Auf Tuchfühlung mit dem Kunsthandwerk

21.06.2022
2/2022

Wie viel Aufwand, Können und Herzblut stecken in den Accessoires der Schönen und Reichen? Im Masterstudiengang International Business wird die menschliche Komponente von Luxusgütern beleuchtet. Der Blick hinter die Kulissen soll für das Thema Handwerk und für den Umgang mit kreativen Macherinnen und Machern sensibilisieren.

Ob Haute Couture in Paris, Lederateliers in Italien oder Uhrmachereien in der Schweiz – Handwerkskunst ist in Europa tief verwurzelt. Sie bietet über unseren Kontinent hinaus vielen Menschen eine Lebensgrundlage. Aber auch mitten in Zürich werden in kleinen Werkstätten und mit viel Können von Hand sogenannte Luxusgüter gefertigt. Die handwerklichen Traditionen stehen einer zunehmend schnelllebigen und mechanisierten Welt gegenüber.

ZHAW-Dozent Fabio Duma leistet mit einem neuen Lehrprojekt einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung seiner Studierenden. Er hat im Masterstudiengang International Business ein Modul eingeführt, das im Zusammenhang mit dem Management von Luxusmarken auch die aktuelle und zukünftige Bedeutung von Kunsthandwerk in einem internationalen Markt behandelt. Wie passt das zusammen? «Luxus ist immer international. Vieles im Luxusgüterbereich beruht aber auf Handwerk und ist lokal verwurzelt», erklärt Fabio Duma.

Menschen hinter den Produkten hervorheben

Die Arbeitssituation in Kunsthandwerksbetrieben kann – je nach Standort – ganz unterschiedlich aussehen. Während fernab der Schweiz Menschen für die Produktion von Luxusgütern regelrecht ausgebeutet werden, gestaltet sich hierzulande der Kampf ums Überleben subtiler. Was die Kunsthandwerkerinnen und -handwerker allerdings länderübergreifend gemeinsam haben, ist eine häufig viel zu geringe Wertschätzung ihrer Arbeit. «Wenn sich unsere Studierenden als angehende Führungskräfte mit den Herausforderungen und Chancen von Kunsthandwerk auseinandersetzen und die Menschen dahinter kennenlernen, kann das künftig zur nachhaltigen Verbesserung der Situation beitragen», sagt Fabio Duma.

«Vieles im Luxusgüterbereich beruht auf Handwerk und ist lokal verwurzelt.»

Fabio Duma, Dozent ZHAW

Duma ist selbst Sohn eines Handwerkers. Er kennt die Problematik von fehlender Anerkennung und gesellschaftlichem Status nur zu gut. Nicht zuletzt deshalb liegt ihm das Thema am Herzen. «Zum einen geht immaterielles Kulturerbe verloren, wenn wir das Handwerk nicht schätzen und entsprechend vergüten», so Duma. «Zum anderen will ich den Scheinwerfer auf diejenigen Menschen richten, die in der Lieferkette weit hinten stehen oder sogar ganz im Hintergrund verborgen bleiben.» Denn sie seien es, die den Luxus überhaupt erst möglich machten.

Verantwortung wahrnehmen

Die Idee für das Lehrprojekt hatte Fabio Duma schon länger. Aber erst als ihm eine Förderung durch das Sustainable Impact Program der ZHAW zugesprochen wurde, konnte er es konkret in Angriff nehmen. Mit an Bord geholt hat er die gemeinnützige Organisation «Nest», die sich global für mehr Gerechtigkeit, wirtschaftliche Inklusion und verantwortungsbewusstes Wachstum in der Mode- und Luxusindustrie einsetzt.

Denn auch Wachstum kann negative Auswirkungen haben, wie Fabio Duma erklärt: «Es wird standardisiert und ausgelagert. Die Produktion soll günstig sein. Umso wichtiger ist es, den Studierenden bewusst zu machen, womit und mit wem sie arbeiten und wie die Dinge zusammenhängen.»

Und er erklärt weiter: «Forschung und Lehre an Business Schools tendieren dazu, Themen von Grossunternehmen stärker zu gewichten. Meine Studierenden sollen den Wert handwerklicher Arbeit erkennen und mit Handwerkerinnen und Handwerkern auf Augenhöhe umgehen können. Das ist Teil ihrer Verantwortung als Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch als spätere Führungskräfte in Unternehmen, nicht nur im Luxusgüterbereich.»

Einblicke in Schweizer Kunsthandwerk 

Besuch im Atelier einer Schneiderin: Handwerkskunst ist auch ein Kulturgut.

Kreative erhalten hierzulande oft zu wenig Wertschätzung für ihre Arbeit – auch materieller Art.

Bei einer Goldschmiedin: Kleinstbetriebe gibt es oft in unmittelbarer Nähe.

Die handwerklichen Traditionen stehen einer zunehmend schnelllebigen und mechanisierten Welt gegenüber.

Kreationen mit Leder – Luxusgüter, mitten in der Stadt geschaffen. 

Impressionen aus einem Zürcher Lederatelier.

Die kreativen Menschen machen den Luxus überhaupt erst möglich.

Neben den handwerklichen Fertigkeiten, hilft eine gute Onlinepräsenz, unternehmerisch erfolgreich zu sein.

