Centre for Artificial Intelligence

Diese persönliche Passion für die KI-Forschung teilen Mark Cieliebak und Thilo Stadelmann – und wollen sie auch weitergeben. Mit Fachmodulen trägt das CAI auf Bachelor- und Masterstufe in der Lehre primär zum Studiengang Informatik und zum neuen Studiengang Data Science bei, ebenso gestaltet es das Weiterbildungsangebot mit. «Künstliche Intelligenz verändert unsere Gesellschaft mindestens ebenso stark wie das Internet», sagt Thilo Stadelmann. Daher brauche es dringend Fachleute, die mit den verschiedensten KI-Technologien umgehen können. «Software, die clever agiert und selber dazulernt, ist hilfreich in praktisch jeder Branche und jedem Unternehmen – ob globale Multis oder lokale KMU.» Es gebe überall repetitive Prozesse, die man zumindest teilweise automatisieren sollte. Denn kein Mensch könne oder wolle diese stundenlang bei gleichbleibender Konzentration durchführen.

KI soll sich etablieren

Innerhalb der KI gehe es in den nächsten Jahren nicht um technologische Revolutionen, sind sich die beiden Forscher einig, sondern darum, aktuelle Entwicklungen praxistauglicher zu machen. «Systeme sollen in der Anwendung auch unter sich ändernden Einsatzbedingungen oder mit suboptimaler Datengrundlage robust funktionieren», sagt Stadelmann. «Zukünftig sollen sie nicht nur ein spezifisches Detailproblem lösen, sondern für eine ganze Klasse von ähnlichen Problemen eingesetzt werden können – hier ist dann doch noch viel technische Evolution zu leisten.»

«Wir müssen uns heute darüber unterhalten, unter welchen Rahmenbedingungen KI-Systeme zum Einsatz kommen werden.»

Thilo Stadelmann Centre for Artificial Intelligence

Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Explainable AI, also Methoden, welche es dem Menschen erlauben, zu verstehen, warum ein KI-System zu seiner Entscheidung kam. Von übergreifender Bedeutung sei der ethische Standpunkt, so Stadelmann, da der Einsatz von KI das Potenzial für weitreichende Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche der Gesellschaft habe: «Wir müssen uns heute darüber unterhalten, unter welchen Rahmenbedingungen KI-Systeme zum Einsatz kommen werden.» Jede bedeutende Technologie mit grossem Einfluss auf den Alltag sei reguliert, beispielsweise das Autofahren. «Das ist keine Bedrohung für die Freiheit der Forschung oder des wirtschaftlichen Handelns – doch wird es natürlich verbindliche Einschränkungen bedeuten, die letztlich dafür sorgen sollen, dass wir in einer von uns gestalteten lebenswerten Gesellschaft leben und nicht in einer, die rein durch die Optimierung wirtschaftlicher Partikularinteressen zu Beginn des 21. Jahrhunderts geprägt wurde.» Das CAI, frisch ausgepflanzt im vielfältigen Hochschulgarten der ZHAW, hat nun die Möglichkeit, diesen Diskurs mitzugestalten und mit ihm zu wachsen.

Mithilfe der Bevölkerung Schweizer Dialekte digitalisieren

Forschende der ZHAW und der FHNW rufen zu einer Datensammlung von Schweizer Dialekten in der gesamten Deutschschweiz auf. Die Bevölkerung kann mithelfen, indem sie mit einer benutzerfreundlichen Web-App Sprachaufnahmen erstellt. Wer mitmacht, übersetzt hochdeutsche Sätze in natürliche Mundart und/oder überprüft die Aufnahmen von anderen Teilnehmenden. Mit den digitalisierten Dialekten lassen sich wichtige Computerprogramme trainieren. 2000 Stunden Sprachaufnahmen sollen als Trainingsgrundlage zusammenkommen. Sprachassistenten wie Siri oder Alexa würden künftig Schweizerdeutsch verstehen. Firmen könnten automatisch Kundenfeedback auswerten, etwa Anrufe beim Kundendienst. Auch Untertitel für TV-Sendungen liessen sich automatisch live erstellen. (Siehe auch «Impact» 52.)

Jetzt mitmachen: www.dialektsammlung.ch


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