Im Frühlingssemester 2022 haben rund ein Dutzend Studierende am Modul teilgenommen – darunter auch Jacqueline Burkhardt: «Ich hatte schon immer ein Faible für besondere Dinge, mir aber bis anhin weniger Gedanken um deren Herkunft gemacht. Diesbezüglich bin ich sicher aufmerksamer geworden durch das Modul», so die Studentin. Auch sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es so viele kleine Betriebe in der unmittelbaren Umgebung gibt, die kunsthandwerkliche Güter herstellen.

Harte Arbeit

Der praxisorientierte Ansatz des Moduls brachte die Studierenden in direkten Kontakt mit Ateliers und Werkstätten in Zürich. Highlight war ein Exkursionstag mit Besichtigungen der Betriebe vor Ort. Auf dem Programm standen Besuche in einem Lederatelier, bei einer Schneiderin, einer Goldschmiedin und – um die Dienstleistungsseite zu beleuchten – in einem Luxushotel.

«In diesem Modul geht es nicht um fertige Luxusgüter, sondern darum, wie sie entstehen.»

Dennis Müller, Masterstudent International Business

Auch Dennis Müller war erstaunt über die Vielzahl der Kunsthandwerksbetriebe: «Man erwartet so etwas eher in Italien», sagt der Student, der aus der Dominikanischen Republik stammt. Aufgrund seiner Herkunft sei ihm das Thema nahe: «In meinem Heimatland ist Handwerkskunst mit Steinen traditionell sehr verbreitet. Mir war schon vor dem Modul klar, dass dahinter harte Arbeit steckt.»

In der Schweiz würden Luxusgüter häufig als gegeben betrachtet. Die Kehrseite der Medaille werde weniger gesehen. Aus diesem Grund könne er das Modul weiterempfehlen: «In diesem Modul geht es nicht um fertige Luxusgüter, sondern darum, wie sie entstehen. Wir haben Details erfahren aus dem Herstellungsprozess, von der Materialbeschaffung bis hin zur Auslieferung.»

Der Name macht den Luxus

Im Rahmen seines Lehrprojektes will Fabio Duma nicht nur das Bewusstsein der Studierenden schärfen, sondern sie auch zur Lösungsfindung inspirieren. Nach den Betriebsbesuchen in Zürich, Interviews mit Handwerkerinnen und Handwerkern in verschiedenen Ländern sowie zusätzlicher Literaturrecherche präsentierten die Studierenden ihre Erkenntnisse.

Für Jacqueline Burkhardt fällt das Fazit eher ernüchternd aus: «Exklusivität allein reicht nicht. Man braucht einen Namen, um etwas zu verkaufen», sagt die Studentin. «Mein Eindruck ist, dass der Brand und die Vermarktung wichtiger sind als die Qualität und die Herkunft.» In diesem Zusammenhang sei der Einfluss von Social Media gross – allen voran Instagram. Für das Kunsthandwerk könne das zwar eine Chance sein, jedoch seien die Menschen dahinter eben keine Marketingprofis, sondern passionierte Handwerksleute.

«Mein Eindruck ist, dass der Brand und die Vermarktung wichtiger sind als die Qualität und die Herkunft.»

Jacqueline Burkhardt, Masterstudentin International Business

Fabio Duma erwähnt allerdings eine Studie mit jungen italienischen Schneidern, die er erst kürzlich durchgeführt hat: «Viele dieser jungen Talente teilen ihren Lernprozess und die Kniffe des Handwerks in den sozialen Medien. Sie werden zu eigentlichen Artisan Influencers und begeistern eine wachsende Zahl von Followern.»

Erfolg durch Online-Präsenz

Neben den handwerklichen Fertigkeiten, die international wieder stark nachgefragt werden, hilft ihnen diese Onlinepräsenz, unternehmerisch erfolgreich zu sein. «Dank Social Media können talentierte Handwerker und Handwerkerinnen auch ausserhalb der Werkstätten grosser Marken als Artisan Entrepreneurs bestehen», so Duma. «Aber man muss die Kanäle kennen und seine Story mit relevantem Content zu erzählen wissen. Ganz ohne Kommunikations- und Business Skills ist es schwierig.»

Weiterführende Projekte geplant

Das Lehrprojekt war für Fabio Duma ein erster Schritt. Die Umsetzung ist geglückt und das Modul wird weiterhin fester Bestandteil des Master in International Business sein. Auch eine Integration ähnlicher Themen und Formate in seinen Modulen im Bachelorstudiengang International Management steht zur Diskussion. Die Erfahrungen können zudem in Forschungsprojekte einfliessen. Ein erstes Projekt mit der Michelangelo Foundation in Genf ist in Vorbereitung. Auch mit der Organisation «Nest» möchte Fabio Duma weiter zusammenarbeiten. «Der Einblick, den das Modul bietet, weitet mindestens den Horizont und führt bestenfalls zu Veränderungen im Denken und Handeln derer, die künftig entscheiden werden», so Duma. «Vielleicht färbt es auch auf das allgemeine Konsumverhalten ab. Das wäre schön.»

Lehrprojekte im Sustainable Impact Program

Neben studentischen Projekten und Forschungsprojekten fördert das Sustainable Impact Program der ZHAW auch nachhaltige Lehrprojekte, die zur Sensibilisierung für die Sustainable Development Goals (SDG) der Agenda 2030 des Bundes und deren Erreichung beitragen oder die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie der ZHAW unterstützen.

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